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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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II. Das Mittelalter.
trachtet die Oberkleider, die brokatnen Prachtgewänder mit Gold
auf rothem, schwarzem, grünem, blauem Grunde, mit den hän-
genden, zerschlitzten, offenen, verbrämten Aermeln, bald weit,
bald eng, lang oder kurz; diese zerschlitzten und zerschnittenen
Jacken, von denen, um das feine Hemd zu zeigen, nichts übrig
geblieben scheint als ein paar farbige Bänder und Streifen, die
faltige, bauschige Masse der Leinwand zu halten! Seht diese
Magdalena an, wie sie, auf die Kniee gesunken, im bittersten
Schmerz mit thränenden Augen das Kreuz umklammert, an wel-
chem der Heiland hängt! Eine rothsammetne Haube mit reichem
Goldschmuck umgiebt das blonde schöne Gesicht; zu grünem,
goldgesäumtem Rocke trägt sie ein Leibchen von rothem Goldbro-
kat, weit ausgeschnitten an Brust und Schultern, eng die Fülle
des Leibes umspannend; mit breiten, perlbesetzten Goldstreifen
am obern Rand und um die Oberarme; vom Ellbogen fallen die
abgeschnittenen, nur eben anhängenden Aermel in doppelter
Länge, in rother und goldner Pracht herab; die Unterarme um-
giebt das feine weiße Hemd, das an der Hand von goldnen und
farbigen Säumen und Bändchen umzogen ist. Das ist Magda-
lena, die bekehrte, im höchsten Schmerz um den verlornen Freund,
den der Künstler nicht tiefer hätte ausdrücken können. Es ist eine
niederländische Schöne um das Jahr 1500 im reichsten, kostbar-
sten Putz. Als solche hat sie der Künstler dargestellt, unbeküm-
mert darum, daß sie die Eitelkeit der Welt bei Seite legte, da sie
sich bekehrte. Neben dieser prachtvollen Magdalena steht die
Mutter, die Hände ringend in ihrem Schmerz, in großartiger
Einfachheit, verhüllt, im weiten schwarzen Gewand und Mantel,
den Kopf bis auf das Gesicht von einem weißen Tuch umschlun-
gen, das auf die Schultern herabfällt. -- Aber fast ist Maria die
einzige, welche die niederländischen Künstler so darstellen, und
auch das nur in der Passion, wo ihr als der Matrone, der schmer-
zensvollen Mutter, die nonnenhafte Verhüllung geziemt. Als
Mutter mit dem Kinde kommt ihr der blaue Mantel über einfach
rothem Kleide zu, und die Zierde pflegen höchstens goldene Säume
zu sein. Wenn sie aber als Königin des Himmels gedacht wird,

II. Das Mittelalter.
trachtet die Oberkleider, die brokatnen Prachtgewänder mit Gold
auf rothem, ſchwarzem, grünem, blauem Grunde, mit den hän-
genden, zerſchlitzten, offenen, verbrämten Aermeln, bald weit,
bald eng, lang oder kurz; dieſe zerſchlitzten und zerſchnittenen
Jacken, von denen, um das feine Hemd zu zeigen, nichts übrig
geblieben ſcheint als ein paar farbige Bänder und Streifen, die
faltige, bauſchige Maſſe der Leinwand zu halten! Seht dieſe
Magdalena an, wie ſie, auf die Kniee geſunken, im bitterſten
Schmerz mit thränenden Augen das Kreuz umklammert, an wel-
chem der Heiland hängt! Eine rothſammetne Haube mit reichem
Goldſchmuck umgiebt das blonde ſchöne Geſicht; zu grünem,
goldgeſäumtem Rocke trägt ſie ein Leibchen von rothem Goldbro-
kat, weit ausgeſchnitten an Bruſt und Schultern, eng die Fülle
des Leibes umſpannend; mit breiten, perlbeſetzten Goldſtreifen
am obern Rand und um die Oberarme; vom Ellbogen fallen die
abgeſchnittenen, nur eben anhängenden Aermel in doppelter
Länge, in rother und goldner Pracht herab; die Unterarme um-
giebt das feine weiße Hemd, das an der Hand von goldnen und
farbigen Säumen und Bändchen umzogen iſt. Das iſt Magda-
lena, die bekehrte, im höchſten Schmerz um den verlornen Freund,
den der Künſtler nicht tiefer hätte ausdrücken können. Es iſt eine
niederländiſche Schöne um das Jahr 1500 im reichſten, koſtbar-
ſten Putz. Als ſolche hat ſie der Künſtler dargeſtellt, unbeküm-
mert darum, daß ſie die Eitelkeit der Welt bei Seite legte, da ſie
ſich bekehrte. Neben dieſer prachtvollen Magdalena ſteht die
Mutter, die Hände ringend in ihrem Schmerz, in großartiger
Einfachheit, verhüllt, im weiten ſchwarzen Gewand und Mantel,
den Kopf bis auf das Geſicht von einem weißen Tuch umſchlun-
gen, das auf die Schultern herabfällt. — Aber faſt iſt Maria die
einzige, welche die niederländiſchen Künſtler ſo darſtellen, und
auch das nur in der Paſſion, wo ihr als der Matrone, der ſchmer-
zensvollen Mutter, die nonnenhafte Verhüllung geziemt. Als
Mutter mit dem Kinde kommt ihr der blaue Mantel über einfach
rothem Kleide zu, und die Zierde pflegen höchſtens goldene Säume
zu ſein. Wenn ſie aber als Königin des Himmels gedacht wird,

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[280/0298] II. Das Mittelalter. trachtet die Oberkleider, die brokatnen Prachtgewänder mit Gold auf rothem, ſchwarzem, grünem, blauem Grunde, mit den hän- genden, zerſchlitzten, offenen, verbrämten Aermeln, bald weit, bald eng, lang oder kurz; dieſe zerſchlitzten und zerſchnittenen Jacken, von denen, um das feine Hemd zu zeigen, nichts übrig geblieben ſcheint als ein paar farbige Bänder und Streifen, die faltige, bauſchige Maſſe der Leinwand zu halten! Seht dieſe Magdalena an, wie ſie, auf die Kniee geſunken, im bitterſten Schmerz mit thränenden Augen das Kreuz umklammert, an wel- chem der Heiland hängt! Eine rothſammetne Haube mit reichem Goldſchmuck umgiebt das blonde ſchöne Geſicht; zu grünem, goldgeſäumtem Rocke trägt ſie ein Leibchen von rothem Goldbro- kat, weit ausgeſchnitten an Bruſt und Schultern, eng die Fülle des Leibes umſpannend; mit breiten, perlbeſetzten Goldſtreifen am obern Rand und um die Oberarme; vom Ellbogen fallen die abgeſchnittenen, nur eben anhängenden Aermel in doppelter Länge, in rother und goldner Pracht herab; die Unterarme um- giebt das feine weiße Hemd, das an der Hand von goldnen und farbigen Säumen und Bändchen umzogen iſt. Das iſt Magda- lena, die bekehrte, im höchſten Schmerz um den verlornen Freund, den der Künſtler nicht tiefer hätte ausdrücken können. Es iſt eine niederländiſche Schöne um das Jahr 1500 im reichſten, koſtbar- ſten Putz. Als ſolche hat ſie der Künſtler dargeſtellt, unbeküm- mert darum, daß ſie die Eitelkeit der Welt bei Seite legte, da ſie ſich bekehrte. Neben dieſer prachtvollen Magdalena ſteht die Mutter, die Hände ringend in ihrem Schmerz, in großartiger Einfachheit, verhüllt, im weiten ſchwarzen Gewand und Mantel, den Kopf bis auf das Geſicht von einem weißen Tuch umſchlun- gen, das auf die Schultern herabfällt. — Aber faſt iſt Maria die einzige, welche die niederländiſchen Künſtler ſo darſtellen, und auch das nur in der Paſſion, wo ihr als der Matrone, der ſchmer- zensvollen Mutter, die nonnenhafte Verhüllung geziemt. Als Mutter mit dem Kinde kommt ihr der blaue Mantel über einfach rothem Kleide zu, und die Zierde pflegen höchſtens goldene Säume zu ſein. Wenn ſie aber als Königin des Himmels gedacht wird,

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/298>, abgerufen am 22.11.2024.