hunderts und der schärfste Beobachter der Lächerlichkeiten des- selben, mit seinen überaus gründlichen Untersuchungen über die Schönheitslinie diese Thorheit am eifrigsten trieb.
Es ist dieselbe Sucht zu schematisiren, oder wenn man will dasselbe Schönheits- und Stilgefühl, welches im Militärwesen den sogenannten Gamaschendienst hervorrief, der mit dem Zopf und der Gleichmacherei dieser Zeit, die alles über einen Kamm schor und die Menschen wie Bausteine behandelte, auf's engste verschwistert ist. Die schnurgrade Linie der Fronte, die kerzen- grade Haltung, die Höhengleichheit aller Köpfe und die exacten, absolut gleichen Tempos, das ist's, was das Wesen des Sol- daten ausmacht, welches in der Potsdamer Garde sprichwörtlich sich idealisch verkörpert findet. Der Soldat ist absolut willenlos und hat nicht Freiheit der Bewegung noch eine Ehre für sich. Der Grenadier ist somit der völlige Gegensatz des flotten, freien Landsknechts, der, obwohl er weiß, daß im Haufen die Macht liegt, dennoch seine eigene Ehre und, den augenblicklichen Dienst abgerechnet, auch seinen eigenen Willen sich bewahrt. Wie diese beiden Typen der militärischen Welt den Gegensatz bilden, so verhalten sich auch in der That die Reformationsperiode und das achtzehnte Jahrhundert zu einander.
Es ist höchst bezeichnend, daß der erste Friedrich Wilhelm von Preußen es sein mußte, trotz seiner deutschesten Gesinnung und anerkannt tüchtigen Eigenschaften, welcher den Gamaschen- dienst auf die Spitze trieb, denn er war zu gleicher Zeit der eigen- willigste Autokrat und kann als der Erfinder des Zopfes be- zeichnet werden, der ja allgemein als das prägnanteste Symbol dieser Zeit gilt. Denn vergegenwärtigen wir uns die Gestalt der Zopffrisur, die knappe Zusammenfassung der Haare, das Süßlichkleine, Erzwungene und Affectirte, weiß angetüncht, mit dem widerlichen Anhängsel im Nacken, das, ächt und unächt, noch besonders gesteift wird, so haben wir Schwäche und Kleinig- keitskrämerei, Pedanterie und Systemmacherei, den Gamaschen- dienst und Manierirtheit mit einander verkörpert.
Und doch schlummert auch in ihm die Ahnung einer neuen
III. Die Neuzeit.
hunderts und der ſchärfſte Beobachter der Lächerlichkeiten deſ- ſelben, mit ſeinen überaus gründlichen Unterſuchungen über die Schönheitslinie dieſe Thorheit am eifrigſten trieb.
Es iſt dieſelbe Sucht zu ſchematiſiren, oder wenn man will daſſelbe Schönheits- und Stilgefühl, welches im Militärweſen den ſogenannten Gamaſchendienſt hervorrief, der mit dem Zopf und der Gleichmacherei dieſer Zeit, die alles über einen Kamm ſchor und die Menſchen wie Bauſteine behandelte, auf’s engſte verſchwiſtert iſt. Die ſchnurgrade Linie der Fronte, die kerzen- grade Haltung, die Höhengleichheit aller Köpfe und die exacten, abſolut gleichen Tempos, das iſt’s, was das Weſen des Sol- daten ausmacht, welches in der Potsdamer Garde ſprichwörtlich ſich idealiſch verkörpert findet. Der Soldat iſt abſolut willenlos und hat nicht Freiheit der Bewegung noch eine Ehre für ſich. Der Grenadier iſt ſomit der völlige Gegenſatz des flotten, freien Landsknechts, der, obwohl er weiß, daß im Haufen die Macht liegt, dennoch ſeine eigene Ehre und, den augenblicklichen Dienſt abgerechnet, auch ſeinen eigenen Willen ſich bewahrt. Wie dieſe beiden Typen der militäriſchen Welt den Gegenſatz bilden, ſo verhalten ſich auch in der That die Reformationsperiode und das achtzehnte Jahrhundert zu einander.
Es iſt höchſt bezeichnend, daß der erſte Friedrich Wilhelm von Preußen es ſein mußte, trotz ſeiner deutſcheſten Geſinnung und anerkannt tüchtigen Eigenſchaften, welcher den Gamaſchen- dienſt auf die Spitze trieb, denn er war zu gleicher Zeit der eigen- willigſte Autokrat und kann als der Erfinder des Zopfes be- zeichnet werden, der ja allgemein als das prägnanteſte Symbol dieſer Zeit gilt. Denn vergegenwärtigen wir uns die Geſtalt der Zopffriſur, die knappe Zuſammenfaſſung der Haare, das Süßlichkleine, Erzwungene und Affectirte, weiß angetüncht, mit dem widerlichen Anhängſel im Nacken, das, ächt und unächt, noch beſonders geſteift wird, ſo haben wir Schwäche und Kleinig- keitskrämerei, Pedanterie und Syſtemmacherei, den Gamaſchen- dienſt und Manierirtheit mit einander verkörpert.
Und doch ſchlummert auch in ihm die Ahnung einer neuen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0278"n="266"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">III.</hi> Die Neuzeit.</fw><lb/>
hunderts und der ſchärfſte Beobachter der Lächerlichkeiten deſ-<lb/>ſelben, mit ſeinen überaus gründlichen Unterſuchungen über die<lb/>
Schönheitslinie dieſe Thorheit am eifrigſten trieb.</p><lb/><p>Es iſt dieſelbe Sucht zu ſchematiſiren, oder wenn man will<lb/>
daſſelbe Schönheits- und Stilgefühl, welches im Militärweſen<lb/>
den ſogenannten Gamaſchendienſt hervorrief, der mit dem Zopf<lb/>
und der Gleichmacherei dieſer Zeit, die alles über einen Kamm<lb/>ſchor und die Menſchen wie Bauſteine behandelte, auf’s engſte<lb/>
verſchwiſtert iſt. Die ſchnurgrade Linie der Fronte, die kerzen-<lb/>
grade Haltung, die Höhengleichheit aller Köpfe und die exacten,<lb/>
abſolut gleichen Tempos, das iſt’s, was das Weſen des Sol-<lb/>
daten ausmacht, welches in der Potsdamer Garde ſprichwörtlich<lb/>ſich idealiſch verkörpert findet. Der Soldat iſt abſolut willenlos<lb/>
und hat nicht Freiheit der Bewegung noch eine Ehre für ſich.<lb/>
Der Grenadier iſt ſomit der völlige Gegenſatz des flotten, freien<lb/>
Landsknechts, der, obwohl er weiß, daß im Haufen die Macht<lb/>
liegt, dennoch ſeine eigene Ehre und, den augenblicklichen Dienſt<lb/>
abgerechnet, auch ſeinen eigenen Willen ſich bewahrt. Wie dieſe<lb/>
beiden Typen der militäriſchen Welt den Gegenſatz bilden, ſo<lb/>
verhalten ſich auch in der That die Reformationsperiode und das<lb/>
achtzehnte Jahrhundert zu einander.</p><lb/><p>Es iſt höchſt bezeichnend, daß der erſte Friedrich Wilhelm<lb/>
von Preußen es ſein mußte, trotz ſeiner deutſcheſten Geſinnung<lb/>
und anerkannt tüchtigen Eigenſchaften, welcher den Gamaſchen-<lb/>
dienſt auf die Spitze trieb, denn er war zu gleicher Zeit der eigen-<lb/>
willigſte Autokrat und kann als der Erfinder des <hirendition="#g">Zopfes</hi> be-<lb/>
zeichnet werden, der ja allgemein als das prägnanteſte Symbol<lb/>
dieſer Zeit gilt. Denn vergegenwärtigen wir uns die Geſtalt<lb/>
der Zopffriſur, die knappe Zuſammenfaſſung der Haare, das<lb/>
Süßlichkleine, Erzwungene und Affectirte, weiß angetüncht, mit<lb/>
dem widerlichen Anhängſel im Nacken, das, ächt und unächt,<lb/>
noch beſonders geſteift wird, ſo haben wir Schwäche und Kleinig-<lb/>
keitskrämerei, Pedanterie und Syſtemmacherei, den Gamaſchen-<lb/>
dienſt und Manierirtheit mit einander verkörpert.</p><lb/><p>Und doch ſchlummert auch in ihm die Ahnung einer neuen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[266/0278]
III. Die Neuzeit.
hunderts und der ſchärfſte Beobachter der Lächerlichkeiten deſ-
ſelben, mit ſeinen überaus gründlichen Unterſuchungen über die
Schönheitslinie dieſe Thorheit am eifrigſten trieb.
Es iſt dieſelbe Sucht zu ſchematiſiren, oder wenn man will
daſſelbe Schönheits- und Stilgefühl, welches im Militärweſen
den ſogenannten Gamaſchendienſt hervorrief, der mit dem Zopf
und der Gleichmacherei dieſer Zeit, die alles über einen Kamm
ſchor und die Menſchen wie Bauſteine behandelte, auf’s engſte
verſchwiſtert iſt. Die ſchnurgrade Linie der Fronte, die kerzen-
grade Haltung, die Höhengleichheit aller Köpfe und die exacten,
abſolut gleichen Tempos, das iſt’s, was das Weſen des Sol-
daten ausmacht, welches in der Potsdamer Garde ſprichwörtlich
ſich idealiſch verkörpert findet. Der Soldat iſt abſolut willenlos
und hat nicht Freiheit der Bewegung noch eine Ehre für ſich.
Der Grenadier iſt ſomit der völlige Gegenſatz des flotten, freien
Landsknechts, der, obwohl er weiß, daß im Haufen die Macht
liegt, dennoch ſeine eigene Ehre und, den augenblicklichen Dienſt
abgerechnet, auch ſeinen eigenen Willen ſich bewahrt. Wie dieſe
beiden Typen der militäriſchen Welt den Gegenſatz bilden, ſo
verhalten ſich auch in der That die Reformationsperiode und das
achtzehnte Jahrhundert zu einander.
Es iſt höchſt bezeichnend, daß der erſte Friedrich Wilhelm
von Preußen es ſein mußte, trotz ſeiner deutſcheſten Geſinnung
und anerkannt tüchtigen Eigenſchaften, welcher den Gamaſchen-
dienſt auf die Spitze trieb, denn er war zu gleicher Zeit der eigen-
willigſte Autokrat und kann als der Erfinder des Zopfes be-
zeichnet werden, der ja allgemein als das prägnanteſte Symbol
dieſer Zeit gilt. Denn vergegenwärtigen wir uns die Geſtalt
der Zopffriſur, die knappe Zuſammenfaſſung der Haare, das
Süßlichkleine, Erzwungene und Affectirte, weiß angetüncht, mit
dem widerlichen Anhängſel im Nacken, das, ächt und unächt,
noch beſonders geſteift wird, ſo haben wir Schwäche und Kleinig-
keitskrämerei, Pedanterie und Syſtemmacherei, den Gamaſchen-
dienſt und Manierirtheit mit einander verkörpert.
Und doch ſchlummert auch in ihm die Ahnung einer neuen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/278>, abgerufen am 29.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.