Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. "Da heißts: der Henker hol doch unsrer Frauen Pracht,Dieweil sie das Fischbein so theuer hat gemacht. Man hat vor kurzer Zeit mir vor gewiß gesaget, Daß sich das Mägdevolk beim Richter hab beklaget" .... Dann folgt die Supplik der Mägde. Wir können auch heutiges Anfangs profilirte sich der Reifrock, wie er unten einen Der Reifrock wurde völlig allgemein; er verbreitete sich 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. „Da heißts: der Henker hol doch unſrer Frauen Pracht,Dieweil ſie das Fiſchbein ſo theuer hat gemacht. Man hat vor kurzer Zeit mir vor gewiß geſaget, Daß ſich das Mägdevolk beim Richter hab beklaget“ .... Dann folgt die Supplik der Mägde. Wir können auch heutiges Anfangs profilirte ſich der Reifrock, wie er unten einen Der Reifrock wurde völlig allgemein; er verbreitete ſich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0299" n="287"/> <fw place="top" type="header">5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.</fw><lb/> <l>„Da heißts: der Henker hol doch unſrer Frauen Pracht,</l><lb/> <l>Dieweil ſie das Fiſchbein ſo theuer hat gemacht.</l><lb/> <l>Man hat vor kurzer Zeit mir vor gewiß geſaget,</l><lb/> <l>Daß ſich das Mägdevolk beim Richter hab beklaget“ ....</l> </lg><lb/> <p>Dann folgt die Supplik der Mägde. Wir können auch heutiges<lb/> Tages die Erſcheinung wahrnehmen, daß das Fiſchbein in Folge<lb/> der Crinoline im Preiſe ſteigt.</p><lb/> <p>Anfangs profilirte ſich der Reifrock, wie er unten einen<lb/> Kreis bildete, in der Höhe gleich einem Halbkreiſe, ſodaß alſo<lb/> die ganze untere Hälfte einer Dame völlig die Geſtalt einer<lb/> Halbkugel hatte. Aber dies Maß war noch zu beſcheiden:<lb/> theils wuchs der Reifrock an Ausdehnung, theils hob er ſich an<lb/> den Seiten über den Hüften, ſodaß Arme und Ellbogen bequem<lb/> darauf ruhen konnten, wie das ſchon oben in den Verſen ange-<lb/> deutet war. Da nun ſeine Ausdehnung ſo gewaltig wurde, daß<lb/> er nicht die Thüren, nicht einmal die Flügelthüren der Palaſt-<lb/> ſäle paſſiren konnte, ſa erfanden die Damen ein Mittel, die<lb/> ſchwierigen engen Paſſagen zu defiliren. Die hintere und vor-<lb/> dere Seite wurden flacher zuſammengedrückt, wodurch freilich die<lb/> Geſtalt <hi rendition="#aq">en face</hi> noch an Ungeheuerlichkeit gewann; aber wenn<lb/> die Dame nun eine Schwenkung machte, ſo konnte ſie mit eini-<lb/> ger Unbequemlichkeit Thüren und Corridore wie ein Schiff die<lb/> Canäle paſſiren. Komiſch war es nun, einen Herrn ſich da-<lb/> neben geberden zu ſehen, der ſie etwa zu führen hatte. Ohnehin<lb/> vertrat er mit engem Frack, Kniehoſe und Strümpfen die mög-<lb/> lichſte Stockähnlichkeit gegenüber ihrer aufgeblaſenen Weite.<lb/> Die Führung konnte natürlich nur mit der Hand geſchehen, da<lb/> er ſich nicht ſoweit nahen konnte, ihr den Arm darzubieten.<lb/> Zur Seite ſtehend, hätte er oftmals kaum die Hand zu erreichen<lb/> vermocht; er trat darum einen bis zwei Schritte ſchräg voraus,<lb/> und ſo faßte er zurückgebogen ihre Fingerſpitzen zierlichſt mit den<lb/> ſeinigen.</p><lb/> <p>Der Reifrock wurde völlig allgemein; er verbreitete ſich<lb/> durch die höheren Stände bis tief in die bürgerliche Welt herab,<lb/> bis auf’s Land zur Frau Pfarrerin nebſt Töchtern, und ſelbſt die<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [287/0299]
5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
„Da heißts: der Henker hol doch unſrer Frauen Pracht,
Dieweil ſie das Fiſchbein ſo theuer hat gemacht.
Man hat vor kurzer Zeit mir vor gewiß geſaget,
Daß ſich das Mägdevolk beim Richter hab beklaget“ ....
Dann folgt die Supplik der Mägde. Wir können auch heutiges
Tages die Erſcheinung wahrnehmen, daß das Fiſchbein in Folge
der Crinoline im Preiſe ſteigt.
Anfangs profilirte ſich der Reifrock, wie er unten einen
Kreis bildete, in der Höhe gleich einem Halbkreiſe, ſodaß alſo
die ganze untere Hälfte einer Dame völlig die Geſtalt einer
Halbkugel hatte. Aber dies Maß war noch zu beſcheiden:
theils wuchs der Reifrock an Ausdehnung, theils hob er ſich an
den Seiten über den Hüften, ſodaß Arme und Ellbogen bequem
darauf ruhen konnten, wie das ſchon oben in den Verſen ange-
deutet war. Da nun ſeine Ausdehnung ſo gewaltig wurde, daß
er nicht die Thüren, nicht einmal die Flügelthüren der Palaſt-
ſäle paſſiren konnte, ſa erfanden die Damen ein Mittel, die
ſchwierigen engen Paſſagen zu defiliren. Die hintere und vor-
dere Seite wurden flacher zuſammengedrückt, wodurch freilich die
Geſtalt en face noch an Ungeheuerlichkeit gewann; aber wenn
die Dame nun eine Schwenkung machte, ſo konnte ſie mit eini-
ger Unbequemlichkeit Thüren und Corridore wie ein Schiff die
Canäle paſſiren. Komiſch war es nun, einen Herrn ſich da-
neben geberden zu ſehen, der ſie etwa zu führen hatte. Ohnehin
vertrat er mit engem Frack, Kniehoſe und Strümpfen die mög-
lichſte Stockähnlichkeit gegenüber ihrer aufgeblaſenen Weite.
Die Führung konnte natürlich nur mit der Hand geſchehen, da
er ſich nicht ſoweit nahen konnte, ihr den Arm darzubieten.
Zur Seite ſtehend, hätte er oftmals kaum die Hand zu erreichen
vermocht; er trat darum einen bis zwei Schritte ſchräg voraus,
und ſo faßte er zurückgebogen ihre Fingerſpitzen zierlichſt mit den
ſeinigen.
Der Reifrock wurde völlig allgemein; er verbreitete ſich
durch die höheren Stände bis tief in die bürgerliche Welt herab,
bis auf’s Land zur Frau Pfarrerin nebſt Töchtern, und ſelbſt die
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |