[Fessler, Ignaz Aurelius]: Eleusinien des neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. Berlin, 1802Gewissen und Gott zum Zeugen und Richter C 2
Gewiſſen und Gott zum Zeugen und Richter C 2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0053" n="35"/> Gewiſſen und Gott zum Zeugen und Richter<lb/> nimmt, die <hi rendition="#g">fuͤr die ſittliche Freiheit</hi>. Du<lb/> kennſt daruͤber meine Ueberzeugung. — „Jeder,<lb/> der es redlich mit ſich ſelbſt meint, ſo ſchrieb ich<lb/> vor einigen Jahren an einem andern Orte, muß<lb/> ſich unablaͤßig ſelbſt beobachten, und an ſeiner<lb/> Veredelung arbeiten; dies muß ihm durch Uebung<lb/> gleichſam natuͤrlich geworden ſeyn. Aber dies Ge-<lb/> ſchaͤft ſcheint, ſeiner Natur nach, keiner Mitthei-<lb/> lung faͤhig zu ſeyn. Ich kam zu einem Maler,<lb/> den ich arbeiten ſehen wollte, er zeigte mir alle<lb/> ſeine Gemaͤlde, ſelbſt die noch nicht vollendeten;<lb/> aber, ſo ſehr ich ihn auch darum bat, ſo wollte<lb/> er doch vor meinen Augen nicht daran arbeiten,<lb/> er verſicherte: die Werke des Genies gelaͤngen nur<lb/> in der Einſamkeit. Dies fuͤhrte mich auf das<lb/> Werk des moraliſchen Genius in uns, und ich<lb/> ahnete die Wahrheit, daß man auch dabei <hi rendition="#g">al-<lb/> lein</hi> ſeyn muͤſſe. Ich fand es immer mehr be-<lb/> ſtaͤtigt, daß das wahre Beſtreben, ſich zu vered-<lb/> len, ſehr zart und ſchamhaft ſey, daß es ſich in<lb/> ſelbſt zuruͤckziche und ſich gar nicht mittheilen<lb/> koͤnne. — Nie hatte ich meine Verbeſſerung in<lb/> Worte <hi rendition="#g">vor mir ſelbſt</hi> gebracht: wie wollte ich<lb/> ſie doch <hi rendition="#g">vor andern</hi> in Worte kleiden! Genug,<lb/> ich <hi rendition="#g">handelte</hi> anders, und meine Freunde, wie<lb/> ich ſelbſt, erkannten das Wachsthum der Pflanze<lb/> nur an ihren Fruͤchten. — Sonach ſoll man nie ſeine<lb/> Verbeſſerung zur Schau tragen, ſich nie zu einem<lb/> bloßen Bekenntniß ſeiner Fehler erniedrigen, ſon-<lb/> dern ſie ablegen. Ekeln ſoll uns vor ihnen; dann<lb/> <fw place="bottom" type="sig">C 2</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [35/0053]
Gewiſſen und Gott zum Zeugen und Richter
nimmt, die fuͤr die ſittliche Freiheit. Du
kennſt daruͤber meine Ueberzeugung. — „Jeder,
der es redlich mit ſich ſelbſt meint, ſo ſchrieb ich
vor einigen Jahren an einem andern Orte, muß
ſich unablaͤßig ſelbſt beobachten, und an ſeiner
Veredelung arbeiten; dies muß ihm durch Uebung
gleichſam natuͤrlich geworden ſeyn. Aber dies Ge-
ſchaͤft ſcheint, ſeiner Natur nach, keiner Mitthei-
lung faͤhig zu ſeyn. Ich kam zu einem Maler,
den ich arbeiten ſehen wollte, er zeigte mir alle
ſeine Gemaͤlde, ſelbſt die noch nicht vollendeten;
aber, ſo ſehr ich ihn auch darum bat, ſo wollte
er doch vor meinen Augen nicht daran arbeiten,
er verſicherte: die Werke des Genies gelaͤngen nur
in der Einſamkeit. Dies fuͤhrte mich auf das
Werk des moraliſchen Genius in uns, und ich
ahnete die Wahrheit, daß man auch dabei al-
lein ſeyn muͤſſe. Ich fand es immer mehr be-
ſtaͤtigt, daß das wahre Beſtreben, ſich zu vered-
len, ſehr zart und ſchamhaft ſey, daß es ſich in
ſelbſt zuruͤckziche und ſich gar nicht mittheilen
koͤnne. — Nie hatte ich meine Verbeſſerung in
Worte vor mir ſelbſt gebracht: wie wollte ich
ſie doch vor andern in Worte kleiden! Genug,
ich handelte anders, und meine Freunde, wie
ich ſelbſt, erkannten das Wachsthum der Pflanze
nur an ihren Fruͤchten. — Sonach ſoll man nie ſeine
Verbeſſerung zur Schau tragen, ſich nie zu einem
bloßen Bekenntniß ſeiner Fehler erniedrigen, ſon-
dern ſie ablegen. Ekeln ſoll uns vor ihnen; dann
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