"ihren Stand gekleidet ausgehen, eben so auch in "Ansehung ihrer Sinnes- und Gemüthsart nur "maskirt und verlarvt in Gesellschaft erscheinen; "daß keiner, was er ist, zeigen, jeder nur scheinen "will was er nicht ist; daß sie Religion und Mo- "ral nur für andere haben, und die Grundsätze "die sie aussprechen, bei ihnen nichts weiter sind "als Gemeinplätze auf welche sie sich flüchten, "wenn sie ihre verrathenen Blößen decken wollen, "oder wenn sie auf Inconsequenzen und Unbe- "sonnenheiten ertappt werden:" aber in der Beur- theilung und Behandlung des einzelnen Menschen kann weder eine innere Ueberzeugung, noch eine äußere Einwirkung seinen Blick von der Wahrheit abziehen: "daß der Maaßstab, nach dem jeder "Mensch die Pflichten des Lebens erfüllen soll, "oder erfüllet hat, das Erzeugniß seines eigenen "Geistes sei, daß er in seinem Innersten liege, "kein anderer Sterblicher es wagen dürfe, über "den Gehalt desselben zu entscheiden, und jeder "die Richtigkeit desselben lediglich vor seinem Ge- "wissen und vor Gott, zu erproben habe; daß "nur der vermessene Selbstling, der sich selbst "noch durchaus ein Räthsel ist, die Thorheit bege- "hen könne, in das Innere seines Nebenmenschen "schauen zu wollen; daß es daher überall hohe "Zeit sei, aufzuhören, in unsern Urtheilen über "Menschen in das Amt des Gewissens und in die "Rechte der Gottheit eingreifen zu wollen." Es ist ein Unglück für Feßler, daß er, sowohl wäh- rend seines eilfjährigen Klosterlebens, als während
„ihren Stand gekleidet ausgehen, eben ſo auch in „Anſehung ihrer Sinnes- und Gemuͤthsart nur „maskirt und verlarvt in Geſellſchaft erſcheinen; „daß keiner, was er iſt, zeigen, jeder nur ſcheinen „will was er nicht iſt; daß ſie Religion und Mo- „ral nur fuͤr andere haben, und die Grundſaͤtze „die ſie ausſprechen, bei ihnen nichts weiter ſind „als Gemeinplaͤtze auf welche ſie ſich fluͤchten, „wenn ſie ihre verrathenen Bloͤßen decken wollen, „oder wenn ſie auf Inconſequenzen und Unbe- „ſonnenheiten ertappt werden:“ aber in der Beur- theilung und Behandlung des einzelnen Menſchen kann weder eine innere Ueberzeugung, noch eine aͤußere Einwirkung ſeinen Blick von der Wahrheit abziehen: „daß der Maaßſtab, nach dem jeder „Menſch die Pflichten des Lebens erfuͤllen ſoll, „oder erfuͤllet hat, das Erzeugniß ſeines eigenen „Geiſtes ſei, daß er in ſeinem Innerſten liege, „kein anderer Sterblicher es wagen duͤrfe, uͤber „den Gehalt deſſelben zu entſcheiden, und jeder „die Richtigkeit deſſelben lediglich vor ſeinem Ge- „wiſſen und vor Gott, zu erproben habe; daß „nur der vermeſſene Selbſtling, der ſich ſelbſt „noch durchaus ein Raͤthſel iſt, die Thorheit bege- „hen koͤnne, in das Innere ſeines Nebenmenſchen „ſchauen zu wollen; daß es daher uͤberall hohe „Zeit ſei, aufzuhoͤren, in unſern Urtheilen uͤber „Menſchen in das Amt des Gewiſſens und in die „Rechte der Gottheit eingreifen zu wollen.“ Es iſt ein Ungluͤck fuͤr Feßler, daß er, ſowohl waͤh- rend ſeines eilfjaͤhrigen Kloſterlebens, als waͤhrend
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„ihren Stand gekleidet ausgehen, eben ſo auch in
„Anſehung ihrer Sinnes- und Gemuͤthsart nur
„maskirt und verlarvt in Geſellſchaft erſcheinen;
„daß keiner, was er iſt, zeigen, jeder nur ſcheinen
„will was er nicht iſt; daß ſie Religion und Mo-
„ral nur fuͤr andere haben, und die Grundſaͤtze
„die ſie ausſprechen, bei ihnen nichts weiter ſind
„als Gemeinplaͤtze auf welche ſie ſich fluͤchten,
„wenn ſie ihre verrathenen Bloͤßen decken wollen,
„oder wenn ſie auf Inconſequenzen und Unbe-
„ſonnenheiten ertappt werden:“ aber in der Beur-
theilung und Behandlung des einzelnen Menſchen
kann weder eine innere Ueberzeugung, noch eine
aͤußere Einwirkung ſeinen Blick von der Wahrheit
abziehen: „daß der Maaßſtab, nach dem jeder
„Menſch die Pflichten des Lebens erfuͤllen ſoll,
„oder erfuͤllet hat, das Erzeugniß ſeines eigenen
„Geiſtes ſei, daß er in ſeinem Innerſten liege,
„kein anderer Sterblicher es wagen duͤrfe, uͤber
„den Gehalt deſſelben zu entſcheiden, und jeder
„die Richtigkeit deſſelben lediglich vor ſeinem Ge-
„wiſſen und vor Gott, zu erproben habe; daß
„nur der vermeſſene Selbſtling, der ſich ſelbſt
„noch durchaus ein Raͤthſel iſt, die Thorheit bege-
„hen koͤnne, in das Innere ſeines Nebenmenſchen
„ſchauen zu wollen; daß es daher uͤberall hohe
„Zeit ſei, aufzuhoͤren, in unſern Urtheilen uͤber
„Menſchen in das Amt des Gewiſſens und in die
„Rechte der Gottheit eingreifen zu wollen.“ Es
iſt ein Ungluͤck fuͤr Feßler, daß er, ſowohl waͤh-
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[Fessler, Ignaz Aurelius]: Eleusinien des neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. Berlin, 1803, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fessler_eleusinien02_1803/117>, abgerufen am 24.11.2024.
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