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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
wurde angewandt. "Sie schmieren sich mit Affenschmalz," sagt
Seb. Brant im Narrenschiff, "sie büffen das Haar mit Schwefel
und Harz, und steifen es in feste Formen durch eingeschlagenes
Eiweiß; sie strecken den Kopf zum Fenster hinaus, um es an der
Sonne zu bleichen." Das letztere geschah aus der alten angeerb-
ten Vorliebe für das blonde Haar, für welches merkwürdiger
Weise die Damen Italiens vor allen schwärmten, mehr aber noch
im sechszehnten als im funfzehnten Jahrhundert. Wir werden in
der nächsten Periode wieder hierauf zurückkommen. -- Wie früher
schon umschloß diese Lockenfülle ein farbiger Reif mit zierlicher
Goldagraffe und darin eine Blume, ein Reiherbusch oder ein Fe-
derschmuck, auch wohl ein natürlicher Epheu- oder Blumenkranz,
womit der junge Herr in Gesellschaft erschien. Es war eine kokette
Tracht, die den jungen Damen sehr wohl angestanden hätte; aber
diese hatten in mehrfacher Beziehung ihre Rechte an die Herren
abgetreten.

Alle Damen, alt und jung, hatten ihrem schönsten Schmuck,
dem langen, freien Lockenhaar entsagt, ja sie suchten es möglichst
unter Hauben zu verbergen, die sich an abenteuerlicher Ungestalt
überbieten. Nöthigenfalls rasirten sie auch das Haar von Schlä-
fen und Stirn weg, oder rissen es aus. Nur selten suchen ein
paar vereinsamte Locken oder ein leichtes Gekräusel darunter ans
Tageslicht zu kommen. Häufiger wohl sind dicke, zuweilen mit
Goldfäden durchwundene Flechten, welche um die Ohren gelegt
sind. Aber ihrer Aechtheit ist nicht immer zu trauen; es sind der
Klagen, selbst obrigkeitliche, zu viele. "Die Frauen nehmen todtes
Haar und binden es ein und tragen es mit sich zu Bett," sagt ein
altes Druckwerk von 1472, "das guldin spil." Den Verstorbenen
wurde das Haar abgeschnitten und zu diesem Gebrauch hergerich-
tet. Selten mochten es damals schon vollständige Perrücken sein,
sondern wohl nur eine Vermischung des todten Haars unter das
lebendige. Die Sittenprediger wissen sonderbare Geschichten da-
von zur Warnung der Frauen zu erzählen. So heißt es bei Gei-
ler von Kaisersberg: "O Weib, erschrickest du nicht, wann du
fremd Haar zu Nacht auf deinem Kopf hast, und etwan von einer

2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
wurde angewandt. „Sie ſchmieren ſich mit Affenſchmalz,“ ſagt
Seb. Brant im Narrenſchiff, „ſie büffen das Haar mit Schwefel
und Harz, und ſteifen es in feſte Formen durch eingeſchlagenes
Eiweiß; ſie ſtrecken den Kopf zum Fenſter hinaus, um es an der
Sonne zu bleichen.“ Das letztere geſchah aus der alten angeerb-
ten Vorliebe für das blonde Haar, für welches merkwürdiger
Weiſe die Damen Italiens vor allen ſchwärmten, mehr aber noch
im ſechszehnten als im funfzehnten Jahrhundert. Wir werden in
der nächſten Periode wieder hierauf zurückkommen. — Wie früher
ſchon umſchloß dieſe Lockenfülle ein farbiger Reif mit zierlicher
Goldagraffe und darin eine Blume, ein Reiherbuſch oder ein Fe-
derſchmuck, auch wohl ein natürlicher Epheu- oder Blumenkranz,
womit der junge Herr in Geſellſchaft erſchien. Es war eine kokette
Tracht, die den jungen Damen ſehr wohl angeſtanden hätte; aber
dieſe hatten in mehrfacher Beziehung ihre Rechte an die Herren
abgetreten.

Alle Damen, alt und jung, hatten ihrem ſchönſten Schmuck,
dem langen, freien Lockenhaar entſagt, ja ſie ſuchten es möglichſt
unter Hauben zu verbergen, die ſich an abenteuerlicher Ungeſtalt
überbieten. Nöthigenfalls raſirten ſie auch das Haar von Schlä-
fen und Stirn weg, oder riſſen es aus. Nur ſelten ſuchen ein
paar vereinſamte Locken oder ein leichtes Gekräuſel darunter ans
Tageslicht zu kommen. Häufiger wohl ſind dicke, zuweilen mit
Goldfäden durchwundene Flechten, welche um die Ohren gelegt
ſind. Aber ihrer Aechtheit iſt nicht immer zu trauen; es ſind der
Klagen, ſelbſt obrigkeitliche, zu viele. „Die Frauen nehmen todtes
Haar und binden es ein und tragen es mit ſich zu Bett,“ ſagt ein
altes Druckwerk von 1472, „das guldin ſpil.“ Den Verſtorbenen
wurde das Haar abgeſchnitten und zu dieſem Gebrauch hergerich-
tet. Selten mochten es damals ſchon vollſtändige Perrücken ſein,
ſondern wohl nur eine Vermiſchung des todten Haars unter das
lebendige. Die Sittenprediger wiſſen ſonderbare Geſchichten da-
von zur Warnung der Frauen zu erzählen. So heißt es bei Gei-
ler von Kaiſersberg: „O Weib, erſchrickeſt du nicht, wann du
fremd Haar zu Nacht auf deinem Kopf haſt, und etwan von einer

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[287/0305] 2. Die Zeit des Luxus und der Entartung. wurde angewandt. „Sie ſchmieren ſich mit Affenſchmalz,“ ſagt Seb. Brant im Narrenſchiff, „ſie büffen das Haar mit Schwefel und Harz, und ſteifen es in feſte Formen durch eingeſchlagenes Eiweiß; ſie ſtrecken den Kopf zum Fenſter hinaus, um es an der Sonne zu bleichen.“ Das letztere geſchah aus der alten angeerb- ten Vorliebe für das blonde Haar, für welches merkwürdiger Weiſe die Damen Italiens vor allen ſchwärmten, mehr aber noch im ſechszehnten als im funfzehnten Jahrhundert. Wir werden in der nächſten Periode wieder hierauf zurückkommen. — Wie früher ſchon umſchloß dieſe Lockenfülle ein farbiger Reif mit zierlicher Goldagraffe und darin eine Blume, ein Reiherbuſch oder ein Fe- derſchmuck, auch wohl ein natürlicher Epheu- oder Blumenkranz, womit der junge Herr in Geſellſchaft erſchien. Es war eine kokette Tracht, die den jungen Damen ſehr wohl angeſtanden hätte; aber dieſe hatten in mehrfacher Beziehung ihre Rechte an die Herren abgetreten. Alle Damen, alt und jung, hatten ihrem ſchönſten Schmuck, dem langen, freien Lockenhaar entſagt, ja ſie ſuchten es möglichſt unter Hauben zu verbergen, die ſich an abenteuerlicher Ungeſtalt überbieten. Nöthigenfalls raſirten ſie auch das Haar von Schlä- fen und Stirn weg, oder riſſen es aus. Nur ſelten ſuchen ein paar vereinſamte Locken oder ein leichtes Gekräuſel darunter ans Tageslicht zu kommen. Häufiger wohl ſind dicke, zuweilen mit Goldfäden durchwundene Flechten, welche um die Ohren gelegt ſind. Aber ihrer Aechtheit iſt nicht immer zu trauen; es ſind der Klagen, ſelbſt obrigkeitliche, zu viele. „Die Frauen nehmen todtes Haar und binden es ein und tragen es mit ſich zu Bett,“ ſagt ein altes Druckwerk von 1472, „das guldin ſpil.“ Den Verſtorbenen wurde das Haar abgeſchnitten und zu dieſem Gebrauch hergerich- tet. Selten mochten es damals ſchon vollſtändige Perrücken ſein, ſondern wohl nur eine Vermiſchung des todten Haars unter das lebendige. Die Sittenprediger wiſſen ſonderbare Geſchichten da- von zur Warnung der Frauen zu erzählen. So heißt es bei Gei- ler von Kaiſersberg: „O Weib, erſchrickeſt du nicht, wann du fremd Haar zu Nacht auf deinem Kopf haſt, und etwan von einer

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/305>, abgerufen am 21.11.2024.