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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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4. Die Staatsperrücke u. d. absolute Herrschaft d. franz. Mode.
da diese Form sich aus dem Eigenhaar herstellen ließ, so geschah
auch mit ihr der Uebergang, welcher durch das Militär längst
vermittelt war. Die Perrücke war auf dem Stock frisirt worden,
und ihr Eigenthümer hatte es sich währenddeß in der Schlaf-
haube bequem sein lassen; jetzt mußte er seinen eigenen Kopf
Stunden lang den Händen des Friseurs überlassen. Und wenn
diese zwar kleine, aber viel künstlichere Frisur endlich durch Mas-
sen von Pomade hergestellt und mit Puder überdeckt war, so be-
durfte sie einer viel sorgfältigeren Schonung, damit das schöne
Gebäude nicht zerstört oder der Puder verwischt würde.

Damit sind wir bereits, indem wir die Entwicklung der
Perrücke bis zu ihrer letzten Form verfolgten, über die Grenzen
der vorliegenden Periode hinausgekommen, und wir müssen zum
Anfang wieder zurückkehren und uns nach der übrigen Toilette
des Mannes umsehen.

Der Bart folgt in seiner Geschichte fast in umgekehrter
Richtung der des Haupthaares und der Perrücke: ihr Wachsen
bedingt seinen Fall. Wir sahen ihn bereits in der vorigen Pe-
riode vor der stattlichen Lockenfülle sich auf Ober- und Unterlippe
und auf das Kinn beschränken, und auch hier traf ihn der Friede
nur in sehr gemäßigter Form an. Als die Perrücke ihre Herr-
schaft in Deutschland antrat, also um das Jahr 1660, waren
nur noch Reste vorhanden. Zehn Jahre später dürfte kaum ein
Portrait noch den Kinnbart aufweisen, und selbst ein winziges
Restchen an der Unterlippe gehört zu den äußersten Seltenheiten.
Etwas länger hielt sich der Schnurrbart, wenn auch in zierlichster
Gestalt; nur der gemeine Soldat trug ihn zu seinem Eigenhaar
in derberer Form. In der civilen Welt mußte er noch vor dem
Schlusse des Jahrhunderts der Ueberfülle der Perrücke und dem
höfischen Wesen, das für die freundlichne, füß lächelnden Mie-
nen ein glattes Gesicht verlangte, völlig weichen. Vor seinem
Tode zeigte er den letzten Ueberrest in doppelter Gestalt: entwe-
der begleitete er wie ein feiner schwarzer Pinselstrich die Linie des
Mundes und endigte über den Mundwinkeln in einer Drehung
wie ein zierliches Amorettenlöckchen -- in dieser Form trägt ihn

4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode.
da dieſe Form ſich aus dem Eigenhaar herſtellen ließ, ſo geſchah
auch mit ihr der Uebergang, welcher durch das Militär längſt
vermittelt war. Die Perrücke war auf dem Stock friſirt worden,
und ihr Eigenthümer hatte es ſich währenddeß in der Schlaf-
haube bequem ſein laſſen; jetzt mußte er ſeinen eigenen Kopf
Stunden lang den Händen des Friſeurs überlaſſen. Und wenn
dieſe zwar kleine, aber viel künſtlichere Friſur endlich durch Maſ-
ſen von Pomade hergeſtellt und mit Puder überdeckt war, ſo be-
durfte ſie einer viel ſorgfältigeren Schonung, damit das ſchöne
Gebäude nicht zerſtört oder der Puder verwiſcht würde.

Damit ſind wir bereits, indem wir die Entwicklung der
Perrücke bis zu ihrer letzten Form verfolgten, über die Grenzen
der vorliegenden Periode hinausgekommen, und wir müſſen zum
Anfang wieder zurückkehren und uns nach der übrigen Toilette
des Mannes umſehen.

Der Bart folgt in ſeiner Geſchichte faſt in umgekehrter
Richtung der des Haupthaares und der Perrücke: ihr Wachſen
bedingt ſeinen Fall. Wir ſahen ihn bereits in der vorigen Pe-
riode vor der ſtattlichen Lockenfülle ſich auf Ober- und Unterlippe
und auf das Kinn beſchränken, und auch hier traf ihn der Friede
nur in ſehr gemäßigter Form an. Als die Perrücke ihre Herr-
ſchaft in Deutſchland antrat, alſo um das Jahr 1660, waren
nur noch Reſte vorhanden. Zehn Jahre ſpäter dürfte kaum ein
Portrait noch den Kinnbart aufweiſen, und ſelbſt ein winziges
Reſtchen an der Unterlippe gehört zu den äußerſten Seltenheiten.
Etwas länger hielt ſich der Schnurrbart, wenn auch in zierlichſter
Geſtalt; nur der gemeine Soldat trug ihn zu ſeinem Eigenhaar
in derberer Form. In der civilen Welt mußte er noch vor dem
Schluſſe des Jahrhunderts der Ueberfülle der Perrücke und dem
höfiſchen Weſen, das für die freundlichne, füß lächelnden Mie-
nen ein glattes Geſicht verlangte, völlig weichen. Vor ſeinem
Tode zeigte er den letzten Ueberreſt in doppelter Geſtalt: entwe-
der begleitete er wie ein feiner ſchwarzer Pinſelſtrich die Linie des
Mundes und endigte über den Mundwinkeln in einer Drehung
wie ein zierliches Amorettenlöckchen — in dieſer Form trägt ihn

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[237/0249] 4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode. da dieſe Form ſich aus dem Eigenhaar herſtellen ließ, ſo geſchah auch mit ihr der Uebergang, welcher durch das Militär längſt vermittelt war. Die Perrücke war auf dem Stock friſirt worden, und ihr Eigenthümer hatte es ſich währenddeß in der Schlaf- haube bequem ſein laſſen; jetzt mußte er ſeinen eigenen Kopf Stunden lang den Händen des Friſeurs überlaſſen. Und wenn dieſe zwar kleine, aber viel künſtlichere Friſur endlich durch Maſ- ſen von Pomade hergeſtellt und mit Puder überdeckt war, ſo be- durfte ſie einer viel ſorgfältigeren Schonung, damit das ſchöne Gebäude nicht zerſtört oder der Puder verwiſcht würde. Damit ſind wir bereits, indem wir die Entwicklung der Perrücke bis zu ihrer letzten Form verfolgten, über die Grenzen der vorliegenden Periode hinausgekommen, und wir müſſen zum Anfang wieder zurückkehren und uns nach der übrigen Toilette des Mannes umſehen. Der Bart folgt in ſeiner Geſchichte faſt in umgekehrter Richtung der des Haupthaares und der Perrücke: ihr Wachſen bedingt ſeinen Fall. Wir ſahen ihn bereits in der vorigen Pe- riode vor der ſtattlichen Lockenfülle ſich auf Ober- und Unterlippe und auf das Kinn beſchränken, und auch hier traf ihn der Friede nur in ſehr gemäßigter Form an. Als die Perrücke ihre Herr- ſchaft in Deutſchland antrat, alſo um das Jahr 1660, waren nur noch Reſte vorhanden. Zehn Jahre ſpäter dürfte kaum ein Portrait noch den Kinnbart aufweiſen, und ſelbſt ein winziges Reſtchen an der Unterlippe gehört zu den äußerſten Seltenheiten. Etwas länger hielt ſich der Schnurrbart, wenn auch in zierlichſter Geſtalt; nur der gemeine Soldat trug ihn zu ſeinem Eigenhaar in derberer Form. In der civilen Welt mußte er noch vor dem Schluſſe des Jahrhunderts der Ueberfülle der Perrücke und dem höfiſchen Weſen, das für die freundlichne, füß lächelnden Mie- nen ein glattes Geſicht verlangte, völlig weichen. Vor ſeinem Tode zeigte er den letzten Ueberreſt in doppelter Geſtalt: entwe- der begleitete er wie ein feiner ſchwarzer Pinſelſtrich die Linie des Mundes und endigte über den Mundwinkeln in einer Drehung wie ein zierliches Amorettenlöckchen — in dieſer Form trägt ihn

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/249>, abgerufen am 24.11.2024.