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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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4. Die Staatsperrücke u. d. absolute Herrschaft d. franz. Mode.
sins oder den künstlichsten Springbrunnen; plastische Figuren in
reichen Gruppe sind überall aufgestellt. Aber jedes Detail, jeder
Baum, jede Pflanze ist mit unerbittlichster Consequenz der stil-
gemäßen Behandlung unterzogen. Statt des lebendigen, freien
Wuchses sehen wir die langen, graden Wände von gleich be-
schnittenem Grün; aus ihnen herauswachsend beleben zwar
Bäume die lange Flucht, aber sie haben sich ebenfalls der Scheere
bequemen müssen. In der Eintheilung herrscht nur die grade
Linie, die uns in der Natur am unangenehmsten berührt. Durch
den ganzen Garten in den Wegen entlang, an den Ecken und
Rändern der Rasenflächen sind kleine Taxus oder Cypressen auf-
gestellt, welche die künstlerische Scheere des Gärtners und seine
willkürliche Phantasie in allerlei sinnlose Gestalten gleich Schach-
figuren gebracht hat, denen doch wieder auf's unverkennbarste
das Siegel der Zeit aufgedrückt ist. Lange Alleen sind zu Bo-
gengängen mit den regelrechtesten Kreuzgewölben zugeschnitten;
die Stämme bilden die Säulen mit laubigem Capitäl. Die
Skulpturen, die wir hier finden, wie die ganze Plastik dieser
Zeit, tragen dasselbe Gepräge: stilgemäß in Stellung und Be-
wegung wie vom französischen Tanzmeister geschult, mit der
ganzen, affectirten Aftergrazie, mit flatternden und doch schwer
und eckig gebrochenen Gewändern, bilden sie die passendsten Be-
wohner dieser verkünstelten, verschnittenen Natur.

Sehen wir auf den Gesammteindruck, so läßt sich nichts
denken, was einstimmiger, consequenter im Charakter durchge-
führt wäre als so ein Palast mit Gartenanlagen vom Ende des
siebzehnten oder Anfang des achtzehnten Jahrhunderts: das
wilde Wasser, der freie Wald, der spröde Stein, sie fügen sich
diesem Geist, der mit Riesenmassen spielt und auch das Kleinste
nicht vorüber läßt, ohne es in seiner Form nach seinem Geiste
umzuwandeln. Aber es gehört nothwendig die passende Staffage
hinein, wie wir sie werden kennen lernen: diese feinen Herren in
goldbordirtem Degenkleid mit stattlicher blonder Perrücke, in
zierlichem Tänzerschritt die Füße gemessen bewegend, neben ihnen
die enggeschnürteu Damen mit langer Taille, die geschminkten

4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode.
ſins oder den künſtlichſten Springbrunnen; plaſtiſche Figuren in
reichen Gruppe ſind überall aufgeſtellt. Aber jedes Detail, jeder
Baum, jede Pflanze iſt mit unerbittlichſter Conſequenz der ſtil-
gemäßen Behandlung unterzogen. Statt des lebendigen, freien
Wuchſes ſehen wir die langen, graden Wände von gleich be-
ſchnittenem Grün; aus ihnen herauswachſend beleben zwar
Bäume die lange Flucht, aber ſie haben ſich ebenfalls der Scheere
bequemen müſſen. In der Eintheilung herrſcht nur die grade
Linie, die uns in der Natur am unangenehmſten berührt. Durch
den ganzen Garten in den Wegen entlang, an den Ecken und
Rändern der Raſenflächen ſind kleine Taxus oder Cypreſſen auf-
geſtellt, welche die künſtleriſche Scheere des Gärtners und ſeine
willkürliche Phantaſie in allerlei ſinnloſe Geſtalten gleich Schach-
figuren gebracht hat, denen doch wieder auf’s unverkennbarſte
das Siegel der Zeit aufgedrückt iſt. Lange Alleen ſind zu Bo-
gengängen mit den regelrechteſten Kreuzgewölben zugeſchnitten;
die Stämme bilden die Säulen mit laubigem Capitäl. Die
Skulpturen, die wir hier finden, wie die ganze Plaſtik dieſer
Zeit, tragen daſſelbe Gepräge: ſtilgemäß in Stellung und Be-
wegung wie vom franzöſiſchen Tanzmeiſter geſchult, mit der
ganzen, affectirten Aftergrazie, mit flatternden und doch ſchwer
und eckig gebrochenen Gewändern, bilden ſie die paſſendſten Be-
wohner dieſer verkünſtelten, verſchnittenen Natur.

Sehen wir auf den Geſammteindruck, ſo läßt ſich nichts
denken, was einſtimmiger, conſequenter im Charakter durchge-
führt wäre als ſo ein Palaſt mit Gartenanlagen vom Ende des
ſiebzehnten oder Anfang des achtzehnten Jahrhunderts: das
wilde Waſſer, der freie Wald, der ſpröde Stein, ſie fügen ſich
dieſem Geiſt, der mit Rieſenmaſſen ſpielt und auch das Kleinſte
nicht vorüber läßt, ohne es in ſeiner Form nach ſeinem Geiſte
umzuwandeln. Aber es gehört nothwendig die paſſende Staffage
hinein, wie wir ſie werden kennen lernen: dieſe feinen Herren in
goldbordirtem Degenkleid mit ſtattlicher blonder Perrücke, in
zierlichem Tänzerſchritt die Füße gemeſſen bewegend, neben ihnen
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[221/0233] 4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode. ſins oder den künſtlichſten Springbrunnen; plaſtiſche Figuren in reichen Gruppe ſind überall aufgeſtellt. Aber jedes Detail, jeder Baum, jede Pflanze iſt mit unerbittlichſter Conſequenz der ſtil- gemäßen Behandlung unterzogen. Statt des lebendigen, freien Wuchſes ſehen wir die langen, graden Wände von gleich be- ſchnittenem Grün; aus ihnen herauswachſend beleben zwar Bäume die lange Flucht, aber ſie haben ſich ebenfalls der Scheere bequemen müſſen. In der Eintheilung herrſcht nur die grade Linie, die uns in der Natur am unangenehmſten berührt. Durch den ganzen Garten in den Wegen entlang, an den Ecken und Rändern der Raſenflächen ſind kleine Taxus oder Cypreſſen auf- geſtellt, welche die künſtleriſche Scheere des Gärtners und ſeine willkürliche Phantaſie in allerlei ſinnloſe Geſtalten gleich Schach- figuren gebracht hat, denen doch wieder auf’s unverkennbarſte das Siegel der Zeit aufgedrückt iſt. Lange Alleen ſind zu Bo- gengängen mit den regelrechteſten Kreuzgewölben zugeſchnitten; die Stämme bilden die Säulen mit laubigem Capitäl. Die Skulpturen, die wir hier finden, wie die ganze Plaſtik dieſer Zeit, tragen daſſelbe Gepräge: ſtilgemäß in Stellung und Be- wegung wie vom franzöſiſchen Tanzmeiſter geſchult, mit der ganzen, affectirten Aftergrazie, mit flatternden und doch ſchwer und eckig gebrochenen Gewändern, bilden ſie die paſſendſten Be- wohner dieſer verkünſtelten, verſchnittenen Natur. Sehen wir auf den Geſammteindruck, ſo läßt ſich nichts denken, was einſtimmiger, conſequenter im Charakter durchge- führt wäre als ſo ein Palaſt mit Gartenanlagen vom Ende des ſiebzehnten oder Anfang des achtzehnten Jahrhunderts: das wilde Waſſer, der freie Wald, der ſpröde Stein, ſie fügen ſich dieſem Geiſt, der mit Rieſenmaſſen ſpielt und auch das Kleinſte nicht vorüber läßt, ohne es in ſeiner Form nach ſeinem Geiſte umzuwandeln. Aber es gehört nothwendig die paſſende Staffage hinein, wie wir ſie werden kennen lernen: dieſe feinen Herren in goldbordirtem Degenkleid mit ſtattlicher blonder Perrücke, in zierlichem Tänzerſchritt die Füße gemeſſen bewegend, neben ihnen die enggeſchnürteu Damen mit langer Taille, die geſchminkten

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/233>, abgerufen am 24.11.2024.