Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht. mit ihnen, denn sie selbst waren schon ein Ausfluß des neuenGeistes, in allen Zweigen der Cultur nicht leicht überschätzen. Es entsteht eine völlig andere Zeit; aus den Zweifeln ist die Welt befreit, die so lange im Kampf begriffenen Elemente haben sich versöhnt, und aus ihrer gegenseitigen fruchtbaren Durchdringung erblüht nun, nachdem die ausgestreute Saat im 11. Jahrhundert eine kurze Winterzeit geruht hat, ein neues, trotz aller fremden Anstöße und Elemente dennoch originales Leben üppig hervor. Das ganze Sein und Denken der Menschen wird allseitig und im tiefsten Innern erfaßt. Das Heidenthum hat ausgespielt und verklingt in leisen Einmal aus der Welt der Thaten in die der Empfindungen 1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht. mit ihnen, denn ſie ſelbſt waren ſchon ein Ausfluß des neuenGeiſtes, in allen Zweigen der Cultur nicht leicht überſchätzen. Es entſteht eine völlig andere Zeit; aus den Zweifeln iſt die Welt befreit, die ſo lange im Kampf begriffenen Elemente haben ſich verſöhnt, und aus ihrer gegenſeitigen fruchtbaren Durchdringung erblüht nun, nachdem die ausgeſtreute Saat im 11. Jahrhundert eine kurze Winterzeit geruht hat, ein neues, trotz aller fremden Anſtöße und Elemente dennoch originales Leben üppig hervor. Das ganze Sein und Denken der Menſchen wird allſeitig und im tiefſten Innern erfaßt. Das Heidenthum hat ausgeſpielt und verklingt in leiſen Einmal aus der Welt der Thaten in die der Empfindungen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0093" n="75"/><fw place="top" type="header">1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.</fw><lb/> mit ihnen, denn ſie ſelbſt waren ſchon ein Ausfluß des neuen<lb/> Geiſtes, in allen Zweigen der Cultur nicht leicht überſchätzen. Es<lb/> entſteht eine völlig andere Zeit; aus den Zweifeln iſt die Welt<lb/> befreit, die ſo lange im Kampf begriffenen Elemente haben ſich<lb/> verſöhnt, und aus ihrer gegenſeitigen fruchtbaren Durchdringung<lb/> erblüht nun, nachdem die ausgeſtreute Saat im 11. Jahrhundert<lb/> eine kurze Winterzeit geruht hat, ein neues, trotz aller fremden<lb/> Anſtöße und Elemente dennoch originales Leben üppig hervor.<lb/> Das ganze Sein und Denken der Menſchen wird allſeitig und im<lb/> tiefſten Innern erfaßt.</p><lb/> <p>Das Heidenthum hat ausgeſpielt und verklingt in leiſen<lb/> Tönen in Sage und Märchen und Volksgebräuchen. Das Chriſten-<lb/> thum hat nun Wurzel geſchlagen in der Tiefe des deutſchen Ge-<lb/> müths und ſprießt mit einer Innigkeit des Glaubens und einer<lb/> Wahrheit des Gefühls hervor, die bekunden, daß es fortan die<lb/> Grundlage des geiſtigen Seins bildet. Statt daß früher der Glau-<lb/> benseifer und die Orthodoxie ſich durch Proſelytenmacherei mit<lb/> Wort und Schwert und Feuer zu bethätigen ſuchten, ſchlägt die<lb/> Gluth der Empfindung zurück in die eigene Seele: es gilt fortan<lb/> dieſe zu befreien von den Schlacken des Irdiſchen, das eigene Ge-<lb/> wiſſen zu reinigen vom Bewußtſein der Sünde; der Andere iſt<lb/> gleichgültig. So verſenkt ſich die Seele in das Denken und Seh-<lb/> nen, begierig nach näherer Gemeinſchaft mit ſeinem Herrn und<lb/> Freunde; das der Erlöſung bedürftige und zur Entſagung bereite<lb/> Gemüth gedenkt ſeines Leidens und ſeines Opfertodes und will<lb/> in Demuth jene Stätten beſuchen, wo er wandelte, wo er litt und<lb/> ſtarb, und dort anbeten und das ſchuldbeladene Gewiſſen erleichtern.<lb/> So zogen die Pilger nach dem gelobten Lande, in Andacht verſunken,<lb/> zur Schwärmerei geneigt, und kehrten zurück, entzündet von orien-<lb/> taliſcher Glaubensgluth, deren lodernder Fanatismus ſich aber<lb/> nach innen kehrte und die Seele der Herrſchaft der Gefühle völlig<lb/> unterwarf.</p><lb/> <p>Einmal aus der Welt der Thaten in die der Empfindungen<lb/> hineingeworfen, blieb der Menſch mit ſeinem Sehnen und Den-<lb/> ken nicht im Gebiet des Religiöſen ſtehen: zu der himmliſchen<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [75/0093]
1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
mit ihnen, denn ſie ſelbſt waren ſchon ein Ausfluß des neuen
Geiſtes, in allen Zweigen der Cultur nicht leicht überſchätzen. Es
entſteht eine völlig andere Zeit; aus den Zweifeln iſt die Welt
befreit, die ſo lange im Kampf begriffenen Elemente haben ſich
verſöhnt, und aus ihrer gegenſeitigen fruchtbaren Durchdringung
erblüht nun, nachdem die ausgeſtreute Saat im 11. Jahrhundert
eine kurze Winterzeit geruht hat, ein neues, trotz aller fremden
Anſtöße und Elemente dennoch originales Leben üppig hervor.
Das ganze Sein und Denken der Menſchen wird allſeitig und im
tiefſten Innern erfaßt.
Das Heidenthum hat ausgeſpielt und verklingt in leiſen
Tönen in Sage und Märchen und Volksgebräuchen. Das Chriſten-
thum hat nun Wurzel geſchlagen in der Tiefe des deutſchen Ge-
müths und ſprießt mit einer Innigkeit des Glaubens und einer
Wahrheit des Gefühls hervor, die bekunden, daß es fortan die
Grundlage des geiſtigen Seins bildet. Statt daß früher der Glau-
benseifer und die Orthodoxie ſich durch Proſelytenmacherei mit
Wort und Schwert und Feuer zu bethätigen ſuchten, ſchlägt die
Gluth der Empfindung zurück in die eigene Seele: es gilt fortan
dieſe zu befreien von den Schlacken des Irdiſchen, das eigene Ge-
wiſſen zu reinigen vom Bewußtſein der Sünde; der Andere iſt
gleichgültig. So verſenkt ſich die Seele in das Denken und Seh-
nen, begierig nach näherer Gemeinſchaft mit ſeinem Herrn und
Freunde; das der Erlöſung bedürftige und zur Entſagung bereite
Gemüth gedenkt ſeines Leidens und ſeines Opfertodes und will
in Demuth jene Stätten beſuchen, wo er wandelte, wo er litt und
ſtarb, und dort anbeten und das ſchuldbeladene Gewiſſen erleichtern.
So zogen die Pilger nach dem gelobten Lande, in Andacht verſunken,
zur Schwärmerei geneigt, und kehrten zurück, entzündet von orien-
taliſcher Glaubensgluth, deren lodernder Fanatismus ſich aber
nach innen kehrte und die Seele der Herrſchaft der Gefühle völlig
unterwarf.
Einmal aus der Welt der Thaten in die der Empfindungen
hineingeworfen, blieb der Menſch mit ſeinem Sehnen und Den-
ken nicht im Gebiet des Religiöſen ſtehen: zu der himmliſchen
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