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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
Oeilladen, Grace, Tour und Port,
Darin besteht mein größtes Fort.
Diantre! das Deutsche will nicht fließen,
Drum muß ich den Artikel schließen.

An der Frauenkleidung treten uns bis in die letzten
Jahrzehnte des achtzehnten Jahrhunderts nur zwei Theile mit
bedeutungsvoller Geschichte entgegen. Das ist die Kopftracht
und der Reifrock, während die Bekleidung des Oberkörpers
mit dem Schnürleib, der Decolletirung, den halbentblößten Aer-
meln nur dem Wechsel der kleinen Moden unterworfen ist, im
Charakter aber zunächst keine Aenderung erleidet. Beide, die
Frisur und der Rock, scheinen im Anfange einen entgegengesetz-
ten Weg einzuschlagen, denn jene steigt ein halbes Jahrhundert
hindurch von der grotesken Höhe der Fontange zu möglichster
Kleinheit herab, während dieser bis zur französischen Revolution
ballonartig anschwillt. Aber wir haben schon einmal gesehen,
wie der Reifrock mit einer Zeit zusammenhängt, in welcher das
Leben erstirbt und sich in feste, conventionelle Formen zusammen-
zieht, und es erhebt sich dann wieder in der zweiten Hälfte des
achtzehnten Jahrhunderts die Frisur zu einer Höhe, daß sie an
Unnatur und grandioser Ungestalt dem Reifrock nicht nachsteht.

Wenn ungefähr das Jahr 1720 allgemein als das Ende
der Fontange angenommen werden muß, so konnte man doch
schon bald nach 1700 in den höchsten Ständen Damen mit freier
Frisur sehen: es war nur diese hohe Band- und Spitzenhaube
weggelassen und übrigens das Haar in gleicher Weise mit künst-
lichen Locken perrückenähnlich nach oben gethürmt und mannig-
faches Geschmeide dazwischen befestigt. Aber wie die Perrücke,
so sanken auch von Jahr zu Jahr diese Locken, und das gesammte
Haar sammelte sich immer dichter gedrängt und in scheinbar
wirrem Gelock um den Kopf und ließ Ohren, Hals und Nacken
völlig frei. Nur ein Paar lange, geringelte Locken fallen hinter
dem Ohr herab und werfen kokett ihre leichten, flüchtigen Wol-
kenschatten über die weißen oder geweißten Schultern. Die
Damen der höheren Stände trugen diese Frisur, mit welcher der

5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
Oeilladen, Grace, Tour und Port,
Darin beſteht mein größtes Fort.
Diantre! das Deutſche will nicht fließen,
Drum muß ich den Artikel ſchließen.

An der Frauenkleidung treten uns bis in die letzten
Jahrzehnte des achtzehnten Jahrhunderts nur zwei Theile mit
bedeutungsvoller Geſchichte entgegen. Das iſt die Kopftracht
und der Reifrock, während die Bekleidung des Oberkörpers
mit dem Schnürleib, der Decolletirung, den halbentblößten Aer-
meln nur dem Wechſel der kleinen Moden unterworfen iſt, im
Charakter aber zunächſt keine Aenderung erleidet. Beide, die
Friſur und der Rock, ſcheinen im Anfange einen entgegengeſetz-
ten Weg einzuſchlagen, denn jene ſteigt ein halbes Jahrhundert
hindurch von der grotesken Höhe der Fontange zu möglichſter
Kleinheit herab, während dieſer bis zur franzöſiſchen Revolution
ballonartig anſchwillt. Aber wir haben ſchon einmal geſehen,
wie der Reifrock mit einer Zeit zuſammenhängt, in welcher das
Leben erſtirbt und ſich in feſte, conventionelle Formen zuſammen-
zieht, und es erhebt ſich dann wieder in der zweiten Hälfte des
achtzehnten Jahrhunderts die Friſur zu einer Höhe, daß ſie an
Unnatur und grandioſer Ungeſtalt dem Reifrock nicht nachſteht.

Wenn ungefähr das Jahr 1720 allgemein als das Ende
der Fontange angenommen werden muß, ſo konnte man doch
ſchon bald nach 1700 in den höchſten Ständen Damen mit freier
Friſur ſehen: es war nur dieſe hohe Band- und Spitzenhaube
weggelaſſen und übrigens das Haar in gleicher Weiſe mit künſt-
lichen Locken perrückenähnlich nach oben gethürmt und mannig-
faches Geſchmeide dazwiſchen befeſtigt. Aber wie die Perrücke,
ſo ſanken auch von Jahr zu Jahr dieſe Locken, und das geſammte
Haar ſammelte ſich immer dichter gedrängt und in ſcheinbar
wirrem Gelock um den Kopf und ließ Ohren, Hals und Nacken
völlig frei. Nur ein Paar lange, geringelte Locken fallen hinter
dem Ohr herab und werfen kokett ihre leichten, flüchtigen Wol-
kenſchatten über die weißen oder geweißten Schultern. Die
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[277/0289] 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. Oeilladen, Grace, Tour und Port, Darin beſteht mein größtes Fort. Diantre! das Deutſche will nicht fließen, Drum muß ich den Artikel ſchließen. An der Frauenkleidung treten uns bis in die letzten Jahrzehnte des achtzehnten Jahrhunderts nur zwei Theile mit bedeutungsvoller Geſchichte entgegen. Das iſt die Kopftracht und der Reifrock, während die Bekleidung des Oberkörpers mit dem Schnürleib, der Decolletirung, den halbentblößten Aer- meln nur dem Wechſel der kleinen Moden unterworfen iſt, im Charakter aber zunächſt keine Aenderung erleidet. Beide, die Friſur und der Rock, ſcheinen im Anfange einen entgegengeſetz- ten Weg einzuſchlagen, denn jene ſteigt ein halbes Jahrhundert hindurch von der grotesken Höhe der Fontange zu möglichſter Kleinheit herab, während dieſer bis zur franzöſiſchen Revolution ballonartig anſchwillt. Aber wir haben ſchon einmal geſehen, wie der Reifrock mit einer Zeit zuſammenhängt, in welcher das Leben erſtirbt und ſich in feſte, conventionelle Formen zuſammen- zieht, und es erhebt ſich dann wieder in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts die Friſur zu einer Höhe, daß ſie an Unnatur und grandioſer Ungeſtalt dem Reifrock nicht nachſteht. Wenn ungefähr das Jahr 1720 allgemein als das Ende der Fontange angenommen werden muß, ſo konnte man doch ſchon bald nach 1700 in den höchſten Ständen Damen mit freier Friſur ſehen: es war nur dieſe hohe Band- und Spitzenhaube weggelaſſen und übrigens das Haar in gleicher Weiſe mit künſt- lichen Locken perrückenähnlich nach oben gethürmt und mannig- faches Geſchmeide dazwiſchen befeſtigt. Aber wie die Perrücke, ſo ſanken auch von Jahr zu Jahr dieſe Locken, und das geſammte Haar ſammelte ſich immer dichter gedrängt und in ſcheinbar wirrem Gelock um den Kopf und ließ Ohren, Hals und Nacken völlig frei. Nur ein Paar lange, geringelte Locken fallen hinter dem Ohr herab und werfen kokett ihre leichten, flüchtigen Wol- kenſchatten über die weißen oder geweißten Schultern. Die Damen der höheren Stände trugen dieſe Friſur, mit welcher der

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/289>, abgerufen am 25.11.2024.