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Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729.

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Diejenigen sind und bleiben indessen die allergrösten gelehrten Narren,
die über den duncklen Verstand eines Wortes oder etlicher, ja wohl gar über
einen Buchstaben, einen Lerm erregen, als ob die Wohlfarth der Welt daran
gelegen wäre, wann dergleichen Worte gleich nichts nutzen, und nichts be-
deuten, als wie die Gestalt des Jupiters im Casu Genitivo. Was derglei-
chen Zänckereyen noch lächerlicher machet, ist die Verbitterung, und die
Feindschafft, worein solche Zancksichtige Gelehrte darüber mit einander gera-
then. Franciscus Philelphus kan desfalls zu einem Exempel dienen. Denn als
er wegen des eigendlichen Verstandes eines Griechischen Wortes mit einem,
Namens Timotheus, um den Bart gewettet und recht behalten, ist er durch
kein Bitten seines Gegners zu bewegen gewesen, daß er ihm den Bart gelas-
sen hätte, sondern er hat selbigen ohne Barmhertzigkeit herunter geschnitten,
und als ein Sieges Zeichen mit sich im Triumph herum getragen.

Die grösten Narren nechst diesen Wort- und Buchstaben-Zänckern,
sind endlich diejenigen, welche über lauter ungewöhnliche Fragen und un-
nütze Grillen
disputiren, z. E. Wie viele Ruder-Knechte Ulysses müsse
gehabt haben? Ob der
Poet Homerus die llias oder die Odissea zu erst ge-
schrieben? Wer doch wohl der
Hecuba Mutter gewesen seye? Was
Achilles vor einen Namen gefuhret, da er unter denen Weibern ge-
lebet? Ob
Homerus oder Hesiodus älter seye? Welches wohl das gröste
Wunderwerck wäre, wann der Elephant so klein wie ein Floh, oder
der Floh so groß wie ein Elephant würde?
Item solche Gelehrte, die
mit grosser Mühe und vielen Gründen etwas zu beweisen suchen, daß doch kei-
nes Beweißes nöthig hat, weil es sichtbar, Handgreiflich und so beschaffen ist,
daß gar kein Mensch im geringsten daran zweiffelt. Hieher gehöret unstreitig
derjenige Magister, dessen in dem 140sten Theil derer Teutschen Actorum Eru-
ditorum
Meldung geschiehet, welcher in einer der Untersuchung derer Gelehr-
ten auf der Hohen-Schule fürgelegten Schrifft, so zu denen Kirchen-Ge-
schichten
gehörte, verschiedene Stellen aus dem Platone und andern ange-
führet, um dadurch zu beweisen, daß es Tag werde, wann die Sonne
aufgehet.

Jedoch, wo dencke ich hin, daß ich diese, aus Tummheit, Einfalt und
blöden Verstande, Schwachheiten begehende Gelehrte die allergrösten ge-

lehr-

Diejenigen ſind und bleiben indeſſen die allergroͤſten gelehrten Narren,
die uͤber den duncklen Verſtand eines Wortes oder etlicher, ja wohl gar uͤber
einen Buchſtaben, einen Lerm erregen, als ob die Wohlfarth der Welt daran
gelegen waͤre, wann dergleichen Worte gleich nichts nutzen, und nichts be-
deuten, als wie die Geſtalt des Jupiters im Caſu Genitivo. Was derglei-
chen Zaͤnckereyen noch laͤcherlicher machet, iſt die Verbitterung, und die
Feindſchafft, worein ſolche Zanckſichtige Gelehrte daruͤber mit einander gera-
then. Franciſcus Philelphus kan desfalls zu einem Exempel dienen. Denn als
er wegen des eigendlichen Verſtandes eines Griechiſchen Wortes mit einem,
Namens Timotheus, um den Bart gewettet und recht behalten, iſt er durch
kein Bitten ſeines Gegners zu bewegen geweſen, daß er ihm den Bart gelaſ-
ſen haͤtte, ſondern er hat ſelbigen ohne Barmhertzigkeit herunter geſchnitten,
und als ein Sieges Zeichen mit ſich im Triumph herum getragen.

Die groͤſten Narren nechſt dieſen Wort- und Buchſtaben-Zaͤnckern,
ſind endlich diejenigen, welche uͤber lauter ungewoͤhnliche Fragen und un-
nuͤtze Grillen
diſputiren, z. E. Wie viele Ruder-Knechte Ulyſſes muͤſſe
gehabt haben? Ob der
Poët Homerus die llias oder die Odiſſea zu erſt ge-
ſchrieben? Wer doch wohl der
Hecuba Mutter geweſen ſeye? Was
Achilles vor einen Namen gefůhret, da er unter denen Weibern ge-
lebet? Ob
Homerus oder Heſiodus aͤlter ſeye? Welches wohl das groͤſte
Wunderwerck waͤre, wann der Elephant ſo klein wie ein Floh, oder
der Floh ſo groß wie ein Elephant wuͤrde?
Item ſolche Gelehrte, die
mit groſſer Muͤhe und vielen Gruͤnden etwas zu beweiſen ſuchen, daß doch kei-
nes Beweißes noͤthig hat, weil es ſichtbar, Handgreiflich und ſo beſchaffen iſt,
daß gar kein Menſch im geringſten daran zweiffelt. Hieher gehoͤret unſtreitig
derjenige Magiſter, deſſen in dem 140ſten Theil derer Teutſchen Actorum Eru-
ditorum
Meldung geſchiehet, welcher in einer der Unterſuchung derer Gelehr-
ten auf der Hohen-Schule fuͤrgelegten Schrifft, ſo zu denen Kirchen-Ge-
ſchichten
gehoͤrte, verſchiedene Stellen aus dem Platone und andern ange-
fuͤhret, um dadurch zu beweiſen, daß es Tag werde, wann die Sonne
aufgehet.

Jedoch, wo dencke ich hin, daß ich dieſe, aus Tummheit, Einfalt und
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[220/0264] Diejenigen ſind und bleiben indeſſen die allergroͤſten gelehrten Narren, die uͤber den duncklen Verſtand eines Wortes oder etlicher, ja wohl gar uͤber einen Buchſtaben, einen Lerm erregen, als ob die Wohlfarth der Welt daran gelegen waͤre, wann dergleichen Worte gleich nichts nutzen, und nichts be- deuten, als wie die Geſtalt des Jupiters im Caſu Genitivo. Was derglei- chen Zaͤnckereyen noch laͤcherlicher machet, iſt die Verbitterung, und die Feindſchafft, worein ſolche Zanckſichtige Gelehrte daruͤber mit einander gera- then. Franciſcus Philelphus kan desfalls zu einem Exempel dienen. Denn als er wegen des eigendlichen Verſtandes eines Griechiſchen Wortes mit einem, Namens Timotheus, um den Bart gewettet und recht behalten, iſt er durch kein Bitten ſeines Gegners zu bewegen geweſen, daß er ihm den Bart gelaſ- ſen haͤtte, ſondern er hat ſelbigen ohne Barmhertzigkeit herunter geſchnitten, und als ein Sieges Zeichen mit ſich im Triumph herum getragen. Die groͤſten Narren nechſt dieſen Wort- und Buchſtaben-Zaͤnckern, ſind endlich diejenigen, welche uͤber lauter ungewoͤhnliche Fragen und un- nuͤtze Grillen diſputiren, z. E. Wie viele Ruder-Knechte Ulyſſes muͤſſe gehabt haben? Ob der Poët Homerus die llias oder die Odiſſea zu erſt ge- ſchrieben? Wer doch wohl der Hecuba Mutter geweſen ſeye? Was Achilles vor einen Namen gefůhret, da er unter denen Weibern ge- lebet? Ob Homerus oder Heſiodus aͤlter ſeye? Welches wohl das groͤſte Wunderwerck waͤre, wann der Elephant ſo klein wie ein Floh, oder der Floh ſo groß wie ein Elephant wuͤrde? Item ſolche Gelehrte, die mit groſſer Muͤhe und vielen Gruͤnden etwas zu beweiſen ſuchen, daß doch kei- nes Beweißes noͤthig hat, weil es ſichtbar, Handgreiflich und ſo beſchaffen iſt, daß gar kein Menſch im geringſten daran zweiffelt. Hieher gehoͤret unſtreitig derjenige Magiſter, deſſen in dem 140ſten Theil derer Teutſchen Actorum Eru- ditorum Meldung geſchiehet, welcher in einer der Unterſuchung derer Gelehr- ten auf der Hohen-Schule fuͤrgelegten Schrifft, ſo zu denen Kirchen-Ge- ſchichten gehoͤrte, verſchiedene Stellen aus dem Platone und andern ange- fuͤhret, um dadurch zu beweiſen, daß es Tag werde, wann die Sonne aufgehet. Jedoch, wo dencke ich hin, daß ich dieſe, aus Tummheit, Einfalt und bloͤden Verſtande, Schwachheiten begehende Gelehrte die allergroͤſten ge- lehr-

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Zitationshilfe: Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729/264>, abgerufen am 25.11.2024.