Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.I. Aelteste Zeit bis zu den Kreuzzügen. schmack verrieth, zeigte sich höchstens an den Holzkirchen des Nor-dens. Auch sonst in kirchlichen Dingen, soweit sie von irgend einer Kunst abhängig waren, z. B. an Geräthen, Gefäßen, Schnitz- werken herrschte die antike Ueberlieferung vor, nur freilich meist unverstanden und immer roh ausgeführt und in todter, verknöcher- ter Weise angewandt. Dagegen, wo es galt einen weltlichen Ge- genstand zu verzieren, wie die hölzernen Wohnhäuser oder wie Schmucksachen, Hausgeräthe, da hatte sich die Kunst zwar die antike Technik zu nutze gemacht, aber die germanische Weise, wie wir sie beim Schmuck haben kennen lernen, herrschte vor und hat sich ferner noch lange, lange erhalten; nur einzelne antike For- men und Motive wurden als etwas Gleichgültiges mit aufge- nommen. So auch in Schrift, Lied und Leben. Die Volksgesänge der I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen. ſchmack verrieth, zeigte ſich höchſtens an den Holzkirchen des Nor-dens. Auch ſonſt in kirchlichen Dingen, ſoweit ſie von irgend einer Kunſt abhängig waren, z. B. an Geräthen, Gefäßen, Schnitz- werken herrſchte die antike Ueberlieferung vor, nur freilich meiſt unverſtanden und immer roh ausgeführt und in todter, verknöcher- ter Weiſe angewandt. Dagegen, wo es galt einen weltlichen Ge- genſtand zu verzieren, wie die hölzernen Wohnhäuſer oder wie Schmuckſachen, Hausgeräthe, da hatte ſich die Kunſt zwar die antike Technik zu nutze gemacht, aber die germaniſche Weiſe, wie wir ſie beim Schmuck haben kennen lernen, herrſchte vor und hat ſich ferner noch lange, lange erhalten; nur einzelne antike For- men und Motive wurden als etwas Gleichgültiges mit aufge- nommen. So auch in Schrift, Lied und Leben. Die Volksgeſänge der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0072" n="54"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.</fw><lb/> ſchmack verrieth, zeigte ſich höchſtens an den Holzkirchen des Nor-<lb/> dens. Auch ſonſt in kirchlichen Dingen, ſoweit ſie von irgend einer<lb/> Kunſt abhängig waren, z. B. an Geräthen, Gefäßen, Schnitz-<lb/> werken herrſchte die antike Ueberlieferung vor, nur freilich meiſt<lb/> unverſtanden und immer roh ausgeführt und in todter, verknöcher-<lb/> ter Weiſe angewandt. Dagegen, wo es galt einen weltlichen Ge-<lb/> genſtand zu verzieren, wie die hölzernen Wohnhäuſer oder wie<lb/> Schmuckſachen, Hausgeräthe, da hatte ſich die Kunſt zwar die<lb/> antike Technik zu nutze gemacht, aber die germaniſche Weiſe, wie<lb/> wir ſie beim Schmuck haben kennen lernen, herrſchte vor und hat<lb/> ſich ferner noch lange, lange erhalten; nur einzelne antike For-<lb/> men und Motive wurden als etwas Gleichgültiges mit aufge-<lb/> nommen.</p><lb/> <p>So auch in Schrift, Lied und Leben. Die Volksgeſänge der<lb/> Deutſchen, die unter den letzten Karolingern und ihren mit Ita-<lb/> lien ſo mannigfach verbundenen Nachfolgern, den ſächſiſchen Kai-<lb/> ſern, in größerem Maßſtabe auf einige Jahrhunderte in ihrer<lb/> Mutterſprache faſt ganz verſtummten, waren urſprünglich nicht bloß<lb/> deutſch nach Sprache und Inhalt, man kann ſie mit ihrer Grund-<lb/> anſchauung ſelbſt noch als heidniſch bezeichnen. Der Dichter, der<lb/> ſeine Zeit poetiſch beſchrieb, that es in lateiniſcher Sprache und<lb/> in lateiniſchen Verſen, als ob es ſich von ſelbſt verſtände. Und<lb/> derſelben Sprache bediente ſich der Proſaiker unter allen Umſtän-<lb/> den, obwohl er weit davon entfernt war, claſſiſch zu reden und<lb/> claſſiſch zu denken. Karl der Große, der ſich ſo ſehr bemühte, die<lb/> mannigfach vor dem fremden Element erliegende Nationalität zu<lb/> heben, mußte doch alle ſeine Bemühungen für Bildung und Volks-<lb/> erziehung lediglich auf die antike Welt und ihre Ueberlieferung<lb/> gründen, und die chriſtliche Geiſtlichkeit ſpielte dabei den Ver-<lb/> mittler, der das claſſiſche Heidenthum den Germanen überlieferte.<lb/> Das Volksleben war durchweg deutſch, ſoweit nicht am Hofe, wo<lb/> es zu repräſentiren galt, Conſtantinopel und ſein Hofceremoniell<lb/> zum Vorbild diente, und ſoweit nicht das Chriſtenthum altheid-<lb/> niſche Bräuche verdrängt hatte. Hier aber ſpielen Heidenthum und<lb/> Chriſtenthum noch in wunderlicher Miſchung durch einander. Das<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [54/0072]
I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
ſchmack verrieth, zeigte ſich höchſtens an den Holzkirchen des Nor-
dens. Auch ſonſt in kirchlichen Dingen, ſoweit ſie von irgend einer
Kunſt abhängig waren, z. B. an Geräthen, Gefäßen, Schnitz-
werken herrſchte die antike Ueberlieferung vor, nur freilich meiſt
unverſtanden und immer roh ausgeführt und in todter, verknöcher-
ter Weiſe angewandt. Dagegen, wo es galt einen weltlichen Ge-
genſtand zu verzieren, wie die hölzernen Wohnhäuſer oder wie
Schmuckſachen, Hausgeräthe, da hatte ſich die Kunſt zwar die
antike Technik zu nutze gemacht, aber die germaniſche Weiſe, wie
wir ſie beim Schmuck haben kennen lernen, herrſchte vor und hat
ſich ferner noch lange, lange erhalten; nur einzelne antike For-
men und Motive wurden als etwas Gleichgültiges mit aufge-
nommen.
So auch in Schrift, Lied und Leben. Die Volksgeſänge der
Deutſchen, die unter den letzten Karolingern und ihren mit Ita-
lien ſo mannigfach verbundenen Nachfolgern, den ſächſiſchen Kai-
ſern, in größerem Maßſtabe auf einige Jahrhunderte in ihrer
Mutterſprache faſt ganz verſtummten, waren urſprünglich nicht bloß
deutſch nach Sprache und Inhalt, man kann ſie mit ihrer Grund-
anſchauung ſelbſt noch als heidniſch bezeichnen. Der Dichter, der
ſeine Zeit poetiſch beſchrieb, that es in lateiniſcher Sprache und
in lateiniſchen Verſen, als ob es ſich von ſelbſt verſtände. Und
derſelben Sprache bediente ſich der Proſaiker unter allen Umſtän-
den, obwohl er weit davon entfernt war, claſſiſch zu reden und
claſſiſch zu denken. Karl der Große, der ſich ſo ſehr bemühte, die
mannigfach vor dem fremden Element erliegende Nationalität zu
heben, mußte doch alle ſeine Bemühungen für Bildung und Volks-
erziehung lediglich auf die antike Welt und ihre Ueberlieferung
gründen, und die chriſtliche Geiſtlichkeit ſpielte dabei den Ver-
mittler, der das claſſiſche Heidenthum den Germanen überlieferte.
Das Volksleben war durchweg deutſch, ſoweit nicht am Hofe, wo
es zu repräſentiren galt, Conſtantinopel und ſein Hofceremoniell
zum Vorbild diente, und ſoweit nicht das Chriſtenthum altheid-
niſche Bräuche verdrängt hatte. Hier aber ſpielen Heidenthum und
Chriſtenthum noch in wunderlicher Miſchung durch einander. Das
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |