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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
Ideen neu zu gestalten, treten noch die großen politischen und
religiösen Weltereignisse im brausenden Sturm hinzu, welcher
die stilleren Bewegungen des Geistes und der Gesellschaft über-
täubt. Durch die Vereinigung der vielen und auseinander lie-
genden Länder unter dem Scepter der Habsburger, die nun von
gemeinsamer Politik geleitet wurden, durch die unaufhörlichen
großen Kriege, die den Zankapfel Italien betrafen, waren die
Völker des abendländischen Europa in eine Fülle von Wechsel-
beziehungen gerathen, welche dem ganzen Mittelalter unbekannt
gewesen war. Das Kriegsleben, die Soldaten, die nun aus dem
Volke hervorgingen und in dasselbe zurückkehrten, ließen die
Wirkung hinunterfühlen bis in die untersten Schichten.

Ohne Vergleich noch ausgebreiteter und intensiver bis ins
Innerste der Herzen wirkten die religiösen Bewegungen, die man
unter dem Namen Reformation zusammenzufassen gewohnt ist.
Das seit langem gefühlte und in Concilien anerkannte Bedürf-
niß nach Reformen auf diesem Gebiet machte sich am Ende ge-
waltsam Luft. Recht aus der Tiefe des Volkes hervorgegangen,
verbreitete sich die Bewegung wie ein vom Sturm gejagtes Feuer
und ergriff in kürzester Frist, freundlich oder feindlich, die ge-
sammte Masse des deutschen Volks in allen Ständen und spaltete
es in zwei Lager, die in beständig aufgeregter Wachsamkeit ein-
ander gegenüber standen.

Diese allgemeine und allseitige Aufregung, welche die
öffentlichen Verhältnisse umwandelte, wie sie zugleich das ganze
Sein und Denken der Menschen erschütterte und in eine neue
Bahn warf, konnte nicht umhin, auch das Aeußere derselben in
gleicher Weise umzugestalten. Wie sich die Leidenschaften des
Menschen seinem Gesichte eingraben, wie die Geschichte seines
Lebens von ihren schwersten Momenten die Eindrücke zurückläßt,
so trägt auch die Menschheit von den erschütternden Weltereig-
nissen, von den aufregenden und vorwärts treibenden Ideen die
Zeichen unverkennbar an sich in ihrem Aeußern bis auf die Klei-
dung und die Physiognomie. In dem Sturm und Drang der
neuen Zeit, da Schlag auf Schlag große Begebenheiten die er-

1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
Ideen neu zu geſtalten, treten noch die großen politiſchen und
religiöſen Weltereigniſſe im brauſenden Sturm hinzu, welcher
die ſtilleren Bewegungen des Geiſtes und der Geſellſchaft über-
täubt. Durch die Vereinigung der vielen und auseinander lie-
genden Länder unter dem Scepter der Habsburger, die nun von
gemeinſamer Politik geleitet wurden, durch die unaufhörlichen
großen Kriege, die den Zankapfel Italien betrafen, waren die
Völker des abendländiſchen Europa in eine Fülle von Wechſel-
beziehungen gerathen, welche dem ganzen Mittelalter unbekannt
geweſen war. Das Kriegsleben, die Soldaten, die nun aus dem
Volke hervorgingen und in daſſelbe zurückkehrten, ließen die
Wirkung hinunterfühlen bis in die unterſten Schichten.

Ohne Vergleich noch ausgebreiteter und intenſiver bis ins
Innerſte der Herzen wirkten die religiöſen Bewegungen, die man
unter dem Namen Reformation zuſammenzufaſſen gewohnt iſt.
Das ſeit langem gefühlte und in Concilien anerkannte Bedürf-
niß nach Reformen auf dieſem Gebiet machte ſich am Ende ge-
waltſam Luft. Recht aus der Tiefe des Volkes hervorgegangen,
verbreitete ſich die Bewegung wie ein vom Sturm gejagtes Feuer
und ergriff in kürzeſter Friſt, freundlich oder feindlich, die ge-
ſammte Maſſe des deutſchen Volks in allen Ständen und ſpaltete
es in zwei Lager, die in beſtändig aufgeregter Wachſamkeit ein-
ander gegenüber ſtanden.

Dieſe allgemeine und allſeitige Aufregung, welche die
öffentlichen Verhältniſſe umwandelte, wie ſie zugleich das ganze
Sein und Denken der Menſchen erſchütterte und in eine neue
Bahn warf, konnte nicht umhin, auch das Aeußere derſelben in
gleicher Weiſe umzugeſtalten. Wie ſich die Leidenſchaften des
Menſchen ſeinem Geſichte eingraben, wie die Geſchichte ſeines
Lebens von ihren ſchwerſten Momenten die Eindrücke zurückläßt,
ſo trägt auch die Menſchheit von den erſchütternden Weltereig-
niſſen, von den aufregenden und vorwärts treibenden Ideen die
Zeichen unverkennbar an ſich in ihrem Aeußern bis auf die Klei-
dung und die Phyſiognomie. In dem Sturm und Drang der
neuen Zeit, da Schlag auf Schlag große Begebenheiten die er-

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[11/0023] 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. Ideen neu zu geſtalten, treten noch die großen politiſchen und religiöſen Weltereigniſſe im brauſenden Sturm hinzu, welcher die ſtilleren Bewegungen des Geiſtes und der Geſellſchaft über- täubt. Durch die Vereinigung der vielen und auseinander lie- genden Länder unter dem Scepter der Habsburger, die nun von gemeinſamer Politik geleitet wurden, durch die unaufhörlichen großen Kriege, die den Zankapfel Italien betrafen, waren die Völker des abendländiſchen Europa in eine Fülle von Wechſel- beziehungen gerathen, welche dem ganzen Mittelalter unbekannt geweſen war. Das Kriegsleben, die Soldaten, die nun aus dem Volke hervorgingen und in daſſelbe zurückkehrten, ließen die Wirkung hinunterfühlen bis in die unterſten Schichten. Ohne Vergleich noch ausgebreiteter und intenſiver bis ins Innerſte der Herzen wirkten die religiöſen Bewegungen, die man unter dem Namen Reformation zuſammenzufaſſen gewohnt iſt. Das ſeit langem gefühlte und in Concilien anerkannte Bedürf- niß nach Reformen auf dieſem Gebiet machte ſich am Ende ge- waltſam Luft. Recht aus der Tiefe des Volkes hervorgegangen, verbreitete ſich die Bewegung wie ein vom Sturm gejagtes Feuer und ergriff in kürzeſter Friſt, freundlich oder feindlich, die ge- ſammte Maſſe des deutſchen Volks in allen Ständen und ſpaltete es in zwei Lager, die in beſtändig aufgeregter Wachſamkeit ein- ander gegenüber ſtanden. Dieſe allgemeine und allſeitige Aufregung, welche die öffentlichen Verhältniſſe umwandelte, wie ſie zugleich das ganze Sein und Denken der Menſchen erſchütterte und in eine neue Bahn warf, konnte nicht umhin, auch das Aeußere derſelben in gleicher Weiſe umzugeſtalten. Wie ſich die Leidenſchaften des Menſchen ſeinem Geſichte eingraben, wie die Geſchichte ſeines Lebens von ihren ſchwerſten Momenten die Eindrücke zurückläßt, ſo trägt auch die Menſchheit von den erſchütternden Weltereig- niſſen, von den aufregenden und vorwärts treibenden Ideen die Zeichen unverkennbar an ſich in ihrem Aeußern bis auf die Klei- dung und die Phyſiognomie. In dem Sturm und Drang der neuen Zeit, da Schlag auf Schlag große Begebenheiten die er-

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/23>, abgerufen am 21.11.2024.