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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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III. Die Neuzeit.
daß er sie alle, seine Mitstrebenden und das ganze jüngere und
nachfolgende Geschlecht, seines Weges zu führen wußte, alle
Künstler, welche Gegenstände sie erwählten und welche Technik
sie übten, daß ein ganzes Jahrhundert der Kunst genug hatte,
die von ihm angeschlagenen Richtungen zu gehen und zugleich
mit originaler Meisterschaft zur Vollendung zu führen, davon
war der Grund, daß er sie auf die Natur hinführte und sie lehrte,
in ihr mit freiem Blick die ursprüngliche, ungetrübte Schönheit
zu erblicken. Diesem Naturalismus verdanken die Niederlande
eine Blüthenperiode der Kunst, die keiner andern zu weichen
braucht an Schönheit wie an Originalität.

Nicht so gut erging es Frankreich auf dem naturalistischen
Wege. Seine Läuterungsperiode der religiösen Bürgerkriege war
nicht tiefgehend gewesen, und es fehlte ihm ein Rubens, der den
rechten Weg hätte führen können. So wurde zwar der Manie-
rismus abgestreift, aber es mangelte der entgegengesetzten Rich-
tung an Muth, schöpferischer Kraft und unbefangener Empfin-
dung. Die Sehnsucht nach der Natur aus den verzerrten und
verschrobenen, überfeinerten Gesellschaftszuständen spricht sich in
mannigfacher Weise aus. Ein Zeichen davon ist der ungemeine
Beifall, mit welchem grade in dieser Zeit der erste Schäferroman,
Honore d'Urfee's Asträa, aufgenommen wurde: alles fand Wohl-
gefallen an dem Unschuldigthun der verliebten arkadischen Schä-
fer und Schäferinnen, aber es war nur eine Koketterie, denn
Urfee hatte dem zierlichen Salonwesen nur ein ländlich-idyllisches
Kleid angezogen. Der blasirten Welt gefiel dieses neue Masken-
spiel. Aehnlich blieb der ganze Naturalismus in Frankreich nur
eine Koketterie. Indeß wurde doch seit dem Tode Heinrichs III.,
der sich auf dem Throne zur Carricatur Philipps II. gemacht
hatte, die steife spanische Weise am französischen Hofe gestürzt,
und ein leichterer, freierer und geistvollerer, wenn auch nicht sitt-
licherer Ton eingeführt.

Dieser letztere kam auch nach Deutschland herüber und be-
herrschte zunächst die Höfe, während in der Masse des Volks der
entsetzliche Krieg den Naturalismus nicht zu so glücklicher Wir-

III. Die Neuzeit.
daß er ſie alle, ſeine Mitſtrebenden und das ganze jüngere und
nachfolgende Geſchlecht, ſeines Weges zu führen wußte, alle
Künſtler, welche Gegenſtände ſie erwählten und welche Technik
ſie übten, daß ein ganzes Jahrhundert der Kunſt genug hatte,
die von ihm angeſchlagenen Richtungen zu gehen und zugleich
mit originaler Meiſterſchaft zur Vollendung zu führen, davon
war der Grund, daß er ſie auf die Natur hinführte und ſie lehrte,
in ihr mit freiem Blick die urſprüngliche, ungetrübte Schönheit
zu erblicken. Dieſem Naturalismus verdanken die Niederlande
eine Blüthenperiode der Kunſt, die keiner andern zu weichen
braucht an Schönheit wie an Originalität.

Nicht ſo gut erging es Frankreich auf dem naturaliſtiſchen
Wege. Seine Läuterungsperiode der religiöſen Bürgerkriege war
nicht tiefgehend geweſen, und es fehlte ihm ein Rubens, der den
rechten Weg hätte führen können. So wurde zwar der Manie-
rismus abgeſtreift, aber es mangelte der entgegengeſetzten Rich-
tung an Muth, ſchöpferiſcher Kraft und unbefangener Empfin-
dung. Die Sehnſucht nach der Natur aus den verzerrten und
verſchrobenen, überfeinerten Geſellſchaftszuſtänden ſpricht ſich in
mannigfacher Weiſe aus. Ein Zeichen davon iſt der ungemeine
Beifall, mit welchem grade in dieſer Zeit der erſte Schäferroman,
Honoré d’Urfée’s Aſträa, aufgenommen wurde: alles fand Wohl-
gefallen an dem Unſchuldigthun der verliebten arkadiſchen Schä-
fer und Schäferinnen, aber es war nur eine Koketterie, denn
Urfée hatte dem zierlichen Salonweſen nur ein ländlich-idylliſches
Kleid angezogen. Der blaſirten Welt gefiel dieſes neue Masken-
ſpiel. Aehnlich blieb der ganze Naturalismus in Frankreich nur
eine Koketterie. Indeß wurde doch ſeit dem Tode Heinrichs III.,
der ſich auf dem Throne zur Carricatur Philipps II. gemacht
hatte, die ſteife ſpaniſche Weiſe am franzöſiſchen Hofe geſtürzt,
und ein leichterer, freierer und geiſtvollerer, wenn auch nicht ſitt-
licherer Ton eingeführt.

Dieſer letztere kam auch nach Deutſchland herüber und be-
herrſchte zunächſt die Höfe, während in der Maſſe des Volks der
entſetzliche Krieg den Naturalismus nicht zu ſo glücklicher Wir-

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[172/0184] III. Die Neuzeit. daß er ſie alle, ſeine Mitſtrebenden und das ganze jüngere und nachfolgende Geſchlecht, ſeines Weges zu führen wußte, alle Künſtler, welche Gegenſtände ſie erwählten und welche Technik ſie übten, daß ein ganzes Jahrhundert der Kunſt genug hatte, die von ihm angeſchlagenen Richtungen zu gehen und zugleich mit originaler Meiſterſchaft zur Vollendung zu führen, davon war der Grund, daß er ſie auf die Natur hinführte und ſie lehrte, in ihr mit freiem Blick die urſprüngliche, ungetrübte Schönheit zu erblicken. Dieſem Naturalismus verdanken die Niederlande eine Blüthenperiode der Kunſt, die keiner andern zu weichen braucht an Schönheit wie an Originalität. Nicht ſo gut erging es Frankreich auf dem naturaliſtiſchen Wege. Seine Läuterungsperiode der religiöſen Bürgerkriege war nicht tiefgehend geweſen, und es fehlte ihm ein Rubens, der den rechten Weg hätte führen können. So wurde zwar der Manie- rismus abgeſtreift, aber es mangelte der entgegengeſetzten Rich- tung an Muth, ſchöpferiſcher Kraft und unbefangener Empfin- dung. Die Sehnſucht nach der Natur aus den verzerrten und verſchrobenen, überfeinerten Geſellſchaftszuſtänden ſpricht ſich in mannigfacher Weiſe aus. Ein Zeichen davon iſt der ungemeine Beifall, mit welchem grade in dieſer Zeit der erſte Schäferroman, Honoré d’Urfée’s Aſträa, aufgenommen wurde: alles fand Wohl- gefallen an dem Unſchuldigthun der verliebten arkadiſchen Schä- fer und Schäferinnen, aber es war nur eine Koketterie, denn Urfée hatte dem zierlichen Salonweſen nur ein ländlich-idylliſches Kleid angezogen. Der blaſirten Welt gefiel dieſes neue Masken- ſpiel. Aehnlich blieb der ganze Naturalismus in Frankreich nur eine Koketterie. Indeß wurde doch ſeit dem Tode Heinrichs III., der ſich auf dem Throne zur Carricatur Philipps II. gemacht hatte, die ſteife ſpaniſche Weiſe am franzöſiſchen Hofe geſtürzt, und ein leichterer, freierer und geiſtvollerer, wenn auch nicht ſitt- licherer Ton eingeführt. Dieſer letztere kam auch nach Deutſchland herüber und be- herrſchte zunächſt die Höfe, während in der Maſſe des Volks der entſetzliche Krieg den Naturalismus nicht zu ſo glücklicher Wir-

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/184>, abgerufen am 25.11.2024.