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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
Extravaganzen und Auswüchsen der französischen Moden fern
hielt. Zum englischen Reitcostüm, welches zugleich die allgemeine
Stutzertracht war, gehörte der runde Hut in etwas kleinerer und
steiferer Form als ihn der Quäker trug, sodann der Frack und
endlich die hohen Stiefeln mit lederfarbenen, braunen Stulpen;
häufig auch die schwefelgelbe Lederhose. Wir dürfen annehmen,
daß dieses Costüm von England aus nach Deutschland gekom-
men ist, wo es dann unter dem Namen "Werthertracht" be-
kannter wurde.

Allein weder in England noch in Frankreich noch in Deutsch-
land hatte dasselbe bis dahin vermocht, sich eine eigentlich gesell-
schaftliche Stellung zu erringen; es machte nur als etwas Be-
sonderes seinen Träger interessant, sei es als Freigeist und revo-
lutionären Verächter der Sitte oder als einen der herzenskranken
Malcontenten, der die Unbefriedigkeit der Gegenwart, das un-
bewußte Sehnen nach politischer und socialer Genesung als Welt-
schmerz in seinem Inneren trug. Zum ersten Mal trat es in be-
deutungsvoller Weise als bewußtes Parteizeichen bei der Ver-
sammlung der französischen Notabeln auf, wo der dritte Stand
im einfachen Frack, freilich noch in Schuhen und Strümpfen,
sich auch äußerlich in Opposition zum goldbordirten Adel stellte,
der das Glanzcostüm Heinrichs IV. affectirte. Es war dieser
letztere Umstand freilich auch ein Zeichen, daß selbst in den höch-
sten Kreisen der Glaube an die unübertrefflichen Vorzüge des
Zopfcostüms zu sinken begann, aber der Versuch blieb vereinzelt
wie ein ähnlicher, den einmal der Hof Ludwigs XVI. machte.
Man wollte sich der herrschenden Tracht und mit ihr der ganzen
steifen Etiquette entledigen und mit dem Costüm auch wohl zu
dem übrigen frei galanten Wesen des französischen Hofes im
sechszehnten Jahrhundert zurückkehren. Der Plan fand den Bei-
fall der jungen Königin und wurde vom König nicht gemißbilligt,
und so wurde der Befehl erlassen, daß auf einem Ball der Köni-
gin die sämmtlichen Herrn im Costüm der Zeit Heinrichs IV. er-
scheinen sollten. Da zeigte sich nun zwar die Jugend sehr zu
ihrem Vortheile, aber das Alter, das bisher unter dem Puder

5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
Extravaganzen und Auswüchſen der franzöſiſchen Moden fern
hielt. Zum engliſchen Reitcoſtüm, welches zugleich die allgemeine
Stutzertracht war, gehörte der runde Hut in etwas kleinerer und
ſteiferer Form als ihn der Quäker trug, ſodann der Frack und
endlich die hohen Stiefeln mit lederfarbenen, braunen Stulpen;
häufig auch die ſchwefelgelbe Lederhoſe. Wir dürfen annehmen,
daß dieſes Coſtüm von England aus nach Deutſchland gekom-
men iſt, wo es dann unter dem Namen „Werthertracht“ be-
kannter wurde.

Allein weder in England noch in Frankreich noch in Deutſch-
land hatte daſſelbe bis dahin vermocht, ſich eine eigentlich geſell-
ſchaftliche Stellung zu erringen; es machte nur als etwas Be-
ſonderes ſeinen Träger intereſſant, ſei es als Freigeiſt und revo-
lutionären Verächter der Sitte oder als einen der herzenskranken
Malcontenten, der die Unbefriedigkeit der Gegenwart, das un-
bewußte Sehnen nach politiſcher und ſocialer Geneſung als Welt-
ſchmerz in ſeinem Inneren trug. Zum erſten Mal trat es in be-
deutungsvoller Weiſe als bewußtes Parteizeichen bei der Ver-
ſammlung der franzöſiſchen Notabeln auf, wo der dritte Stand
im einfachen Frack, freilich noch in Schuhen und Strümpfen,
ſich auch äußerlich in Oppoſition zum goldbordirten Adel ſtellte,
der das Glanzcoſtüm Heinrichs IV. affectirte. Es war dieſer
letztere Umſtand freilich auch ein Zeichen, daß ſelbſt in den höch-
ſten Kreiſen der Glaube an die unübertrefflichen Vorzüge des
Zopfcoſtüms zu ſinken begann, aber der Verſuch blieb vereinzelt
wie ein ähnlicher, den einmal der Hof Ludwigs XVI. machte.
Man wollte ſich der herrſchenden Tracht und mit ihr der ganzen
ſteifen Etiquette entledigen und mit dem Coſtüm auch wohl zu
dem übrigen frei galanten Weſen des franzöſiſchen Hofes im
ſechszehnten Jahrhundert zurückkehren. Der Plan fand den Bei-
fall der jungen Königin und wurde vom König nicht gemißbilligt,
und ſo wurde der Befehl erlaſſen, daß auf einem Ball der Köni-
gin die ſämmtlichen Herrn im Coſtüm der Zeit Heinrichs IV. er-
ſcheinen ſollten. Da zeigte ſich nun zwar die Jugend ſehr zu
ihrem Vortheile, aber das Alter, das bisher unter dem Puder

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[301/0313] 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. Extravaganzen und Auswüchſen der franzöſiſchen Moden fern hielt. Zum engliſchen Reitcoſtüm, welches zugleich die allgemeine Stutzertracht war, gehörte der runde Hut in etwas kleinerer und ſteiferer Form als ihn der Quäker trug, ſodann der Frack und endlich die hohen Stiefeln mit lederfarbenen, braunen Stulpen; häufig auch die ſchwefelgelbe Lederhoſe. Wir dürfen annehmen, daß dieſes Coſtüm von England aus nach Deutſchland gekom- men iſt, wo es dann unter dem Namen „Werthertracht“ be- kannter wurde. Allein weder in England noch in Frankreich noch in Deutſch- land hatte daſſelbe bis dahin vermocht, ſich eine eigentlich geſell- ſchaftliche Stellung zu erringen; es machte nur als etwas Be- ſonderes ſeinen Träger intereſſant, ſei es als Freigeiſt und revo- lutionären Verächter der Sitte oder als einen der herzenskranken Malcontenten, der die Unbefriedigkeit der Gegenwart, das un- bewußte Sehnen nach politiſcher und ſocialer Geneſung als Welt- ſchmerz in ſeinem Inneren trug. Zum erſten Mal trat es in be- deutungsvoller Weiſe als bewußtes Parteizeichen bei der Ver- ſammlung der franzöſiſchen Notabeln auf, wo der dritte Stand im einfachen Frack, freilich noch in Schuhen und Strümpfen, ſich auch äußerlich in Oppoſition zum goldbordirten Adel ſtellte, der das Glanzcoſtüm Heinrichs IV. affectirte. Es war dieſer letztere Umſtand freilich auch ein Zeichen, daß ſelbſt in den höch- ſten Kreiſen der Glaube an die unübertrefflichen Vorzüge des Zopfcoſtüms zu ſinken begann, aber der Verſuch blieb vereinzelt wie ein ähnlicher, den einmal der Hof Ludwigs XVI. machte. Man wollte ſich der herrſchenden Tracht und mit ihr der ganzen ſteifen Etiquette entledigen und mit dem Coſtüm auch wohl zu dem übrigen frei galanten Weſen des franzöſiſchen Hofes im ſechszehnten Jahrhundert zurückkehren. Der Plan fand den Bei- fall der jungen Königin und wurde vom König nicht gemißbilligt, und ſo wurde der Befehl erlaſſen, daß auf einem Ball der Köni- gin die ſämmtlichen Herrn im Coſtüm der Zeit Heinrichs IV. er- ſcheinen ſollten. Da zeigte ſich nun zwar die Jugend ſehr zu ihrem Vortheile, aber das Alter, das bisher unter dem Puder

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/313>, abgerufen am 24.11.2024.