Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs. hann Georgs I. vom Jahr 1612, hat nur die Classenscheidung imAuge, indem sie noch an die alte Reichstagsordnung von 1548 anknüpft. Doch stellen sich in diesem Punkte einige Verschiebun- gen ein, indem die Doctoren, die früher dem adeligen Ritter gleichgestellt waren, also mit ihren Frauen über dem einfachen Edelmann standen, jetzt in ihrem Werthe sinken und dagegen die fürstlichen Beamten bedeutend in der Schätzung steigen. Die sächsische Ordnung läßt den Doctoren und ihren Frauen die alten Privilegien nur aus Gnaden -- "wir können sie ihnen gnädigst gönnen" -- doch auch in unbeschränktem Maße nur denjenigen, "so unsere Räthe und deroselben Weiber und Kinder." Den Doc- toren folgen gleich die "Hofdiener, so nit graduiret," desgleichen die Sekretarien, Räthe u. s. w. Dann werden die Pfarrer mit ihren Weibern und Kindern bloß vermahnt, sich in ziemlicher Tracht und Kleidung zu halten, damit man nicht nöthig habe, sie zu strafen. Ihnen folgen die Schösser, Amtsvögte, Verwalter, Bürgermeister und Rathsverwandte, diesen die Handelsleute, Krämer und vermögende Bürger, so nicht von ihrem Handwerk, sondern von ihren Gütern, Renten oder anderem bürgerlichen Gewerb sich allein ernähren. Endlich kommen die gemeinen Bürger und Handwerker, die Dienstboten und schließlich der Bauersmann. Städtische Ordnungen stellen die Doctoren noch den Bürgermeistern gleich, welchen letzteren natürlich "zu Ehren der Stadt" ein Mehr, z. B. zwei Ketten statt einer, gestattet wird. Auch die Braunschweiger Ordnung von 1618 hebt die- jenigen Doctoren hervor, welche fürstliche Räthe sind. Gegen die Mitte des Jahrhunderts und später richten sich 3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs. hann Georgs I. vom Jahr 1612, hat nur die Claſſenſcheidung imAuge, indem ſie noch an die alte Reichstagsordnung von 1548 anknüpft. Doch ſtellen ſich in dieſem Punkte einige Verſchiebun- gen ein, indem die Doctoren, die früher dem adeligen Ritter gleichgeſtellt waren, alſo mit ihren Frauen über dem einfachen Edelmann ſtanden, jetzt in ihrem Werthe ſinken und dagegen die fürſtlichen Beamten bedeutend in der Schätzung ſteigen. Die ſächſiſche Ordnung läßt den Doctoren und ihren Frauen die alten Privilegien nur aus Gnaden — „wir können ſie ihnen gnädigſt gönnen“ — doch auch in unbeſchränktem Maße nur denjenigen, „ſo unſere Räthe und deroſelben Weiber und Kinder.“ Den Doc- toren folgen gleich die „Hofdiener, ſo nit graduiret,“ desgleichen die Sekretarien, Räthe u. ſ. w. Dann werden die Pfarrer mit ihren Weibern und Kindern bloß vermahnt, ſich in ziemlicher Tracht und Kleidung zu halten, damit man nicht nöthig habe, ſie zu ſtrafen. Ihnen folgen die Schöſſer, Amtsvögte, Verwalter, Bürgermeiſter und Rathsverwandte, dieſen die Handelsleute, Krämer und vermögende Bürger, ſo nicht von ihrem Handwerk, ſondern von ihren Gütern, Renten oder anderem bürgerlichen Gewerb ſich allein ernähren. Endlich kommen die gemeinen Bürger und Handwerker, die Dienſtboten und ſchließlich der Bauersmann. Städtiſche Ordnungen ſtellen die Doctoren noch den Bürgermeiſtern gleich, welchen letzteren natürlich „zu Ehren der Stadt“ ein Mehr, z. B. zwei Ketten ſtatt einer, geſtattet wird. Auch die Braunſchweiger Ordnung von 1618 hebt die- jenigen Doctoren hervor, welche fürſtliche Räthe ſind. Gegen die Mitte des Jahrhunderts und ſpäter richten ſich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0219" n="207"/><fw place="top" type="header">3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. 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3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.
hann Georgs I. vom Jahr 1612, hat nur die Claſſenſcheidung im
Auge, indem ſie noch an die alte Reichstagsordnung von 1548
anknüpft. Doch ſtellen ſich in dieſem Punkte einige Verſchiebun-
gen ein, indem die Doctoren, die früher dem adeligen Ritter
gleichgeſtellt waren, alſo mit ihren Frauen über dem einfachen
Edelmann ſtanden, jetzt in ihrem Werthe ſinken und dagegen die
fürſtlichen Beamten bedeutend in der Schätzung ſteigen. Die
ſächſiſche Ordnung läßt den Doctoren und ihren Frauen die alten
Privilegien nur aus Gnaden — „wir können ſie ihnen gnädigſt
gönnen“ — doch auch in unbeſchränktem Maße nur denjenigen,
„ſo unſere Räthe und deroſelben Weiber und Kinder.“ Den Doc-
toren folgen gleich die „Hofdiener, ſo nit graduiret,“ desgleichen
die Sekretarien, Räthe u. ſ. w. Dann werden die Pfarrer mit
ihren Weibern und Kindern bloß vermahnt, ſich in ziemlicher
Tracht und Kleidung zu halten, damit man nicht nöthig habe, ſie
zu ſtrafen. Ihnen folgen die Schöſſer, Amtsvögte, Verwalter,
Bürgermeiſter und Rathsverwandte, dieſen die Handelsleute,
Krämer und vermögende Bürger, ſo nicht von ihrem Handwerk,
ſondern von ihren Gütern, Renten oder anderem bürgerlichen
Gewerb ſich allein ernähren. Endlich kommen die gemeinen
Bürger und Handwerker, die Dienſtboten und ſchließlich der
Bauersmann. Städtiſche Ordnungen ſtellen die Doctoren noch
den Bürgermeiſtern gleich, welchen letzteren natürlich „zu Ehren
der Stadt“ ein Mehr, z. B. zwei Ketten ſtatt einer, geſtattet
wird. Auch die Braunſchweiger Ordnung von 1618 hebt die-
jenigen Doctoren hervor, welche fürſtliche Räthe ſind.
Gegen die Mitte des Jahrhunderts und ſpäter richten ſich
auch die Ordnungen gegen die leichte Luxuswaare, insbeſondere
gegen die Spitzen, „Knüppels“, „Knüttelſe“, „Knüttelwerk“, und
die geſtickten ſeidenen Strümpfe, ſowie ebenfalls gegen die Ent-
blößung. So werden in der Braunſchweiger Ordnung von
1662 ganz kategoriſch „auf einmal caſſiret verboten in specie
die vielfältige Bändertrachten, ſammt Kragenbenähung, alſo und
dergeſtalt, daß alle Frauen und Jungfrauen, welche hinfüro mit
denen ſchmalen güldenen, ſilbernen oder auch ſeidenen überflüſſi-
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