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Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729.

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dermaleins auf weltliche Sachen begeben, wissen nicht, was sie wollen
oder sollen. Denn gleichwie bey gutem Wetter ein Schiff leicht zu re-
gieren ist; also können die Müßiggänger ein Ding mit Worten tapffer
herraus streichen und loben, auch verachten, bald aber zugleich loben
und verachten. Sie haben gewaltige Anschläge im Kopffe stecken, und
können sehr
subtil auch von denen schwehresten Regiments-Händeln di-
sputi
ren, weil sie einen grossen Vorrath von Worten haben und besi-
tzen. Aber im Wercke taugen sie gantz und gar nichts, und seynd unge-
schickt zu allen Sachen, wo sie nicht zuvor wohl darinnen unterrich-
tet, geübet und angeführet werden. Was hilfft es indessen einem,
daß er sich lange auf dem Kopff kratzet, und seine Nägel zerbeisset, her-
nach aber, wann er zur Verwaltung einigen Welt-Handels solle gezo-
gen werden, dabey mit lauter Unverstand
agiret, und ungereimte An-
schläge, die gar nicht zur Sache dienen, angiebet? Mögen die Leute als-
dann nicht billig von einem solchem
Philosopho sagen: O ihr Bürger,
was sollen wir mit diesem Ochsen anfangen? Dieses begegnet ge-
meiniglich denenjenigen, die da aus denen Büchern haben zancken und
kriegen gelernet, als welches gemeiniglich närrische Zäncker und un-
glückselige Kriegs Leute giebt. Also ist es ein grosser Unterschied et-
was mit Verstande verrichten, und wohl
discuriren können. Was ist
das aber vor ein Leben, wann man die Nase allezeit in denen Büchern,
und den Kopff voller verwirrter Gedancken stecken hat? oder sonst viel
schreibet, wäschet und plaudert? wann man sonst weiter nichts nützli-
ches thut oder vornimmet? Mir meines Orts düncket, es sey dieses Le-
ben keinem wahren Leben ähnlich.

Hierzu kommt, daß diejenigen, welche sich lange bey und in dem
Studieren auf halten, nicht allein unterdessen die
Experientz und Er-
fahrung an ihnen selbst versäumen, sondern auch insgemein zu allen Ver-
richtungen ungeschickt und unartig werden. Dannenhero geschiehet es
auch daß sie sich sonderlich durch ihre Sitten und Geberden vor an-
dern Leuten
characterisiren, und sich aller menschlichen Gemeinschafft
entschlagen. Gerathen sie aber ungefähr einmal in Gesellschafft da sie-
het man erst recht, was vor unlustige, unfreundliche und eigensinnige
ja recht wilde Leute es seynd, die doch gleichwohl einem jedweden sei-
nen Fehler aufmutzen, ja auch Fürsten und Herren antasten dürffen, die
sie gegen ihren vermeynten Stand hoher Welt-Weisen vor nichts hal-

ten,

dermaleins auf weltliche Sachen begeben, wiſſen nicht, was ſie wollen
oder ſollen. Denn gleichwie bey gutem Wetter ein Schiff leicht zu re-
gieren iſt; alſo koͤnnen die Muͤßiggaͤnger ein Ding mit Worten tapffer
herraus ſtreichen und loben, auch verachten, bald aber zugleich loben
und verachten. Sie haben gewaltige Anſchlaͤge im Kopffe ſtecken, und
koͤnnen ſehr
ſubtil auch von denen ſchwehreſten Regiments-Haͤndeln di-
ſputi
ren, weil ſie einen groſſen Vorrath von Worten haben und beſi-
tzen. Aber im Wercke taugen ſie gantz und gar nichts, und ſeynd unge-
ſchickt zu allen Sachen, wo ſie nicht zuvor wohl darinnen unterrich-
tet, geuͤbet und angefuͤhret werden. Was hilfft es indeſſen einem,
daß er ſich lange auf dem Kopff kratzet, und ſeine Naͤgel zerbeiſſet, her-
nach aber, wann er zur Verwaltung einigen Welt-Handels ſolle gezo-
gen werden, dabey mit lauter Unverſtand
agiret, und ungereimte An-
ſchlaͤge, die gar nicht zur Sache dienen, angiebet? Moͤgen die Leute als-
dann nicht billig von einem ſolchem
Philoſopho ſagen: O ihr Buͤrger,
was ſollen wir mit dieſem Ochſen anfangen? Dieſes begegnet ge-
meiniglich denenjenigen, die da aus denen Buͤchern haben zancken und
kriegen gelernet, als welches gemeiniglich naͤrriſche Zaͤncker und un-
gluͤckſelige Kriegs Leute giebt. Alſo iſt es ein groſſer Unterſchied et-
was mit Verſtande verrichten, und wohl
diſcuriren koͤnnen. Was iſt
das aber vor ein Leben, wann man die Naſe allezeit in denen Buͤchern,
und den Kopff voller verwirrter Gedancken ſtecken hat? oder ſonſt viel
ſchreibet, waͤſchet und plaudert? wann man ſonſt weiter nichts nuͤtzli-
ches thut oder vornimmet? Mir meines Orts duͤncket, es ſey dieſes Le-
ben keinem wahren Leben aͤhnlich.

Hierzu kommt, daß diejenigen, welche ſich lange bey und in dem
Studieren auf halten, nicht allein unterdeſſen die
Experientz und Er-
fahrung an ihnen ſelbſt verſaͤumen, ſondern auch insgemein zu allen Ver-
richtungen ungeſchickt und unartig werden. Dannenhero geſchiehet es
auch daß ſie ſich ſonderlich durch ihre Sitten und Geberden vor an-
dern Leuten
characteriſiren, und ſich aller menſchlichen Gemeinſchafft
entſchlagen. Gerathen ſie aber ungefaͤhr einmal in Geſellſchafft da ſie-
het man erſt recht, was vor unluſtige, unfreundliche und eigenſinnige
ja recht wilde Leute es ſeynd, die doch gleichwohl einem jedweden ſei-
nen Fehler aufmutzen, ja auch Fuͤrſten und Herren antaſten duͤrffen, die
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[40/0084] dermaleins auf weltliche Sachen begeben, wiſſen nicht, was ſie wollen oder ſollen. Denn gleichwie bey gutem Wetter ein Schiff leicht zu re- gieren iſt; alſo koͤnnen die Muͤßiggaͤnger ein Ding mit Worten tapffer herraus ſtreichen und loben, auch verachten, bald aber zugleich loben und verachten. Sie haben gewaltige Anſchlaͤge im Kopffe ſtecken, und koͤnnen ſehr ſubtil auch von denen ſchwehreſten Regiments-Haͤndeln di- ſputiren, weil ſie einen groſſen Vorrath von Worten haben und beſi- tzen. Aber im Wercke taugen ſie gantz und gar nichts, und ſeynd unge- ſchickt zu allen Sachen, wo ſie nicht zuvor wohl darinnen unterrich- tet, geuͤbet und angefuͤhret werden. Was hilfft es indeſſen einem, daß er ſich lange auf dem Kopff kratzet, und ſeine Naͤgel zerbeiſſet, her- nach aber, wann er zur Verwaltung einigen Welt-Handels ſolle gezo- gen werden, dabey mit lauter Unverſtand agiret, und ungereimte An- ſchlaͤge, die gar nicht zur Sache dienen, angiebet? Moͤgen die Leute als- dann nicht billig von einem ſolchem Philoſopho ſagen: O ihr Buͤrger, was ſollen wir mit dieſem Ochſen anfangen? Dieſes begegnet ge- meiniglich denenjenigen, die da aus denen Buͤchern haben zancken und kriegen gelernet, als welches gemeiniglich naͤrriſche Zaͤncker und un- gluͤckſelige Kriegs Leute giebt. Alſo iſt es ein groſſer Unterſchied et- was mit Verſtande verrichten, und wohl diſcuriren koͤnnen. Was iſt das aber vor ein Leben, wann man die Naſe allezeit in denen Buͤchern, und den Kopff voller verwirrter Gedancken ſtecken hat? oder ſonſt viel ſchreibet, waͤſchet und plaudert? wann man ſonſt weiter nichts nuͤtzli- ches thut oder vornimmet? Mir meines Orts duͤncket, es ſey dieſes Le- ben keinem wahren Leben aͤhnlich. Hierzu kommt, daß diejenigen, welche ſich lange bey und in dem Studieren auf halten, nicht allein unterdeſſen die Experientz und Er- fahrung an ihnen ſelbſt verſaͤumen, ſondern auch insgemein zu allen Ver- richtungen ungeſchickt und unartig werden. Dannenhero geſchiehet es auch daß ſie ſich ſonderlich durch ihre Sitten und Geberden vor an- dern Leuten characteriſiren, und ſich aller menſchlichen Gemeinſchafft entſchlagen. Gerathen ſie aber ungefaͤhr einmal in Geſellſchafft da ſie- het man erſt recht, was vor unluſtige, unfreundliche und eigenſinnige ja recht wilde Leute es ſeynd, die doch gleichwohl einem jedweden ſei- nen Fehler aufmutzen, ja auch Fuͤrſten und Herren antaſten duͤrffen, die ſie gegen ihren vermeynten Stand hoher Welt-Weiſen vor nichts hal- ten,

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Zitationshilfe: Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729/84>, abgerufen am 29.11.2024.