Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.ihr wesentlicher, wahrer Gott. Der wahre, reale Gott einer *) Dieß ist besonders deutlich in der Menschwerdung ausgesprochen.
Gott gibt auch, negirt seine Majestät und überweltliche Macht, d. i. seine Unendlichkeit, um Mensch zu werden, d. h. der Mensch negirt den Gott, der nicht selbst Mensch ist, bejaht nur den Gott, welcher den Menschen be- jaht. Exinanivit, sagt der heil. Bernhard, majestate et potentia, non bo- nitate et misericordia. Das Unveräußerliche, das nicht zu Negirende ist die göttliche Güte und Barmherzigkeit, d. i. die Selbstbejahung des menschlichen Herzens. ihr weſentlicher, wahrer Gott. Der wahre, reale Gott einer *) Dieß iſt beſonders deutlich in der Menſchwerdung ausgeſprochen.
Gott gibt auch, negirt ſeine Majeſtät und überweltliche Macht, d. i. ſeine Unendlichkeit, um Menſch zu werden, d. h. der Menſch negirt den Gott, der nicht ſelbſt Menſch iſt, bejaht nur den Gott, welcher den Menſchen be- jaht. Exinanivit, ſagt der heil. Bernhard, majestate et potentia, non bo- nitate et misericordia. Das Unveräußerliche, das nicht zu Negirende iſt die göttliche Güte und Barmherzigkeit, d. i. die Selbſtbejahung des menſchlichen Herzens. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0104" n="86"/> ihr weſentlicher, wahrer Gott. Der wahre, <hi rendition="#g">reale</hi> Gott einer<lb/> Religion iſt überhaupt erſt der <hi rendition="#g">ſogenannte Mittler</hi>, weil<lb/> dieſer nur der <hi rendition="#g">unmittelbare</hi> Gegenſtand der Religion iſt.<lb/> Wer ſich ſtatt an Gott, an den Heiligen wendet, der wendet<lb/> ſich an den Heiligen nur in der Vorausſetzung, daß dieſer <hi rendition="#g">Al-<lb/> les über Gott vermag</hi>, daß, was er bittet, d. h. wünſcht<lb/> und will, Gott gutwillig vollſtreckt, d. h. daß <hi rendition="#g">Gott in den<lb/> Händen des Heiligen</hi> iſt. Die Bitte iſt das Mittel, unter<lb/> dem <hi rendition="#g">Scheine</hi> der Demuth und Unterwürfigkeit, <hi rendition="#g">ſeine Herr-<lb/> ſchaft</hi> und <hi rendition="#g">Superiorität</hi> über ein andres Weſen auszuüben.<lb/> Der König herrſcht, aber regiert nicht — dieſer Grundſatz gilt<lb/> auch von dem Regiment der Heiligen. Woran ich mich <hi rendition="#g">zu-<lb/> erſt</hi> in meinem Geiſte wende, das iſt mir auch in Wahrheit<lb/> das <hi rendition="#g">erſte</hi> Weſen. Ich wende mich an den Heiligen, <hi rendition="#g">nicht<lb/> weil der Heilige von Gott</hi>, ſondern <hi rendition="#g">weil Gott von dem<lb/> Heiligen abhängig iſt</hi>, Gott von den Bitten, d. h. von<lb/> dem Willen und Herzen des Heiligen beſtimmt und beherrſcht<lb/> wird. Die Unterſchiede, welche die katholiſchen Theologen<lb/> zwiſchen Latria, Dulia, Hyperdulia machen, ſind abgeſchmackte,<lb/> grundloſe Sophismen. Kurz, der Gott <hi rendition="#g">hinter</hi> dem Mittler<lb/> iſt nur eine abſtracte müßige Vorſtellung, die Vorſtellung<lb/> oder Idee der Gottheit; und nicht, um ſich mit dieſer Idee zu<lb/> verſöhnen, ſondern um ſie zu <hi rendition="#g">entfernen</hi>, zu <hi rendition="#g">negiren</hi> <note place="foot" n="*)">Dieß iſt beſonders deutlich in der Menſchwerdung ausgeſprochen.<lb/> Gott gibt auch, negirt ſeine Majeſtät und überweltliche Macht, d. i. ſeine<lb/> Unendlichkeit, um Menſch zu werden, d. h. der Menſch <hi rendition="#g">negirt den</hi> Gott,<lb/> der nicht ſelbſt Menſch iſt, bejaht nur den Gott, welcher den Menſchen be-<lb/> jaht. <hi rendition="#aq">Exinanivit</hi>, ſagt der heil. Bernhard, <hi rendition="#aq">majestate et potentia, <hi rendition="#g">non bo-<lb/> nitate et misericordia</hi></hi>. Das Unveräußerliche, das nicht zu Negirende<lb/> iſt die göttliche Güte und Barmherzigkeit, d. i. die Selbſtbejahung des<lb/> menſchlichen Herzens.</note>, um<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [86/0104]
ihr weſentlicher, wahrer Gott. Der wahre, reale Gott einer
Religion iſt überhaupt erſt der ſogenannte Mittler, weil
dieſer nur der unmittelbare Gegenſtand der Religion iſt.
Wer ſich ſtatt an Gott, an den Heiligen wendet, der wendet
ſich an den Heiligen nur in der Vorausſetzung, daß dieſer Al-
les über Gott vermag, daß, was er bittet, d. h. wünſcht
und will, Gott gutwillig vollſtreckt, d. h. daß Gott in den
Händen des Heiligen iſt. Die Bitte iſt das Mittel, unter
dem Scheine der Demuth und Unterwürfigkeit, ſeine Herr-
ſchaft und Superiorität über ein andres Weſen auszuüben.
Der König herrſcht, aber regiert nicht — dieſer Grundſatz gilt
auch von dem Regiment der Heiligen. Woran ich mich zu-
erſt in meinem Geiſte wende, das iſt mir auch in Wahrheit
das erſte Weſen. Ich wende mich an den Heiligen, nicht
weil der Heilige von Gott, ſondern weil Gott von dem
Heiligen abhängig iſt, Gott von den Bitten, d. h. von
dem Willen und Herzen des Heiligen beſtimmt und beherrſcht
wird. Die Unterſchiede, welche die katholiſchen Theologen
zwiſchen Latria, Dulia, Hyperdulia machen, ſind abgeſchmackte,
grundloſe Sophismen. Kurz, der Gott hinter dem Mittler
iſt nur eine abſtracte müßige Vorſtellung, die Vorſtellung
oder Idee der Gottheit; und nicht, um ſich mit dieſer Idee zu
verſöhnen, ſondern um ſie zu entfernen, zu negiren *), um
*) Dieß iſt beſonders deutlich in der Menſchwerdung ausgeſprochen.
Gott gibt auch, negirt ſeine Majeſtät und überweltliche Macht, d. i. ſeine
Unendlichkeit, um Menſch zu werden, d. h. der Menſch negirt den Gott,
der nicht ſelbſt Menſch iſt, bejaht nur den Gott, welcher den Menſchen be-
jaht. Exinanivit, ſagt der heil. Bernhard, majestate et potentia, non bo-
nitate et misericordia. Das Unveräußerliche, das nicht zu Negirende
iſt die göttliche Güte und Barmherzigkeit, d. i. die Selbſtbejahung des
menſchlichen Herzens.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |