Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729.

Bild:
<< vorherige Seite

Ein anderes wird das Horn des Uberflußes genannt, damit man glau-
ben solle, es seye darinnen alles kostbare, und selbst auch die sonst nir-
gends anzutreffende Hüner Milch in grosser Menge verhanden. Bald
werden ihre Wercke mit dem Namen derer Musen allgemeiner Hand-
Bücher, fruchtbarer Wiesen, vollgesetzten Tafeln, und andern solchen
Ehren-Titeln gezieret, daß man, um ihre Erlangung willen, Haab
und Guth in die Schantze schlagen solte. Aber, wann man in die Bü-
cher selbst hinein siehet, O ihr Götter! wie schlecht und mager ist als-
dann alles beschaffen.
Wiewohl es haben verschiedene Nationes denen
Griechen hierinnen gar starck nachgeahmet. Derohalben darff sich Niemand
wundern, wann auch unsere heutigen Bücher-Schreiber viele ungereimte
Titel zu Marckte bringen. Was hat man nicht vor eine Menge Schatz-Kam-
mern von Antiquitaeten und Lateinischen Redens-Arten, die doch wann man
sie aufschließet, mit Spreu und Kohlen angefüllet sind? Wie viele Schrifften
versprechen nicht den Kern der wahren Philosophie vorzutragen, welche nicht
einmal die rechten Schaalen in sich halten? Wie viele lustige Redner sind nicht
geschrieben worden, in denen allen zusammen man kaum einen eintzigen geschick-
ten Schertz auftreiben kan? Derer Atlanten und Historischen Schau-Plä-
tze
sind so viele, daß man wohl Ursache hätte mit dem Tichter Cabullus aus-
zuruffen.

Annales Volusi, cacata charta!
O Schrifften sonder Witz, O sehr beschißnen Blätter!

Es lohnet sich nicht der Mühe so vieler goldenen Haupt-Schlüssel, Kö-
niglicher Hand-Leitungen,
Parnassus-Staffeln, grosser und kleiner
Welt-Meere, Wahrheits-Schilde, Weißheits-Schantzen, menschli-
cher Gehirn-Register,
und andere viel hundert solcher Titel zu gedencken,
durch welche man die unvorsichtigen Liebhaber, betrüglicher Weise, zu Kauf-
fung derer Bücher anzureitzen pfleget.

Hieher gehöret nicht unbillig der Schul-Rector zu Hudstadt, einem
Orte, der sonst von nichts als von dem Schwein-Handel, welcher daselbst
getrieben wird, bekannt ist. Dieser Rector hatte wahrgenommen, die zum
Gebrauch des ehemaligen Dauphins, das ist Erb-Cron-Printzens von

Franck-
B b 3

Ein anderes wird das Horn des Uberflußes genannt, damit man glau-
ben ſolle, es ſeye darinnen alles koſtbare, und ſelbſt auch die ſonſt nir-
gends anzutreffende Huͤner Milch in groſſer Menge verhanden. Bald
werden ihre Wercke mit dem Namen derer Muſen allgemeiner Hand-
Buͤcher, fruchtbarer Wieſen, vollgeſetzten Tafeln, und andern ſolchen
Ehren-Titeln gezieret, daß man, um ihre Erlangung willen, Haab
und Guth in die Schantze ſchlagen ſolte. Aber, wann man in die Buͤ-
cher ſelbſt hinein ſiehet, O ihr Goͤtter! wie ſchlecht und mager iſt als-
dann alles beſchaffen.
Wiewohl es haben verſchiedene Nationes denen
Griechen hierinnen gar ſtarck nachgeahmet. Derohalben darff ſich Niemand
wundern, wann auch unſere heutigen Buͤcher-Schreiber viele ungereimte
Titel zu Marckte bringen. Was hat man nicht vor eine Menge Schatz-Kam-
mern von Antiquitæten und Lateiniſchen Redens-Arten, die doch wann man
ſie aufſchließet, mit Spreu und Kohlen angefuͤllet ſind? Wie viele Schrifften
verſprechen nicht den Kern der wahren Philoſophie vorzutragen, welche nicht
einmal die rechten Schaalen in ſich halten? Wie viele luſtige Redner ſind nicht
geſchrieben worden, in denen allen zuſammen man kaum einen eintzigen geſchick-
ten Schertz auftreiben kan? Derer Atlanten und Hiſtoriſchen Schau-Plaͤ-
tze
ſind ſo viele, daß man wohl Urſache haͤtte mit dem Tichter Cabullus aus-
zuruffen.

Annales Voluſi, cacata charta!
O Schrifften ſonder Witz, O ſehr beſchißnen Blaͤtter!

Es lohnet ſich nicht der Muͤhe ſo vieler goldenen Haupt-Schluͤſſel, Koͤ-
niglicher Hand-Leitungen,
Parnaſſus-Staffeln, groſſer und kleiner
Welt-Meere, Wahrheits-Schilde, Weißheits-Schantzen, menſchli-
cher Gehirn-Regiſter,
und andere viel hundert ſolcher Titel zu gedencken,
durch welche man die unvorſichtigen Liebhaber, betruͤglicher Weiſe, zu Kauf-
fung derer Buͤcher anzureitzen pfleget.

Hieher gehoͤret nicht unbillig der Schul-Rector zu Hudſtadt, einem
Orte, der ſonſt von nichts als von dem Schwein-Handel, welcher daſelbſt
getrieben wird, bekannt iſt. Dieſer Rector hatte wahrgenommen, die zum
Gebrauch des ehemaligen Dauphins, das iſt Erb-Cron-Printzens von

Franck-
B b 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0241" n="197"/><hi rendition="#fr">Ein anderes wird das Horn des Uberflußes genannt, damit man glau-<lb/>
ben &#x017F;olle, es &#x017F;eye darinnen alles ko&#x017F;tbare, und &#x017F;elb&#x017F;t auch die &#x017F;on&#x017F;t nir-<lb/>
gends anzutreffende Hu&#x0364;ner Milch in gro&#x017F;&#x017F;er Menge verhanden. Bald<lb/>
werden ihre Wercke mit dem Namen derer Mu&#x017F;en allgemeiner Hand-<lb/>
Bu&#x0364;cher, fruchtbarer Wie&#x017F;en, vollge&#x017F;etzten Tafeln, und andern &#x017F;olchen<lb/>
Ehren-Titeln gezieret, daß man, um ihre Erlangung willen, Haab<lb/>
und Guth in die Schantze &#x017F;chlagen &#x017F;olte. Aber, wann man in die Bu&#x0364;-<lb/>
cher &#x017F;elb&#x017F;t hinein &#x017F;iehet, O ihr Go&#x0364;tter! wie &#x017F;chlecht und mager i&#x017F;t als-<lb/>
dann alles be&#x017F;chaffen.</hi> Wiewohl es haben ver&#x017F;chiedene <hi rendition="#aq">Nationes</hi> denen<lb/>
Griechen hierinnen gar &#x017F;tarck nachgeahmet. Derohalben darff &#x017F;ich Niemand<lb/>
wundern, wann auch un&#x017F;ere heutigen Bu&#x0364;cher-Schreiber viele ungereimte<lb/>
Titel zu Marckte bringen. Was hat man nicht vor eine Menge Schatz-Kam-<lb/>
mern von <hi rendition="#aq">Antiquitæ</hi>ten und Lateini&#x017F;chen Redens-Arten, die doch wann man<lb/>
&#x017F;ie auf&#x017F;chließet, mit Spreu und Kohlen angefu&#x0364;llet &#x017F;ind? Wie viele Schrifften<lb/>
ver&#x017F;prechen nicht den Kern der wahren <hi rendition="#aq">Philo&#x017F;ophie</hi> vorzutragen, welche nicht<lb/>
einmal die rechten Schaalen in &#x017F;ich halten? Wie viele lu&#x017F;tige Redner &#x017F;ind nicht<lb/>
ge&#x017F;chrieben worden, in denen allen zu&#x017F;ammen man kaum einen eintzigen ge&#x017F;chick-<lb/>
ten Schertz auftreiben kan? Derer <hi rendition="#fr">Atlanten</hi> und <hi rendition="#fr">Hi&#x017F;tori&#x017F;chen Schau-Pla&#x0364;-<lb/>
tze</hi> &#x017F;ind &#x017F;o viele, daß man wohl Ur&#x017F;ache ha&#x0364;tte mit dem Tichter <hi rendition="#aq">Cabullus</hi> aus-<lb/>
zuruffen.</p><lb/>
          <cit>
            <quote> <hi rendition="#fr"><hi rendition="#aq">Annales Volu&#x017F;i, cacata charta!</hi><lb/>
O Schrifften &#x017F;onder Witz, O &#x017F;ehr be&#x017F;chißnen Bla&#x0364;tter!</hi> </quote>
            <bibl/>
          </cit><lb/>
          <p>Es lohnet &#x017F;ich nicht der Mu&#x0364;he &#x017F;o vieler <hi rendition="#fr">goldenen Haupt-Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;el, Ko&#x0364;-<lb/>
niglicher Hand-Leitungen,</hi> <hi rendition="#aq">Parna&#x017F;&#x017F;us-</hi><hi rendition="#fr">Staffeln, gro&#x017F;&#x017F;er</hi> und <hi rendition="#fr">kleiner<lb/>
Welt-Meere, Wahrheits-Schilde, Weißheits-Schantzen, men&#x017F;chli-<lb/>
cher Gehirn-Regi&#x017F;ter,</hi> und andere viel hundert &#x017F;olcher Titel zu gedencken,<lb/>
durch welche man die unvor&#x017F;ichtigen Liebhaber, betru&#x0364;glicher Wei&#x017F;e, zu Kauf-<lb/>
fung derer Bu&#x0364;cher anzureitzen pfleget.</p><lb/>
          <p>Hieher geho&#x0364;ret nicht unbillig der Schul-<hi rendition="#aq">Rector</hi> zu <hi rendition="#fr">Hud&#x017F;tadt,</hi> einem<lb/><hi rendition="#fr">Orte,</hi> der &#x017F;on&#x017F;t von nichts als von dem Schwein-Handel, welcher da&#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
getrieben wird, bekannt i&#x017F;t. Die&#x017F;er <hi rendition="#aq">Rector</hi> hatte wahrgenommen, die zum<lb/>
Gebrauch des ehemaligen <hi rendition="#aq">Dauphins,</hi> das i&#x017F;t <hi rendition="#fr">Erb-Cron-Printzens</hi> von<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B b 3</fw><fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">Franck-</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[197/0241] Ein anderes wird das Horn des Uberflußes genannt, damit man glau- ben ſolle, es ſeye darinnen alles koſtbare, und ſelbſt auch die ſonſt nir- gends anzutreffende Huͤner Milch in groſſer Menge verhanden. Bald werden ihre Wercke mit dem Namen derer Muſen allgemeiner Hand- Buͤcher, fruchtbarer Wieſen, vollgeſetzten Tafeln, und andern ſolchen Ehren-Titeln gezieret, daß man, um ihre Erlangung willen, Haab und Guth in die Schantze ſchlagen ſolte. Aber, wann man in die Buͤ- cher ſelbſt hinein ſiehet, O ihr Goͤtter! wie ſchlecht und mager iſt als- dann alles beſchaffen. Wiewohl es haben verſchiedene Nationes denen Griechen hierinnen gar ſtarck nachgeahmet. Derohalben darff ſich Niemand wundern, wann auch unſere heutigen Buͤcher-Schreiber viele ungereimte Titel zu Marckte bringen. Was hat man nicht vor eine Menge Schatz-Kam- mern von Antiquitæten und Lateiniſchen Redens-Arten, die doch wann man ſie aufſchließet, mit Spreu und Kohlen angefuͤllet ſind? Wie viele Schrifften verſprechen nicht den Kern der wahren Philoſophie vorzutragen, welche nicht einmal die rechten Schaalen in ſich halten? Wie viele luſtige Redner ſind nicht geſchrieben worden, in denen allen zuſammen man kaum einen eintzigen geſchick- ten Schertz auftreiben kan? Derer Atlanten und Hiſtoriſchen Schau-Plaͤ- tze ſind ſo viele, daß man wohl Urſache haͤtte mit dem Tichter Cabullus aus- zuruffen. Annales Voluſi, cacata charta! O Schrifften ſonder Witz, O ſehr beſchißnen Blaͤtter! Es lohnet ſich nicht der Muͤhe ſo vieler goldenen Haupt-Schluͤſſel, Koͤ- niglicher Hand-Leitungen, Parnaſſus-Staffeln, groſſer und kleiner Welt-Meere, Wahrheits-Schilde, Weißheits-Schantzen, menſchli- cher Gehirn-Regiſter, und andere viel hundert ſolcher Titel zu gedencken, durch welche man die unvorſichtigen Liebhaber, betruͤglicher Weiſe, zu Kauf- fung derer Buͤcher anzureitzen pfleget. Hieher gehoͤret nicht unbillig der Schul-Rector zu Hudſtadt, einem Orte, der ſonſt von nichts als von dem Schwein-Handel, welcher daſelbſt getrieben wird, bekannt iſt. Dieſer Rector hatte wahrgenommen, die zum Gebrauch des ehemaligen Dauphins, das iſt Erb-Cron-Printzens von Franck- B b 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729/241
Zitationshilfe: Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729/241>, abgerufen am 24.11.2024.