Ich gehe ohne weiteres zu der folgenden Unter- suchung.
Was die öffentliche Kultur betrifft, so war es ohnstreitig zweckmäßig, da zu ihr ein jeder, so weit er derselben empfänglich ist, den möglichst leichtesten Zutritt haben soll, daß sie in bleiben- den Denkmählern niedergelegt wurde, nach- dem nur die Kunst erfunden war, den vorüber- fliehenden Gedanken und dem flüchtigen Worte Dauer und Sichtbarkeit für das Auge zu geben. Zu der geheimen Kultur aber soll, zu Folge ihres Wesens, nicht jedermann, sondern nur der- jenige, der durch die öffentliche schon durchgegan- gen und durch sie schon möglichst vollendet ist, den Zutritt haben. -- Die geheime Kultur kann, wie es durch alles Gesagte klar ist, der öffentlichen nicht vorausgehen, sie selbst setzt vielmehr die öffentliche voraus; sie kann eben so wenig ihr zur Seite gehen, ohne daß die Zwecke beider ver- eitelt werden; sie kann ihr lediglich folgen.
Nun aber kann man -- laß mich diesen Punkt immer sorgfältiger auseinandersetzen -- zu dem eigentlichen Ziele aller geheimen Kultur, der rein- menschlichen Bildung, welche mein sechster Brief Dir in einem schwachen Abrisse vor Augen stellte, auf zwei Wegen gelangen: entweder für sich allein, durch Talent, tiefes Nachdenken und Er-
Zweites Bändch. D
Funfzehnter Brief.
Ich gehe ohne weiteres zu der folgenden Unter- ſuchung.
Was die oͤffentliche Kultur betrifft, ſo war es ohnſtreitig zweckmaͤßig, da zu ihr ein jeder, ſo weit er derſelben empfaͤnglich iſt, den moͤglichſt leichteſten Zutritt haben ſoll, daß ſie in bleiben- den Denkmaͤhlern niedergelegt wurde, nach- dem nur die Kunſt erfunden war, den voruͤber- fliehenden Gedanken und dem fluͤchtigen Worte Dauer und Sichtbarkeit fuͤr das Auge zu geben. Zu der geheimen Kultur aber ſoll, zu Folge ihres Weſens, nicht jedermann, ſondern nur der- jenige, der durch die oͤffentliche ſchon durchgegan- gen und durch ſie ſchon moͤglichſt vollendet iſt, den Zutritt haben. — Die geheime Kultur kann, wie es durch alles Geſagte klar iſt, der oͤffentlichen nicht vorausgehen, ſie ſelbſt ſetzt vielmehr die oͤffentliche voraus; ſie kann eben ſo wenig ihr zur Seite gehen, ohne daß die Zwecke beider ver- eitelt werden; ſie kann ihr lediglich folgen.
Nun aber kann man — laß mich dieſen Punkt immer ſorgfaͤltiger auseinanderſetzen — zu dem eigentlichen Ziele aller geheimen Kultur, der rein- menſchlichen Bildung, welche mein ſechſter Brief Dir in einem ſchwachen Abriſſe vor Augen ſtellte, auf zwei Wegen gelangen: entweder fuͤr ſich allein, durch Talent, tiefes Nachdenken und Er-
Zweites Baͤndch. D
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Funfzehnter Brief.
Ich gehe ohne weiteres zu der folgenden Unter-
ſuchung.
Was die oͤffentliche Kultur betrifft, ſo war
es ohnſtreitig zweckmaͤßig, da zu ihr ein jeder, ſo
weit er derſelben empfaͤnglich iſt, den moͤglichſt
leichteſten Zutritt haben ſoll, daß ſie in bleiben-
den Denkmaͤhlern niedergelegt wurde, nach-
dem nur die Kunſt erfunden war, den voruͤber-
fliehenden Gedanken und dem fluͤchtigen Worte
Dauer und Sichtbarkeit fuͤr das Auge zu geben.
Zu der geheimen Kultur aber ſoll, zu Folge
ihres Weſens, nicht jedermann, ſondern nur der-
jenige, der durch die oͤffentliche ſchon durchgegan-
gen und durch ſie ſchon moͤglichſt vollendet iſt, den
Zutritt haben. — Die geheime Kultur kann, wie
es durch alles Geſagte klar iſt, der oͤffentlichen
nicht vorausgehen, ſie ſelbſt ſetzt vielmehr die
oͤffentliche voraus; ſie kann eben ſo wenig ihr zur
Seite gehen, ohne daß die Zwecke beider ver-
eitelt werden; ſie kann ihr lediglich folgen.
Nun aber kann man — laß mich dieſen Punkt
immer ſorgfaͤltiger auseinanderſetzen — zu dem
eigentlichen Ziele aller geheimen Kultur, der rein-
menſchlichen Bildung, welche mein ſechſter Brief
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[Fessler, Ignaz Aurelius]: Eleusinien des neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. Berlin, 1803, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fessler_eleusinien02_1803/71>, abgerufen am 21.11.2024.
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