Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729.

Bild:
<< vorherige Seite

Auf Teutsch:

Das Mägdgen, so uns Chapelain als schön und jung
verspricht,
Kommt endlich nach viel Zeit und Müh,
Als wie ein altes Weib,
Voll Runtzeln an das Licht.

Viele, wann sie selber nichts haben, was sie herausgeben, oder auch
nur versprechen können, vermeynen dennoch den Namen eines Gelehrten gar
wohl zu behaupten, wann sie nur ihr Vermögen darauf wenden, alle Schrifften,
die irgendswo zum Vorschein kommen, begierig zusammen zu kauffen, ob sie sol-
che gleich selbst weder lesen noch verstehen können. Sie sammlen also gantze Hauf-
fen Bücher, und sehen selbige, wann sie vorhero aufs herrlichste in Gold und
Purpur eingebunden, und nach der Reyhe hingesetzet sind, täglich etlichemal
mit dem grösten Vergnügen an, oder weisen sie auch wohl ihren Freunden
einmal über das andere. Vornemlich bilden sie sich ein, was besonders gelei-
stet zu haben, und halbe Götter zu seyn, wann sie einmal über ein altes Manu-
script
gerathen, welches sie dann, es seye gleich von andern Gelehrten schon hun-
dertmal abgenutzt, oder auch sonst so verlegen und zerrissen als es nur will,
diesem ungeachtet vor einen vortrefflichen Schatz halten, und vor keine weltli-
che Kostbarkeit vertauschen wollen. So einer war Janus Nicius Erythraeus,
ein gantz sonderbarer Verehrer des Alterthums. Er schätzte die alten Codices,
deren er sehr viel in seiner Bibliothec hatte, ausserordentlich hoch; worüber ihm
aber einstmals ein lächerlicher Zufall begegnete. Denn als er dem Cardinal Fran-
ciscus
von Toledo die Comoedien des Terentius gewiesen, und davon versicherte,
daß sie vor mehr als tausend Jahren geschrieben wären, wie sie dann
auch in der That alt, dabey aber sehr verderbt und übel zugerichtet waren, so
setzte er hinzu, er glaube nicht, daß dieser so gar alte Codex mit einigem
Gelde nach Würden könne bezahlet werden;
worauf der Cardinal ant-
wortete: Ey dulieber GOtt, was höre ich! Ich meines Orts wolte lie-
ber ein eintziges gantz nen-gedrucktes
Exemplar haben, wann es nur gut
und richtig ist als zehen solche verderbte und mangelhaffte, solten sie
auch mit der Sibille eigenen Händen geschrieben seyn.

Noch

Auf Teutſch:

Das Maͤgdgen, ſo uns Chapelain als ſchoͤn und jung
verſpricht,
Kommt endlich nach viel Zeit und Muͤh,
Als wie ein altes Weib,
Voll Runtzeln an das Licht.

Viele, wann ſie ſelber nichts haben, was ſie herausgeben, oder auch
nur verſprechen koͤnnen, vermeynen dennoch den Namen eines Gelehrten gar
wohl zu behaupten, wann ſie nur ihr Vermoͤgen darauf wenden, alle Schrifften,
die irgendswo zum Vorſchein kommen, begierig zuſammen zu kauffen, ob ſie ſol-
che gleich ſelbſt weder leſen noch verſtehen koͤnnen. Sie ſammlen alſo gantze Hauf-
fen Buͤcher, und ſehen ſelbige, wann ſie vorhero aufs herrlichſte in Gold und
Purpur eingebunden, und nach der Reyhe hingeſetzet ſind, taͤglich etlichemal
mit dem groͤſten Vergnuͤgen an, oder weiſen ſie auch wohl ihren Freunden
einmal uͤber das andere. Vornemlich bilden ſie ſich ein, was beſonders gelei-
ſtet zu haben, und halbe Goͤtter zu ſeyn, wann ſie einmal uͤber ein altes Manu-
ſcript
gerathen, welches ſie dann, es ſeye gleich von andern Gelehrten ſchon hun-
dertmal abgenutzt, oder auch ſonſt ſo verlegen und zerriſſen als es nur will,
dieſem ungeachtet vor einen vortrefflichen Schatz halten, und vor keine weltli-
che Koſtbarkeit vertauſchen wollen. So einer war Janus Nicius Erythræus,
ein gantz ſonderbarer Verehrer des Alterthums. Er ſchaͤtzte die alten Codices,
deren er ſehr viel in ſeiner Bibliothec hatte, auſſerordentlich hoch; woruͤber ihm
aber einſtmals ein laͤcherlicher Zufall begegnete. Denn als er dem Cardinal Fran-
ciſcus
von Toledo die Comœdien des Terentius gewieſen, und davon verſicherte,
daß ſie vor mehr als tauſend Jahren geſchrieben waͤren, wie ſie dann
auch in der That alt, dabey aber ſehr verderbt und uͤbel zugerichtet waren, ſo
ſetzte er hinzu, er glaube nicht, daß dieſer ſo gar alte Codex mit einigem
Gelde nach Wuͤrden koͤnne bezahlet werden;
worauf der Cardinal ant-
wortete: Ey dulieber GOtt, was hoͤre ich! Ich meines Orts wolte lie-
ber ein eintziges gantz nen-gedrucktes
Exemplar haben, wann es nur gut
und richtig iſt als zehen ſolche verderbte und mangelhaffte, ſolten ſie
auch mit der Sibille eigenen Haͤnden geſchrieben ſeyn.

Noch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0248" n="204"/>
          <p> <hi rendition="#c">Auf Teut&#x017F;ch:</hi> </p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l> <hi rendition="#fr">Das Ma&#x0364;gdgen, &#x017F;o uns <hi rendition="#aq">Chapelain</hi> als &#x017F;cho&#x0364;n und jung</hi> </l><lb/>
            <l> <hi rendition="#aq">ver&#x017F;pricht,</hi> </l><lb/>
            <l> <hi rendition="#aq">Kommt endlich nach viel Zeit und Mu&#x0364;h,</hi> </l><lb/>
            <l> <hi rendition="#aq">Als wie ein altes Weib,</hi> </l><lb/>
            <l> <hi rendition="#aq">Voll Runtzeln an das Licht.</hi> </l>
          </lg><lb/>
          <p>Viele, wann &#x017F;ie &#x017F;elber nichts haben, was &#x017F;ie herausgeben, oder auch<lb/>
nur ver&#x017F;prechen ko&#x0364;nnen, vermeynen dennoch den Namen eines Gelehrten gar<lb/>
wohl zu behaupten, wann &#x017F;ie nur ihr Vermo&#x0364;gen darauf wenden, alle Schrifften,<lb/>
die irgendswo zum Vor&#x017F;chein kommen, begierig zu&#x017F;ammen zu kauffen, ob &#x017F;ie &#x017F;ol-<lb/>
che gleich &#x017F;elb&#x017F;t weder le&#x017F;en noch ver&#x017F;tehen ko&#x0364;nnen. Sie &#x017F;ammlen al&#x017F;o gantze Hauf-<lb/>
fen Bu&#x0364;cher, und &#x017F;ehen &#x017F;elbige, wann &#x017F;ie vorhero aufs herrlich&#x017F;te in Gold und<lb/>
Purpur eingebunden, und nach der Reyhe hinge&#x017F;etzet &#x017F;ind, ta&#x0364;glich etlichemal<lb/>
mit dem gro&#x0364;&#x017F;ten Vergnu&#x0364;gen an, oder wei&#x017F;en &#x017F;ie auch wohl ihren Freunden<lb/>
einmal u&#x0364;ber das andere. Vornemlich bilden &#x017F;ie &#x017F;ich ein, was be&#x017F;onders gelei-<lb/>
&#x017F;tet zu haben, und halbe Go&#x0364;tter zu &#x017F;eyn, wann &#x017F;ie einmal u&#x0364;ber ein altes <hi rendition="#aq">Manu-<lb/>
&#x017F;cript</hi> gerathen, welches &#x017F;ie dann, es &#x017F;eye gleich von andern Gelehrten &#x017F;chon hun-<lb/>
dertmal abgenutzt, oder auch &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;o verlegen und zerri&#x017F;&#x017F;en als es nur will,<lb/>
die&#x017F;em ungeachtet vor einen vortrefflichen Schatz halten, und vor keine weltli-<lb/>
che Ko&#x017F;tbarkeit vertau&#x017F;chen wollen. So einer war <hi rendition="#aq">Janus Nicius Erythræus,</hi><lb/>
ein gantz &#x017F;onderbarer Verehrer des Alterthums. Er &#x017F;cha&#x0364;tzte die alten <hi rendition="#aq">Codices,</hi><lb/>
deren er &#x017F;ehr viel in &#x017F;einer <hi rendition="#aq">Bibliothec</hi> hatte, au&#x017F;&#x017F;erordentlich hoch; woru&#x0364;ber ihm<lb/>
aber ein&#x017F;tmals ein la&#x0364;cherlicher Zufall begegnete. Denn als er dem <hi rendition="#aq">Cardinal Fran-<lb/>
ci&#x017F;cus</hi> von <hi rendition="#aq">Toledo</hi> die <hi rendition="#aq">Com&#x0153;dien</hi> des <hi rendition="#aq">Terentius</hi> gewie&#x017F;en, und davon ver&#x017F;icherte,<lb/><hi rendition="#fr">daß &#x017F;ie vor mehr als tau&#x017F;end Jahren ge&#x017F;chrieben wa&#x0364;ren,</hi> wie &#x017F;ie dann<lb/>
auch in der That alt, dabey aber &#x017F;ehr verderbt und u&#x0364;bel zugerichtet waren, &#x017F;o<lb/>
&#x017F;etzte er hinzu, <hi rendition="#fr">er glaube nicht, daß die&#x017F;er &#x017F;o gar alte</hi> <hi rendition="#aq">Codex</hi> <hi rendition="#fr">mit einigem<lb/>
Gelde nach Wu&#x0364;rden ko&#x0364;nne bezahlet werden;</hi> worauf der <hi rendition="#aq">Cardinal</hi> ant-<lb/>
wortete: <hi rendition="#fr">Ey dulieber GOtt, was ho&#x0364;re ich! Ich meines Orts wolte lie-<lb/>
ber ein eintziges gantz nen-gedrucktes</hi> <hi rendition="#aq">Exemplar</hi> <hi rendition="#fr">haben, wann es nur gut<lb/>
und richtig i&#x017F;t als zehen &#x017F;olche verderbte und mangelhaffte, &#x017F;olten &#x017F;ie<lb/>
auch mit der Sibille eigenen Ha&#x0364;nden ge&#x017F;chrieben &#x017F;eyn.</hi></p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Noch</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[204/0248] Auf Teutſch: Das Maͤgdgen, ſo uns Chapelain als ſchoͤn und jung verſpricht, Kommt endlich nach viel Zeit und Muͤh, Als wie ein altes Weib, Voll Runtzeln an das Licht. Viele, wann ſie ſelber nichts haben, was ſie herausgeben, oder auch nur verſprechen koͤnnen, vermeynen dennoch den Namen eines Gelehrten gar wohl zu behaupten, wann ſie nur ihr Vermoͤgen darauf wenden, alle Schrifften, die irgendswo zum Vorſchein kommen, begierig zuſammen zu kauffen, ob ſie ſol- che gleich ſelbſt weder leſen noch verſtehen koͤnnen. Sie ſammlen alſo gantze Hauf- fen Buͤcher, und ſehen ſelbige, wann ſie vorhero aufs herrlichſte in Gold und Purpur eingebunden, und nach der Reyhe hingeſetzet ſind, taͤglich etlichemal mit dem groͤſten Vergnuͤgen an, oder weiſen ſie auch wohl ihren Freunden einmal uͤber das andere. Vornemlich bilden ſie ſich ein, was beſonders gelei- ſtet zu haben, und halbe Goͤtter zu ſeyn, wann ſie einmal uͤber ein altes Manu- ſcript gerathen, welches ſie dann, es ſeye gleich von andern Gelehrten ſchon hun- dertmal abgenutzt, oder auch ſonſt ſo verlegen und zerriſſen als es nur will, dieſem ungeachtet vor einen vortrefflichen Schatz halten, und vor keine weltli- che Koſtbarkeit vertauſchen wollen. So einer war Janus Nicius Erythræus, ein gantz ſonderbarer Verehrer des Alterthums. Er ſchaͤtzte die alten Codices, deren er ſehr viel in ſeiner Bibliothec hatte, auſſerordentlich hoch; woruͤber ihm aber einſtmals ein laͤcherlicher Zufall begegnete. Denn als er dem Cardinal Fran- ciſcus von Toledo die Comœdien des Terentius gewieſen, und davon verſicherte, daß ſie vor mehr als tauſend Jahren geſchrieben waͤren, wie ſie dann auch in der That alt, dabey aber ſehr verderbt und uͤbel zugerichtet waren, ſo ſetzte er hinzu, er glaube nicht, daß dieſer ſo gar alte Codex mit einigem Gelde nach Wuͤrden koͤnne bezahlet werden; worauf der Cardinal ant- wortete: Ey dulieber GOtt, was hoͤre ich! Ich meines Orts wolte lie- ber ein eintziges gantz nen-gedrucktes Exemplar haben, wann es nur gut und richtig iſt als zehen ſolche verderbte und mangelhaffte, ſolten ſie auch mit der Sibille eigenen Haͤnden geſchrieben ſeyn. Noch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729/248
Zitationshilfe: Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729/248>, abgerufen am 24.11.2024.