Was in den vornehmsten Ständen noch übrig geblieben war, um die Anforderungen des Salons zu wahren, davon vertilgten die Befreiungskriege den letzten Rest, dem die kaiserliche Re- action Frankreichs noch eine Weile das Leben gefristet hatte.
Weniger heftig war in Deutschland der Kampf und Wider- stand gegen die neuen Moden in der weiblichen Welt. Man kann nicht sagen, daß die deutschen Damen dieser Zeit originelle Erfindungs- oder nur Umbildungsgabe bewiesen hätten, obwohl ihnen die Gelegenheit wurde, da unter der Herrschaft des Terro- rismus die Pariser Vorbilder ausblieben. Die Engländerinnen ergriffen für eine kurze Zeit die Zügel der Regirung im Reich der Mode; wenigstens muß man ihnen nachsagen, und es ist das in jener Zeit oft genug ausgesprochen worden, daß sie nicht bloß sich von den Extravaganzen der Pariserinnen, vom weib- lichen Sansculottismus, frei erhielten, sondern auch die Ein- flüsse Frankreichs zwar über sich ergehen ließen, aber doch zu originellen Formen und Erscheinungen umbildeten. Wenn eine Pariserin in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts einer Grie- chin gleicht, soweit das eben eine Pariserin vermag, so erinnert die Engländerin mehr an romantische Gestalten, an die Ritter- frauen und Ritterfräulein, wie sich die damalige Kunst und spä- ter die Düsseldorfer Romantik dieselben dachte. Die Englände- rin mäßigt die hohe Taille, die Decolletirung und die dünnen Gewänder und weiß den antiken Kopfputz in eigenthümlicher Weise zu verändern, sodaß ihre Erscheinung immer den An- strich des Aristokratischen, den Schein edler Sitte darbietet.
Leider war es nicht so mit den deutschen Frauen. Sie waren nur zu sehr geneigt, was ihnen Neues und Unerhörtes von Frankreich kam, noch zu übertreiben. Obwohl in den Jah- ren 1793 und 1794 die Verbindung zwischen Paris und Deutschland eine begreiflicher Weise, wie schon angedeutet sehr unterbrochene und feindliche war, so können wir doch die Entwicklung der deutschen Frauentracht ganz im Banne der revolutionären Luft vorwärts schreiten sehen. Gleichzeitig er- liegen die hohen Hauben, und schon 1795 beginnt das Kleid an
Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 21
5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
Was in den vornehmſten Ständen noch übrig geblieben war, um die Anforderungen des Salons zu wahren, davon vertilgten die Befreiungskriege den letzten Reſt, dem die kaiſerliche Re- action Frankreichs noch eine Weile das Leben gefriſtet hatte.
Weniger heftig war in Deutſchland der Kampf und Wider- ſtand gegen die neuen Moden in der weiblichen Welt. Man kann nicht ſagen, daß die deutſchen Damen dieſer Zeit originelle Erfindungs- oder nur Umbildungsgabe bewieſen hätten, obwohl ihnen die Gelegenheit wurde, da unter der Herrſchaft des Terro- rismus die Pariſer Vorbilder ausblieben. Die Engländerinnen ergriffen für eine kurze Zeit die Zügel der Regirung im Reich der Mode; wenigſtens muß man ihnen nachſagen, und es iſt das in jener Zeit oft genug ausgeſprochen worden, daß ſie nicht bloß ſich von den Extravaganzen der Pariſerinnen, vom weib- lichen Sansculottismus, frei erhielten, ſondern auch die Ein- flüſſe Frankreichs zwar über ſich ergehen ließen, aber doch zu originellen Formen und Erſcheinungen umbildeten. Wenn eine Pariſerin in den erſten Jahren dieſes Jahrhunderts einer Grie- chin gleicht, ſoweit das eben eine Pariſerin vermag, ſo erinnert die Engländerin mehr an romantiſche Geſtalten, an die Ritter- frauen und Ritterfräulein, wie ſich die damalige Kunſt und ſpä- ter die Düſſeldorfer Romantik dieſelben dachte. Die Englände- rin mäßigt die hohe Taille, die Decolletirung und die dünnen Gewänder und weiß den antiken Kopfputz in eigenthümlicher Weiſe zu verändern, ſodaß ihre Erſcheinung immer den An- ſtrich des Ariſtokratiſchen, den Schein edler Sitte darbietet.
Leider war es nicht ſo mit den deutſchen Frauen. Sie waren nur zu ſehr geneigt, was ihnen Neues und Unerhörtes von Frankreich kam, noch zu übertreiben. Obwohl in den Jah- ren 1793 und 1794 die Verbindung zwiſchen Paris und Deutſchland eine begreiflicher Weiſe, wie ſchon angedeutet ſehr unterbrochene und feindliche war, ſo können wir doch die Entwicklung der deutſchen Frauentracht ganz im Banne der revolutionären Luft vorwärts ſchreiten ſehen. Gleichzeitig er- liegen die hohen Hauben, und ſchon 1795 beginnt das Kleid an
Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 21
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0333"n="321"/><fwplace="top"type="header">5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.</fw><lb/>
Was in den vornehmſten Ständen noch übrig geblieben war,<lb/>
um die Anforderungen des Salons zu wahren, davon vertilgten<lb/>
die Befreiungskriege den letzten Reſt, dem die kaiſerliche Re-<lb/>
action Frankreichs noch eine Weile das Leben gefriſtet hatte.</p><lb/><p>Weniger heftig war in Deutſchland der Kampf und Wider-<lb/>ſtand gegen die neuen Moden in der <hirendition="#g">weiblichen Welt</hi>. Man<lb/>
kann nicht ſagen, daß die deutſchen Damen dieſer Zeit originelle<lb/>
Erfindungs- oder nur Umbildungsgabe bewieſen hätten, obwohl<lb/>
ihnen die Gelegenheit wurde, da unter der Herrſchaft des Terro-<lb/>
rismus die Pariſer Vorbilder ausblieben. Die Engländerinnen<lb/>
ergriffen für eine kurze Zeit die Zügel der Regirung im Reich<lb/>
der Mode; wenigſtens muß man ihnen nachſagen, und es iſt<lb/>
das in jener Zeit oft genug ausgeſprochen worden, daß ſie nicht<lb/>
bloß ſich von den Extravaganzen der Pariſerinnen, vom weib-<lb/>
lichen Sansculottismus, frei erhielten, ſondern auch die Ein-<lb/>
flüſſe Frankreichs zwar über ſich ergehen ließen, aber doch zu<lb/>
originellen Formen und Erſcheinungen umbildeten. Wenn eine<lb/>
Pariſerin in den erſten Jahren dieſes Jahrhunderts einer Grie-<lb/>
chin gleicht, ſoweit das eben eine Pariſerin vermag, ſo erinnert<lb/>
die Engländerin mehr an romantiſche Geſtalten, an die Ritter-<lb/>
frauen und Ritterfräulein, wie ſich die damalige Kunſt und ſpä-<lb/>
ter die Düſſeldorfer Romantik dieſelben dachte. Die Englände-<lb/>
rin mäßigt die hohe Taille, die Decolletirung und die dünnen<lb/>
Gewänder und weiß den antiken Kopfputz in eigenthümlicher<lb/>
Weiſe zu verändern, ſodaß ihre Erſcheinung immer den An-<lb/>ſtrich des Ariſtokratiſchen, den Schein edler Sitte darbietet.</p><lb/><p>Leider war es nicht ſo mit den deutſchen Frauen. Sie<lb/>
waren nur zu ſehr geneigt, was ihnen Neues und Unerhörtes<lb/>
von Frankreich kam, noch zu übertreiben. Obwohl in den Jah-<lb/>
ren 1793 und 1794 die Verbindung zwiſchen Paris und<lb/>
Deutſchland eine begreiflicher Weiſe, wie ſchon angedeutet<lb/>ſehr unterbrochene und feindliche war, ſo können wir doch die<lb/>
Entwicklung der deutſchen Frauentracht ganz im Banne der<lb/>
revolutionären Luft vorwärts ſchreiten ſehen. Gleichzeitig er-<lb/>
liegen die hohen Hauben, und ſchon 1795 beginnt das Kleid an<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Falke,</hi> Trachten- und Modenwelt. <hirendition="#aq">II.</hi> 21</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[321/0333]
5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
Was in den vornehmſten Ständen noch übrig geblieben war,
um die Anforderungen des Salons zu wahren, davon vertilgten
die Befreiungskriege den letzten Reſt, dem die kaiſerliche Re-
action Frankreichs noch eine Weile das Leben gefriſtet hatte.
Weniger heftig war in Deutſchland der Kampf und Wider-
ſtand gegen die neuen Moden in der weiblichen Welt. Man
kann nicht ſagen, daß die deutſchen Damen dieſer Zeit originelle
Erfindungs- oder nur Umbildungsgabe bewieſen hätten, obwohl
ihnen die Gelegenheit wurde, da unter der Herrſchaft des Terro-
rismus die Pariſer Vorbilder ausblieben. Die Engländerinnen
ergriffen für eine kurze Zeit die Zügel der Regirung im Reich
der Mode; wenigſtens muß man ihnen nachſagen, und es iſt
das in jener Zeit oft genug ausgeſprochen worden, daß ſie nicht
bloß ſich von den Extravaganzen der Pariſerinnen, vom weib-
lichen Sansculottismus, frei erhielten, ſondern auch die Ein-
flüſſe Frankreichs zwar über ſich ergehen ließen, aber doch zu
originellen Formen und Erſcheinungen umbildeten. Wenn eine
Pariſerin in den erſten Jahren dieſes Jahrhunderts einer Grie-
chin gleicht, ſoweit das eben eine Pariſerin vermag, ſo erinnert
die Engländerin mehr an romantiſche Geſtalten, an die Ritter-
frauen und Ritterfräulein, wie ſich die damalige Kunſt und ſpä-
ter die Düſſeldorfer Romantik dieſelben dachte. Die Englände-
rin mäßigt die hohe Taille, die Decolletirung und die dünnen
Gewänder und weiß den antiken Kopfputz in eigenthümlicher
Weiſe zu verändern, ſodaß ihre Erſcheinung immer den An-
ſtrich des Ariſtokratiſchen, den Schein edler Sitte darbietet.
Leider war es nicht ſo mit den deutſchen Frauen. Sie
waren nur zu ſehr geneigt, was ihnen Neues und Unerhörtes
von Frankreich kam, noch zu übertreiben. Obwohl in den Jah-
ren 1793 und 1794 die Verbindung zwiſchen Paris und
Deutſchland eine begreiflicher Weiſe, wie ſchon angedeutet
ſehr unterbrochene und feindliche war, ſo können wir doch die
Entwicklung der deutſchen Frauentracht ganz im Banne der
revolutionären Luft vorwärts ſchreiten ſehen. Gleichzeitig er-
liegen die hohen Hauben, und ſchon 1795 beginnt das Kleid an
Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 21
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/333>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.