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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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II. Das Mittelalter.
Auge an die Formen gewöhnt hatte. So erhob sich zum Stil,
was Natur gewesen war, und als die Mode wechselte und diese
Wirklichkeit verschwand, wurde bei ihren Nachfolgern der Stil
zur Manier und Manierirtheit in den kleinknittrigen Gewändern
der Dürerischen Schule.

Außer diesen Prachtstoffen wurden auch in den Niederlan-
den die feinsten Gewebe fabrizirt, die fast nicht minder gesucht
waren. Die holländische Leinwand, schon damals durch Feinheit
und Güte berühmt, war zu Hemden, Betten und Tischtüchern
erforderlich. Man legte großen Werth auf sie am burgundischen
Hofe. Zu den langen und breiten Schleiern, die von den Spitzen
der hohen Hauben bis auf den Boden herabfielen, lieferten die
Niederlande die feinsten seidenen Florgewebe.

In Bezug auf den Schnitt der Kleider und die Formen des
Putzes zeigt sich keine Rückwirkung der Kunst auf den burgundi-
schen Hof. Die Pracht blendet, aber edlen Geschmack, Anmuth,
schöne Linien, Reiz suchen wir vergebens in der äußern Erschei-
nung dieser Menschenwelt. Lasciv und kokett nach der einen
Seite, sind diese Trachten nach der andern steif und formlos, ja
mißgestaltet und barock. Es ist ganz wie mit der Etiquette. Wer
sich mit Ueberzeugung, mit Wohlgefallen in ihre Fesseln fügen
konnte, der trug auch mit Leichtigkeit, ohne den Zwang zu füh-
len, ja mit Koketterie oder vermeintlicher Würde die enggespannte
Kleidung, und ebenso die Damen ihre ungeheuren Hauben und
langen Schleppen. Keine Bewegung in solcher Tracht war völlig
frei, aber die Freiheit war überflüssig, wo Schritt und Tritt den
gemessensten Vorschriften folgen mußten.

Es bleibt bemerkenswerth, wie Karl der Kühne selbst sich in
die Fesseln der Kleidung und der Etiquette fand, die er von sei-
nem Vater ererbt hatte. Man sollte denken, sein lebhafter, leiden-
schaftlicher Geist, sein feuriges Temperament, das Eigenwillige
seines Wesens habe alle diese Schranken durchbrochen; immer in
angestrengter Thätigkeit, ein Freund der Jagd, des Kampfes in
Ernst und Scherz, der kühnste Ritter, hochfahrenden Geistes und
voll kühner, großer Pläne, habe er alles Hofwesen, allen Zwang

II. Das Mittelalter.
Auge an die Formen gewöhnt hatte. So erhob ſich zum Stil,
was Natur geweſen war, und als die Mode wechſelte und dieſe
Wirklichkeit verſchwand, wurde bei ihren Nachfolgern der Stil
zur Manier und Manierirtheit in den kleinknittrigen Gewändern
der Düreriſchen Schule.

Außer dieſen Prachtſtoffen wurden auch in den Niederlan-
den die feinſten Gewebe fabrizirt, die faſt nicht minder geſucht
waren. Die holländiſche Leinwand, ſchon damals durch Feinheit
und Güte berühmt, war zu Hemden, Betten und Tiſchtüchern
erforderlich. Man legte großen Werth auf ſie am burgundiſchen
Hofe. Zu den langen und breiten Schleiern, die von den Spitzen
der hohen Hauben bis auf den Boden herabfielen, lieferten die
Niederlande die feinſten ſeidenen Florgewebe.

In Bezug auf den Schnitt der Kleider und die Formen des
Putzes zeigt ſich keine Rückwirkung der Kunſt auf den burgundi-
ſchen Hof. Die Pracht blendet, aber edlen Geſchmack, Anmuth,
ſchöne Linien, Reiz ſuchen wir vergebens in der äußern Erſchei-
nung dieſer Menſchenwelt. Lasciv und kokett nach der einen
Seite, ſind dieſe Trachten nach der andern ſteif und formlos, ja
mißgeſtaltet und barock. Es iſt ganz wie mit der Etiquette. Wer
ſich mit Ueberzeugung, mit Wohlgefallen in ihre Feſſeln fügen
konnte, der trug auch mit Leichtigkeit, ohne den Zwang zu füh-
len, ja mit Koketterie oder vermeintlicher Würde die enggeſpannte
Kleidung, und ebenſo die Damen ihre ungeheuren Hauben und
langen Schleppen. Keine Bewegung in ſolcher Tracht war völlig
frei, aber die Freiheit war überflüſſig, wo Schritt und Tritt den
gemeſſenſten Vorſchriften folgen mußten.

Es bleibt bemerkenswerth, wie Karl der Kühne ſelbſt ſich in
die Feſſeln der Kleidung und der Etiquette fand, die er von ſei-
nem Vater ererbt hatte. Man ſollte denken, ſein lebhafter, leiden-
ſchaftlicher Geiſt, ſein feuriges Temperament, das Eigenwillige
ſeines Weſens habe alle dieſe Schranken durchbrochen; immer in
angeſtrengter Thätigkeit, ein Freund der Jagd, des Kampfes in
Ernſt und Scherz, der kühnſte Ritter, hochfahrenden Geiſtes und
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[264/0282] II. Das Mittelalter. Auge an die Formen gewöhnt hatte. So erhob ſich zum Stil, was Natur geweſen war, und als die Mode wechſelte und dieſe Wirklichkeit verſchwand, wurde bei ihren Nachfolgern der Stil zur Manier und Manierirtheit in den kleinknittrigen Gewändern der Düreriſchen Schule. Außer dieſen Prachtſtoffen wurden auch in den Niederlan- den die feinſten Gewebe fabrizirt, die faſt nicht minder geſucht waren. Die holländiſche Leinwand, ſchon damals durch Feinheit und Güte berühmt, war zu Hemden, Betten und Tiſchtüchern erforderlich. Man legte großen Werth auf ſie am burgundiſchen Hofe. Zu den langen und breiten Schleiern, die von den Spitzen der hohen Hauben bis auf den Boden herabfielen, lieferten die Niederlande die feinſten ſeidenen Florgewebe. In Bezug auf den Schnitt der Kleider und die Formen des Putzes zeigt ſich keine Rückwirkung der Kunſt auf den burgundi- ſchen Hof. Die Pracht blendet, aber edlen Geſchmack, Anmuth, ſchöne Linien, Reiz ſuchen wir vergebens in der äußern Erſchei- nung dieſer Menſchenwelt. Lasciv und kokett nach der einen Seite, ſind dieſe Trachten nach der andern ſteif und formlos, ja mißgeſtaltet und barock. Es iſt ganz wie mit der Etiquette. Wer ſich mit Ueberzeugung, mit Wohlgefallen in ihre Feſſeln fügen konnte, der trug auch mit Leichtigkeit, ohne den Zwang zu füh- len, ja mit Koketterie oder vermeintlicher Würde die enggeſpannte Kleidung, und ebenſo die Damen ihre ungeheuren Hauben und langen Schleppen. Keine Bewegung in ſolcher Tracht war völlig frei, aber die Freiheit war überflüſſig, wo Schritt und Tritt den gemeſſenſten Vorſchriften folgen mußten. Es bleibt bemerkenswerth, wie Karl der Kühne ſelbſt ſich in die Feſſeln der Kleidung und der Etiquette fand, die er von ſei- nem Vater ererbt hatte. Man ſollte denken, ſein lebhafter, leiden- ſchaftlicher Geiſt, ſein feuriges Temperament, das Eigenwillige ſeines Weſens habe alle dieſe Schranken durchbrochen; immer in angeſtrengter Thätigkeit, ein Freund der Jagd, des Kampfes in Ernſt und Scherz, der kühnſte Ritter, hochfahrenden Geiſtes und voll kühner, großer Pläne, habe er alles Hofweſen, allen Zwang

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/282>, abgerufen am 22.11.2024.