Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. derte hin Paris und seinem Hofe die unbedingteste Herrschaft imReich der Mode begründet. Aber dieser universalistischen Richtung tritt eine andere, die In Anbetracht der culturgeschichtlichen Folgen verdanken 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. derte hin Paris und ſeinem Hofe die unbedingteſte Herrſchaft imReich der Mode begründet. Aber dieſer univerſaliſtiſchen Richtung tritt eine andere, die In Anbetracht der culturgeſchichtlichen Folgen verdanken <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0027" n="15"/><fw place="top" type="header">1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.</fw><lb/> derte hin Paris und ſeinem Hofe die unbedingteſte Herrſchaft im<lb/> Reich der Mode begründet.</p><lb/> <p>Aber dieſer univerſaliſtiſchen Richtung tritt eine andere, die<lb/> particulariſtiſche, gegenüber. Es war eine der Folgen der großen<lb/> Umgeſtaltung im ſechszehnten Jahrhundert geweſen, daß mit der<lb/> Schwächung des Reichsoberhaupts die Landeshoheit der Fürſten<lb/> ſich feſtigte und erweiterte, und ſomit die einzelnen größeren oder<lb/> kleineren Herrſchaften an Selbſtändigkeit gewannen, die allge-<lb/> meinen Reichsintereſſen aber zurücktraten. Wie losgeriſſene<lb/> Tropfen für ſich die Kugelgeſtalt wieder finden, ſo zieht ſich jeder<lb/> Landestheil zu einem eigenen für ſich beſtehenden Daſein zuſam-<lb/> men und ſchließt ſich von den übrigen ab. Er führt nun ein po-<lb/> litiſches Leben für ſich, welches nicht umhin kann, alsbald auch<lb/> einen ihm eigenen ſocialen Charakter anzunehmen. Wie die Fürſten<lb/> mit ihren Ländern, wo die angeſtrebte Centraliſation auf admi-<lb/> niſtrativem Wege durch die mehr oder weniger abſolute Regi-<lb/> rungsform weſentlich befördert wurde, ſo machten es auch die<lb/> Reichsſtädte oder wer ſonſt Autonomie hatte. So geſchah es<lb/> auch weiter in den Ländern der größeren Fürſten, wo ſich wieder<lb/> kleinere und immer kleinere Kreiſe und Gebiete, durch admi-<lb/> niſtrative oder geographiſche Bedingungen begünſtigt, von ein-<lb/> ander trennten und je in ſich zuſammenſchloſſen bis auf das Amt,<lb/> bis auf das Dorf herunter.</p><lb/> <p>In Anbetracht der culturgeſchichtlichen Folgen verdanken<lb/> wir allerdings dieſer Zerlegung und Zergliederung des deutſchen<lb/> Reichskörpers die Entwicklung des reichſten und mannigfachſten<lb/> Geiſteslebens und eine möglichſte Verallgemeinerung von Bil-<lb/> dung und Kenntniſſen durch die Tiefen des Volks: aber ſie be-<lb/> günſtigte auch die Entſtehung des Spießbürgerthums, einer Er-<lb/> ſcheinung, die dem Mittelalter fremd war. Der Spießbürger iſt<lb/> dieſe fleiſchgewordene Abſchließung der kleinſten Kreiſe, die ab-<lb/> ſolute Abſperrung des ſocialen und politiſchen Horizontes inner-<lb/> halb der Grenzen ſeiner Stadt oder ſeiner Gemeinde. Dieſe<lb/> Beſchränkung oder Beſchränktheit erhält aber auch wieder eine<lb/> ehrwürdige Seite, indem ſie an dem, was ſich langſam einwur-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [15/0027]
1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
derte hin Paris und ſeinem Hofe die unbedingteſte Herrſchaft im
Reich der Mode begründet.
Aber dieſer univerſaliſtiſchen Richtung tritt eine andere, die
particulariſtiſche, gegenüber. Es war eine der Folgen der großen
Umgeſtaltung im ſechszehnten Jahrhundert geweſen, daß mit der
Schwächung des Reichsoberhaupts die Landeshoheit der Fürſten
ſich feſtigte und erweiterte, und ſomit die einzelnen größeren oder
kleineren Herrſchaften an Selbſtändigkeit gewannen, die allge-
meinen Reichsintereſſen aber zurücktraten. Wie losgeriſſene
Tropfen für ſich die Kugelgeſtalt wieder finden, ſo zieht ſich jeder
Landestheil zu einem eigenen für ſich beſtehenden Daſein zuſam-
men und ſchließt ſich von den übrigen ab. Er führt nun ein po-
litiſches Leben für ſich, welches nicht umhin kann, alsbald auch
einen ihm eigenen ſocialen Charakter anzunehmen. Wie die Fürſten
mit ihren Ländern, wo die angeſtrebte Centraliſation auf admi-
niſtrativem Wege durch die mehr oder weniger abſolute Regi-
rungsform weſentlich befördert wurde, ſo machten es auch die
Reichsſtädte oder wer ſonſt Autonomie hatte. So geſchah es
auch weiter in den Ländern der größeren Fürſten, wo ſich wieder
kleinere und immer kleinere Kreiſe und Gebiete, durch admi-
niſtrative oder geographiſche Bedingungen begünſtigt, von ein-
ander trennten und je in ſich zuſammenſchloſſen bis auf das Amt,
bis auf das Dorf herunter.
In Anbetracht der culturgeſchichtlichen Folgen verdanken
wir allerdings dieſer Zerlegung und Zergliederung des deutſchen
Reichskörpers die Entwicklung des reichſten und mannigfachſten
Geiſteslebens und eine möglichſte Verallgemeinerung von Bil-
dung und Kenntniſſen durch die Tiefen des Volks: aber ſie be-
günſtigte auch die Entſtehung des Spießbürgerthums, einer Er-
ſcheinung, die dem Mittelalter fremd war. Der Spießbürger iſt
dieſe fleiſchgewordene Abſchließung der kleinſten Kreiſe, die ab-
ſolute Abſperrung des ſocialen und politiſchen Horizontes inner-
halb der Grenzen ſeiner Stadt oder ſeiner Gemeinde. Dieſe
Beſchränkung oder Beſchränktheit erhält aber auch wieder eine
ehrwürdige Seite, indem ſie an dem, was ſich langſam einwur-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |