Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. legt sich der breite mächtige Ueberwurf mit stark ausladendemPelzkragen darüber und giebt der stattlichen Erscheinung wieder den Charakter ruhiger, stolzer, selbstbewußter Männlichkeit; wäh- rend jene alles Gemeinsame aufzuheben, alle Einheit zu verflüch- tigen scheinen, erhalten wir durch diesen wieder den Eindruck, als ob sie alle gleich aussähen, der eine wie der andre. Und grade der Ueberwurf, die Schaube, ist es andererseits wieder, welche die charakteristischen Unterschiede der Stände giebt. So findet diese so unendlich reiche, vielbewegte, widerspruchsvolle und doch so von einem Geiste getragene Zeit in allem ihren Widerschein am menschlichen Aeußern. Wenn wir uns so etwa um das Jahr 1510 auf ein reiches 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. legt ſich der breite mächtige Ueberwurf mit ſtark ausladendemPelzkragen darüber und giebt der ſtattlichen Erſcheinung wieder den Charakter ruhiger, ſtolzer, ſelbſtbewußter Männlichkeit; wäh- rend jene alles Gemeinſame aufzuheben, alle Einheit zu verflüch- tigen ſcheinen, erhalten wir durch dieſen wieder den Eindruck, als ob ſie alle gleich ausſähen, der eine wie der andre. Und grade der Ueberwurf, die Schaube, iſt es andererſeits wieder, welche die charakteriſtiſchen Unterſchiede der Stände giebt. So findet dieſe ſo unendlich reiche, vielbewegte, widerſpruchsvolle und doch ſo von einem Geiſte getragene Zeit in allem ihren Widerſchein am menſchlichen Aeußern. Wenn wir uns ſo etwa um das Jahr 1510 auf ein reiches <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0065" n="53"/><fw place="top" type="header">1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.</fw><lb/> legt ſich der breite mächtige <hi rendition="#g">Ueberwurf</hi> mit ſtark ausladendem<lb/> Pelzkragen darüber und giebt der ſtattlichen Erſcheinung wieder<lb/> den Charakter ruhiger, ſtolzer, ſelbſtbewußter Männlichkeit; wäh-<lb/> rend jene alles Gemeinſame aufzuheben, alle Einheit zu verflüch-<lb/> tigen ſcheinen, erhalten wir durch dieſen wieder den Eindruck,<lb/> als ob ſie alle gleich ausſähen, der eine wie der andre. Und<lb/> grade der Ueberwurf, die Schaube, iſt es andererſeits wieder,<lb/> welche die charakteriſtiſchen Unterſchiede der Stände giebt. So<lb/> findet dieſe ſo unendlich reiche, vielbewegte, widerſpruchsvolle<lb/> und doch ſo von einem Geiſte getragene Zeit in allem ihren<lb/> Widerſchein am menſchlichen Aeußern.</p><lb/> <p>Wenn wir uns ſo etwa um das Jahr 1510 auf ein reiches<lb/> patriziſches Ballfeſt, wovon ein Bild vor uns liegt, begeben<lb/> und die Toilette der Herren ein wenig mit hiſtoriſchem Auge<lb/> muſtern wollen — heut zu Tage hat freilich nur noch die der<lb/> Damen Intereſſe —, ſo finden wir die Mode der Schlitze noch<lb/> im Beginn. Zwar blühen die Farben, namentlich Gelb und<lb/> Roth, in üppigſter Weiſe, in Streifen, getheilt und in ganzen<lb/> Stücken, was aber die Aufſchlitzung betrifft, ſo beginnen nur<lb/> hier und da erſt Schultern und Ellbogen ſich in beſcheidener<lb/> Weiſe Luft zu machen; das enge, ſtraffe Beinkleid iſt noch ganz<lb/> unzerſchnitten. Uebrigens muß der Tanz nicht grade Sprünge<lb/> und raſche, heftige Bewegungen erfordert haben, denn wir ſehen<lb/> ſelbſt die alten Herren, denen die lange und weite, ganz ſchwarze<lb/> Schaube bis auf die Füße fällt und mit breitem Pelzkragen die<lb/> nackten Schultern bedeckt, auch dieſe ſehen wir noch den Damen<lb/> die Hand reichen und ein Tänzchen wagen. Man weiß noch nicht<lb/> recht, was aus dieſen alten Herren zu machen iſt. Der höchſt<lb/> ehrbare dunkle Ueberwurf, an Länge und Weite gleich coloſſal,<lb/> und dazu ſtarke Decolletirung mit breitem goldenen Hemdſaum,<lb/> mit bunter Haarkappe und breiten, noch ganz formloſen Schu-<lb/> hen — dieſer Widerſpruch deutet an, daß eine Uebergangsſtufe<lb/> vorhanden iſt: das Ehrenkleid des ſechszehnten Jahrhunderts,<lb/> die Schaube, muß die Blöße des funfzehnten decken, freilich in<lb/> einer Geſtalt, die noch keineswegs der neuen Zeit entſpricht.<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [53/0065]
1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
legt ſich der breite mächtige Ueberwurf mit ſtark ausladendem
Pelzkragen darüber und giebt der ſtattlichen Erſcheinung wieder
den Charakter ruhiger, ſtolzer, ſelbſtbewußter Männlichkeit; wäh-
rend jene alles Gemeinſame aufzuheben, alle Einheit zu verflüch-
tigen ſcheinen, erhalten wir durch dieſen wieder den Eindruck,
als ob ſie alle gleich ausſähen, der eine wie der andre. Und
grade der Ueberwurf, die Schaube, iſt es andererſeits wieder,
welche die charakteriſtiſchen Unterſchiede der Stände giebt. So
findet dieſe ſo unendlich reiche, vielbewegte, widerſpruchsvolle
und doch ſo von einem Geiſte getragene Zeit in allem ihren
Widerſchein am menſchlichen Aeußern.
Wenn wir uns ſo etwa um das Jahr 1510 auf ein reiches
patriziſches Ballfeſt, wovon ein Bild vor uns liegt, begeben
und die Toilette der Herren ein wenig mit hiſtoriſchem Auge
muſtern wollen — heut zu Tage hat freilich nur noch die der
Damen Intereſſe —, ſo finden wir die Mode der Schlitze noch
im Beginn. Zwar blühen die Farben, namentlich Gelb und
Roth, in üppigſter Weiſe, in Streifen, getheilt und in ganzen
Stücken, was aber die Aufſchlitzung betrifft, ſo beginnen nur
hier und da erſt Schultern und Ellbogen ſich in beſcheidener
Weiſe Luft zu machen; das enge, ſtraffe Beinkleid iſt noch ganz
unzerſchnitten. Uebrigens muß der Tanz nicht grade Sprünge
und raſche, heftige Bewegungen erfordert haben, denn wir ſehen
ſelbſt die alten Herren, denen die lange und weite, ganz ſchwarze
Schaube bis auf die Füße fällt und mit breitem Pelzkragen die
nackten Schultern bedeckt, auch dieſe ſehen wir noch den Damen
die Hand reichen und ein Tänzchen wagen. Man weiß noch nicht
recht, was aus dieſen alten Herren zu machen iſt. Der höchſt
ehrbare dunkle Ueberwurf, an Länge und Weite gleich coloſſal,
und dazu ſtarke Decolletirung mit breitem goldenen Hemdſaum,
mit bunter Haarkappe und breiten, noch ganz formloſen Schu-
hen — dieſer Widerſpruch deutet an, daß eine Uebergangsſtufe
vorhanden iſt: das Ehrenkleid des ſechszehnten Jahrhunderts,
die Schaube, muß die Blöße des funfzehnten decken, freilich in
einer Geſtalt, die noch keineswegs der neuen Zeit entſpricht.
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