Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.2. Die Reaction und die spanische Tracht. Um das Jahr 1600, als sich schon mannigfach die Anzeichen Als Ersatz des für gewöhnlich der bürgerlich städtischen 2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht. Um das Jahr 1600, als ſich ſchon mannigfach die Anzeichen Als Erſatz des für gewöhnlich der bürgerlich ſtädtiſchen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0145" n="133"/> <fw place="top" type="header">2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.</fw><lb/> <p>Um das Jahr 1600, als ſich ſchon mannigfach die Anzeichen<lb/> einer neuen Coſtümperiode ſichtbar machen, hat der Reifrock in<lb/> Deutſchland noch keineswegs an Bedeutung verloren; aber ſeine<lb/> Form iſt nicht zum Vortheil der weiblichen Erſcheinung geändert.<lb/> Städterinnen tragen ihn ſo, daß er förmlich einer Tonne gleicht.<lb/> Folgen wir ſeinem Profil, ſo beginnt er von der Taille ab rund-<lb/> um in völlig horizontaler Linie auf ein bis zwei Fuß Weite oder<lb/> darüber abzuſtehen und dann, im rechten Winkel ſich brechend,<lb/> fällt er ſenkrecht nicht ganz bis auf den Boden herab. Im Jahr<lb/> 1612 verbietet die ſächſiſche Ordnung alle „Leibeiſen“ oder die<lb/> „großen Eiſen und Wülſte unter den Röcken.“ Als die modiſche<lb/> Welt den Reifrock aufgegeben hat, ſpielt er noch eine Zeitlang<lb/> ſeine Rolle bei den Bürgerfrauen mit den andern herunter ge-<lb/> kommenen Trachtenſtücken, und ſelbſt auch bei den (proteſtan-<lb/> tiſchen) Kloſterjungfrauen. Eine braunſchweigiſch-lüneburgiſche<lb/> Verordnung vom Jahre 1619 verbietet ihnen „mit Eiſen oder<lb/> ſonſt weit ausgeſperrte Röcke zu tragen.“ Seiner Zeit werden<lb/> wir ihn wieder zu neuem Lebensgange emporwachſen ſehen.</p><lb/> <p>Als Erſatz des für gewöhnlich der bürgerlich ſtädtiſchen<lb/> Tracht überlaſſenen Mantels konnte unter Umſtänden das weite<lb/> Oberkleid dienen, gewöhnlicher aber die kurze <hi rendition="#g">Schaube</hi> oder<lb/> die <hi rendition="#g">Mantille</hi>, welcher Name ſchon damals in Deutſchland ge-<lb/> hört wurde. Die männliche Schaube war bisher nicht von den<lb/> Frauen getragen worden, geht nun aber in allen Formen auf ſie<lb/> über, ſowie ſie ſich in der oben angegebenen Weiſe verkürzt und<lb/> ſich, leichter und zierlicher geworden, dem kurzen Mantel nähert.<lb/> Und grade ſo geſchieht es mit dem letzteren ſelbſt, auch dieſen<lb/> ſchlägt die modiſche Dame um ihre Schultern. Die geſtrengen<lb/> Tadler, die Geiſtlichen, bemerken das ſofort und laſſen ſich dar-<lb/> über mit gar wenig Galanterie aus: „Die Mantelichen oder<lb/> Harzkappen waren zwar vor Alters der Geiſtlichen, nachmals in<lb/> Niederland der Kaufleute und anderer ehrlicher Bürger Ehren-<lb/> kleid, in welches doch endlich auch die Kriegsleute gekrochen ſein.<lb/> Aber die Weiber haben keine Ruhe gehabt, bis ſie dieſelbe über<lb/> ihr knickknackend Ribbenfell gezogen und mit dem levitiſchen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [133/0145]
2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
Um das Jahr 1600, als ſich ſchon mannigfach die Anzeichen
einer neuen Coſtümperiode ſichtbar machen, hat der Reifrock in
Deutſchland noch keineswegs an Bedeutung verloren; aber ſeine
Form iſt nicht zum Vortheil der weiblichen Erſcheinung geändert.
Städterinnen tragen ihn ſo, daß er förmlich einer Tonne gleicht.
Folgen wir ſeinem Profil, ſo beginnt er von der Taille ab rund-
um in völlig horizontaler Linie auf ein bis zwei Fuß Weite oder
darüber abzuſtehen und dann, im rechten Winkel ſich brechend,
fällt er ſenkrecht nicht ganz bis auf den Boden herab. Im Jahr
1612 verbietet die ſächſiſche Ordnung alle „Leibeiſen“ oder die
„großen Eiſen und Wülſte unter den Röcken.“ Als die modiſche
Welt den Reifrock aufgegeben hat, ſpielt er noch eine Zeitlang
ſeine Rolle bei den Bürgerfrauen mit den andern herunter ge-
kommenen Trachtenſtücken, und ſelbſt auch bei den (proteſtan-
tiſchen) Kloſterjungfrauen. Eine braunſchweigiſch-lüneburgiſche
Verordnung vom Jahre 1619 verbietet ihnen „mit Eiſen oder
ſonſt weit ausgeſperrte Röcke zu tragen.“ Seiner Zeit werden
wir ihn wieder zu neuem Lebensgange emporwachſen ſehen.
Als Erſatz des für gewöhnlich der bürgerlich ſtädtiſchen
Tracht überlaſſenen Mantels konnte unter Umſtänden das weite
Oberkleid dienen, gewöhnlicher aber die kurze Schaube oder
die Mantille, welcher Name ſchon damals in Deutſchland ge-
hört wurde. Die männliche Schaube war bisher nicht von den
Frauen getragen worden, geht nun aber in allen Formen auf ſie
über, ſowie ſie ſich in der oben angegebenen Weiſe verkürzt und
ſich, leichter und zierlicher geworden, dem kurzen Mantel nähert.
Und grade ſo geſchieht es mit dem letzteren ſelbſt, auch dieſen
ſchlägt die modiſche Dame um ihre Schultern. Die geſtrengen
Tadler, die Geiſtlichen, bemerken das ſofort und laſſen ſich dar-
über mit gar wenig Galanterie aus: „Die Mantelichen oder
Harzkappen waren zwar vor Alters der Geiſtlichen, nachmals in
Niederland der Kaufleute und anderer ehrlicher Bürger Ehren-
kleid, in welches doch endlich auch die Kriegsleute gekrochen ſein.
Aber die Weiber haben keine Ruhe gehabt, bis ſie dieſelbe über
ihr knickknackend Ribbenfell gezogen und mit dem levitiſchen
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