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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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II. Das Mittelalter.
seinen heiligen Frauen anlegt, wie er es denn überhaupt liebt,
die hohen und schönen Gestalten mit aller stolzen Pracht seiner
Zeit zu umkleiden. Selbst der heilige Joseph, der einfachste und
anspruchsloseste Mann von allen Heiligen, hat an seinem Ehren-
tage der Vermählung mit Maria an seinen Füßen große, vor-
stehende Holzpantoffel mit den Klötzchen darunter; sie sind nur
mit Kreuzriemen klappernd an die Schuhe gelegt. Auf einem
Bilde des s. g. Meisters der Lyversberger Passion in der Moriz-
kapelle zu Nürnberg, welches die Geburt Mariä darstellt, wobei
die Frauen in hülfreich geschäftiger Thätigkeit sind, stehen ein
Paar solcher ledernen, langspitzigen Unterschuhe neben dem Bett.
Als Maria ihren Kirchgang macht, läßt sie derselbe Künstler
darin die hohen Stufen des Tempels hinaufsteigen.

Um das Jahr 1480 berichtet Stolle's Erfurter Chronik das
Abkommen der langen Schnäbel, was in Frankreich unter Karl VIII.
(1483--1498) eintrat. Die Zeit zwischen 1480 und 1490 ist
allerdings überall der Wendepunkt in dieser Mode. Aber so we-
nig wie sie plötzlich eingetreten war, ebensowenig verschwindet sie
auch wieder zu gleicher Zeit oder auf einmal. Schwerlich wird
auch die päpstliche Bannbulle von 1480 allein die Umwandlung
bewirkt haben. In England verschwinden sie wirklich seit dieser
Zeit, und auch anderswo wird ihr Vorkommen mehr und mehr
sporadisch. 1501 verbietet eine Stuttgarter Schulordnung noch
den Schülern "die spitzigen Schneppeterschuhe." Damals aber
waren sie bei den modischen Leuten schon entschieden in das Ge-
gentheil, die breiten "Kuhmäuler" oder "Entenschnäbel", umge-
schlagen. In dem Nürnberger Schönbartbuch, in welchem sich die
Wandlung einzelner Kleidungsstücke trefflich verfolgen läßt, er-
scheinen die Schuhe im Jahr 1493 zum ersten Mal breit, wäh-
rend sie in den vorhergehenden Jahren noch zugespitzte Form hat-
ten. Auf einem Bilde der Münchner Pinakothek, welches dem
Lucas von Leyden (geboren 1494) zugeschrieben wird, trägt die
heilige Agnes noch spitze Unterschuhe mit Kreuzbändern. Aber
das Bild ist ältern Datums, ein Werk vom s. g. Meister des
Bartholomäus, und gehört dem funfzehnten Jahrhundert an. --

II. Das Mittelalter.
ſeinen heiligen Frauen anlegt, wie er es denn überhaupt liebt,
die hohen und ſchönen Geſtalten mit aller ſtolzen Pracht ſeiner
Zeit zu umkleiden. Selbſt der heilige Joſeph, der einfachſte und
anſpruchsloſeſte Mann von allen Heiligen, hat an ſeinem Ehren-
tage der Vermählung mit Maria an ſeinen Füßen große, vor-
ſtehende Holzpantoffel mit den Klötzchen darunter; ſie ſind nur
mit Kreuzriemen klappernd an die Schuhe gelegt. Auf einem
Bilde des ſ. g. Meiſters der Lyversberger Paſſion in der Moriz-
kapelle zu Nürnberg, welches die Geburt Mariä darſtellt, wobei
die Frauen in hülfreich geſchäftiger Thätigkeit ſind, ſtehen ein
Paar ſolcher ledernen, langſpitzigen Unterſchuhe neben dem Bett.
Als Maria ihren Kirchgang macht, läßt ſie derſelbe Künſtler
darin die hohen Stufen des Tempels hinaufſteigen.

Um das Jahr 1480 berichtet Stolle’s Erfurter Chronik das
Abkommen der langen Schnäbel, was in Frankreich unter Karl VIII.
(1483—1498) eintrat. Die Zeit zwiſchen 1480 und 1490 iſt
allerdings überall der Wendepunkt in dieſer Mode. Aber ſo we-
nig wie ſie plötzlich eingetreten war, ebenſowenig verſchwindet ſie
auch wieder zu gleicher Zeit oder auf einmal. Schwerlich wird
auch die päpſtliche Bannbulle von 1480 allein die Umwandlung
bewirkt haben. In England verſchwinden ſie wirklich ſeit dieſer
Zeit, und auch anderswo wird ihr Vorkommen mehr und mehr
ſporadiſch. 1501 verbietet eine Stuttgarter Schulordnung noch
den Schülern „die ſpitzigen Schneppeterſchuhe.“ Damals aber
waren ſie bei den modiſchen Leuten ſchon entſchieden in das Ge-
gentheil, die breiten „Kuhmäuler“ oder „Entenſchnäbel“, umge-
ſchlagen. In dem Nürnberger Schönbartbuch, in welchem ſich die
Wandlung einzelner Kleidungsſtücke trefflich verfolgen läßt, er-
ſcheinen die Schuhe im Jahr 1493 zum erſten Mal breit, wäh-
rend ſie in den vorhergehenden Jahren noch zugeſpitzte Form hat-
ten. Auf einem Bilde der Münchner Pinakothek, welches dem
Lucas von Leyden (geboren 1494) zugeſchrieben wird, trägt die
heilige Agnes noch ſpitze Unterſchuhe mit Kreuzbändern. Aber
das Bild iſt ältern Datums, ein Werk vom ſ. g. Meiſter des
Bartholomäus, und gehört dem funfzehnten Jahrhundert an. —

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[252/0270] II. Das Mittelalter. ſeinen heiligen Frauen anlegt, wie er es denn überhaupt liebt, die hohen und ſchönen Geſtalten mit aller ſtolzen Pracht ſeiner Zeit zu umkleiden. Selbſt der heilige Joſeph, der einfachſte und anſpruchsloſeſte Mann von allen Heiligen, hat an ſeinem Ehren- tage der Vermählung mit Maria an ſeinen Füßen große, vor- ſtehende Holzpantoffel mit den Klötzchen darunter; ſie ſind nur mit Kreuzriemen klappernd an die Schuhe gelegt. Auf einem Bilde des ſ. g. Meiſters der Lyversberger Paſſion in der Moriz- kapelle zu Nürnberg, welches die Geburt Mariä darſtellt, wobei die Frauen in hülfreich geſchäftiger Thätigkeit ſind, ſtehen ein Paar ſolcher ledernen, langſpitzigen Unterſchuhe neben dem Bett. Als Maria ihren Kirchgang macht, läßt ſie derſelbe Künſtler darin die hohen Stufen des Tempels hinaufſteigen. Um das Jahr 1480 berichtet Stolle’s Erfurter Chronik das Abkommen der langen Schnäbel, was in Frankreich unter Karl VIII. (1483—1498) eintrat. Die Zeit zwiſchen 1480 und 1490 iſt allerdings überall der Wendepunkt in dieſer Mode. Aber ſo we- nig wie ſie plötzlich eingetreten war, ebenſowenig verſchwindet ſie auch wieder zu gleicher Zeit oder auf einmal. Schwerlich wird auch die päpſtliche Bannbulle von 1480 allein die Umwandlung bewirkt haben. In England verſchwinden ſie wirklich ſeit dieſer Zeit, und auch anderswo wird ihr Vorkommen mehr und mehr ſporadiſch. 1501 verbietet eine Stuttgarter Schulordnung noch den Schülern „die ſpitzigen Schneppeterſchuhe.“ Damals aber waren ſie bei den modiſchen Leuten ſchon entſchieden in das Ge- gentheil, die breiten „Kuhmäuler“ oder „Entenſchnäbel“, umge- ſchlagen. In dem Nürnberger Schönbartbuch, in welchem ſich die Wandlung einzelner Kleidungsſtücke trefflich verfolgen läßt, er- ſcheinen die Schuhe im Jahr 1493 zum erſten Mal breit, wäh- rend ſie in den vorhergehenden Jahren noch zugeſpitzte Form hat- ten. Auf einem Bilde der Münchner Pinakothek, welches dem Lucas von Leyden (geboren 1494) zugeſchrieben wird, trägt die heilige Agnes noch ſpitze Unterſchuhe mit Kreuzbändern. Aber das Bild iſt ältern Datums, ein Werk vom ſ. g. Meiſter des Bartholomäus, und gehört dem funfzehnten Jahrhundert an. —

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/270>, abgerufen am 22.11.2024.