Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. Extravaganzen und Auswüchsen der französischen Moden fernhielt. Zum englischen Reitcostüm, welches zugleich die allgemeine Stutzertracht war, gehörte der runde Hut in etwas kleinerer und steiferer Form als ihn der Quäker trug, sodann der Frack und endlich die hohen Stiefeln mit lederfarbenen, braunen Stulpen; häufig auch die schwefelgelbe Lederhose. Wir dürfen annehmen, daß dieses Costüm von England aus nach Deutschland gekom- men ist, wo es dann unter dem Namen "Werthertracht" be- kannter wurde. Allein weder in England noch in Frankreich noch in Deutsch- 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. Extravaganzen und Auswüchſen der franzöſiſchen Moden fernhielt. Zum engliſchen Reitcoſtüm, welches zugleich die allgemeine Stutzertracht war, gehörte der runde Hut in etwas kleinerer und ſteiferer Form als ihn der Quäker trug, ſodann der Frack und endlich die hohen Stiefeln mit lederfarbenen, braunen Stulpen; häufig auch die ſchwefelgelbe Lederhoſe. Wir dürfen annehmen, daß dieſes Coſtüm von England aus nach Deutſchland gekom- men iſt, wo es dann unter dem Namen „Werthertracht“ be- kannter wurde. Allein weder in England noch in Frankreich noch in Deutſch- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0313" n="301"/><fw place="top" type="header">5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.</fw><lb/> Extravaganzen und Auswüchſen der franzöſiſchen Moden fern<lb/> hielt. Zum engliſchen Reitcoſtüm, welches zugleich die allgemeine<lb/> Stutzertracht war, gehörte der runde Hut in etwas kleinerer und<lb/> ſteiferer Form als ihn der Quäker trug, ſodann der Frack und<lb/> endlich die hohen Stiefeln mit lederfarbenen, braunen Stulpen;<lb/> häufig auch die ſchwefelgelbe Lederhoſe. Wir dürfen annehmen,<lb/> daß dieſes Coſtüm von England aus nach Deutſchland gekom-<lb/> men iſt, wo es dann unter dem Namen „Werthertracht“ be-<lb/> kannter wurde.</p><lb/> <p>Allein weder in England noch in Frankreich noch in Deutſch-<lb/> land hatte daſſelbe bis dahin vermocht, ſich eine eigentlich geſell-<lb/> ſchaftliche Stellung zu erringen; es machte nur als etwas Be-<lb/> ſonderes ſeinen Träger intereſſant, ſei es als Freigeiſt und revo-<lb/> lutionären Verächter der Sitte oder als einen der herzenskranken<lb/> Malcontenten, der die Unbefriedigkeit der Gegenwart, das un-<lb/> bewußte Sehnen nach politiſcher und ſocialer Geneſung als Welt-<lb/> ſchmerz in ſeinem Inneren trug. Zum erſten Mal trat es in be-<lb/> deutungsvoller Weiſe als bewußtes Parteizeichen bei der Ver-<lb/> ſammlung der franzöſiſchen Notabeln auf, wo der dritte Stand<lb/> im einfachen Frack, freilich noch in Schuhen und Strümpfen,<lb/> ſich auch äußerlich in Oppoſition zum goldbordirten Adel ſtellte,<lb/> der das Glanzcoſtüm Heinrichs <hi rendition="#aq">IV.</hi> affectirte. Es war dieſer<lb/> letztere Umſtand freilich auch ein Zeichen, daß ſelbſt in den höch-<lb/> ſten Kreiſen der Glaube an die unübertrefflichen Vorzüge des<lb/> Zopfcoſtüms zu ſinken begann, aber der Verſuch blieb vereinzelt<lb/> wie ein ähnlicher, den einmal der Hof Ludwigs <hi rendition="#aq">XVI.</hi> machte.<lb/> Man wollte ſich der herrſchenden Tracht und mit ihr der ganzen<lb/> ſteifen Etiquette entledigen und mit dem Coſtüm auch wohl zu<lb/> dem übrigen frei galanten Weſen des franzöſiſchen Hofes im<lb/> ſechszehnten Jahrhundert zurückkehren. Der Plan fand den Bei-<lb/> fall der jungen Königin und wurde vom König nicht gemißbilligt,<lb/> und ſo wurde der Befehl erlaſſen, daß auf einem Ball der Köni-<lb/> gin die ſämmtlichen Herrn im Coſtüm der Zeit Heinrichs <hi rendition="#aq">IV.</hi> er-<lb/> ſcheinen ſollten. Da zeigte ſich nun zwar die Jugend ſehr zu<lb/> ihrem Vortheile, aber das Alter, das bisher unter dem Puder<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [301/0313]
5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
Extravaganzen und Auswüchſen der franzöſiſchen Moden fern
hielt. Zum engliſchen Reitcoſtüm, welches zugleich die allgemeine
Stutzertracht war, gehörte der runde Hut in etwas kleinerer und
ſteiferer Form als ihn der Quäker trug, ſodann der Frack und
endlich die hohen Stiefeln mit lederfarbenen, braunen Stulpen;
häufig auch die ſchwefelgelbe Lederhoſe. Wir dürfen annehmen,
daß dieſes Coſtüm von England aus nach Deutſchland gekom-
men iſt, wo es dann unter dem Namen „Werthertracht“ be-
kannter wurde.
Allein weder in England noch in Frankreich noch in Deutſch-
land hatte daſſelbe bis dahin vermocht, ſich eine eigentlich geſell-
ſchaftliche Stellung zu erringen; es machte nur als etwas Be-
ſonderes ſeinen Träger intereſſant, ſei es als Freigeiſt und revo-
lutionären Verächter der Sitte oder als einen der herzenskranken
Malcontenten, der die Unbefriedigkeit der Gegenwart, das un-
bewußte Sehnen nach politiſcher und ſocialer Geneſung als Welt-
ſchmerz in ſeinem Inneren trug. Zum erſten Mal trat es in be-
deutungsvoller Weiſe als bewußtes Parteizeichen bei der Ver-
ſammlung der franzöſiſchen Notabeln auf, wo der dritte Stand
im einfachen Frack, freilich noch in Schuhen und Strümpfen,
ſich auch äußerlich in Oppoſition zum goldbordirten Adel ſtellte,
der das Glanzcoſtüm Heinrichs IV. affectirte. Es war dieſer
letztere Umſtand freilich auch ein Zeichen, daß ſelbſt in den höch-
ſten Kreiſen der Glaube an die unübertrefflichen Vorzüge des
Zopfcoſtüms zu ſinken begann, aber der Verſuch blieb vereinzelt
wie ein ähnlicher, den einmal der Hof Ludwigs XVI. machte.
Man wollte ſich der herrſchenden Tracht und mit ihr der ganzen
ſteifen Etiquette entledigen und mit dem Coſtüm auch wohl zu
dem übrigen frei galanten Weſen des franzöſiſchen Hofes im
ſechszehnten Jahrhundert zurückkehren. Der Plan fand den Bei-
fall der jungen Königin und wurde vom König nicht gemißbilligt,
und ſo wurde der Befehl erlaſſen, daß auf einem Ball der Köni-
gin die ſämmtlichen Herrn im Coſtüm der Zeit Heinrichs IV. er-
ſcheinen ſollten. Da zeigte ſich nun zwar die Jugend ſehr zu
ihrem Vortheile, aber das Alter, das bisher unter dem Puder
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |