hat daher, in Beziehung auf diese Materie, wenn sie dieselbe zu einem Gegenstande ihrer Untersuchung macht, nur die all- gemeine Aufgabe, das Verhältniß der Einbildungskraft zur Vernunft, die Genesis des Bildes, wodurch ein Object des Gedankens zu einem Object des Sinnes, des Gefühls wird, zu begreifen.
Das Wesen der Einbildungskraft ist jedoch die volle er- schöpfende Wahrheit des kosmogonischen Wesens nur da, wo der Gegensatz von Gott und Welt nichts ausdrückt als den unbestimmten Gegensatz von dem unsinnlichen, unsichtbaren, unfaßlichen Wesen, Gott, und dem sichtbaren, handgreiflichen Wesen der Welt. Wird dagegen das kosmogonische Wesen abstracter erfaßt und ausgedrückt, so, wie es von der religiösen Speculation geschieht, so haben wir auch eine abstractere psycho- logische Wahrheit als seine Grundlage zu erkennen.
Die Welt ist nicht Gott, sie ist das Andere, der Gegen- satz Gottes, oder wenigstens -- wenn dieser Ausdruck zu stark sein sollte, weil er das Kind beim rechten Namen nennt -- das von Gott Unterschiedene. Aber das von Gott Unterschie- dene kann nicht unmittelbar aus Gott kommen, sondern nur aus einem Unterschied von Gott in Gott. Die andere Per- son ist der sich in sich von sich unterscheidende, sich selbst sich gegenüber und entgegen setzende, darum sich Gegenstand seiende, bewußte Gott. Die Selbstunterscheidung Gottes von sich ist der Grund des von ihm Unterschiedenen -- das Selbstbewußtsein also der Ursprung der Welt. Gott denkt die Welt erst dadurch, daß er sich gedacht -- sich Denken ist sich Zeugen, die Welt denken die Welt schaffen. Die Zeugung geht der Schöpfung vor. Die productive Idee der Welt, ei-
hat daher, in Beziehung auf dieſe Materie, wenn ſie dieſelbe zu einem Gegenſtande ihrer Unterſuchung macht, nur die all- gemeine Aufgabe, das Verhältniß der Einbildungskraft zur Vernunft, die Geneſis des Bildes, wodurch ein Object des Gedankens zu einem Object des Sinnes, des Gefühls wird, zu begreifen.
Das Weſen der Einbildungskraft iſt jedoch die volle er- ſchöpfende Wahrheit des kosmogoniſchen Weſens nur da, wo der Gegenſatz von Gott und Welt nichts ausdrückt als den unbeſtimmten Gegenſatz von dem unſinnlichen, unſichtbaren, unfaßlichen Weſen, Gott, und dem ſichtbaren, handgreiflichen Weſen der Welt. Wird dagegen das kosmogoniſche Weſen abſtracter erfaßt und ausgedrückt, ſo, wie es von der religiöſen Speculation geſchieht, ſo haben wir auch eine abſtractere pſycho- logiſche Wahrheit als ſeine Grundlage zu erkennen.
Die Welt iſt nicht Gott, ſie iſt das Andere, der Gegen- ſatz Gottes, oder wenigſtens — wenn dieſer Ausdruck zu ſtark ſein ſollte, weil er das Kind beim rechten Namen nennt — das von Gott Unterſchiedene. Aber das von Gott Unterſchie- dene kann nicht unmittelbar aus Gott kommen, ſondern nur aus einem Unterſchied von Gott in Gott. Die andere Per- ſon iſt der ſich in ſich von ſich unterſcheidende, ſich ſelbſt ſich gegenüber und entgegen ſetzende, darum ſich Gegenſtand ſeiende, bewußte Gott. Die Selbſtunterſcheidung Gottes von ſich iſt der Grund des von ihm Unterſchiedenen — das Selbſtbewußtſein alſo der Urſprung der Welt. Gott denkt die Welt erſt dadurch, daß er ſich gedacht — ſich Denken iſt ſich Zeugen, die Welt denken die Welt ſchaffen. Die Zeugung geht der Schöpfung vor. Die productive Idee der Welt, ei-
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hat daher, in Beziehung auf dieſe Materie, wenn ſie dieſelbe
zu einem Gegenſtande ihrer Unterſuchung macht, nur die all-
gemeine Aufgabe, das Verhältniß der Einbildungskraft zur
Vernunft, die Geneſis des Bildes, wodurch ein Object des
Gedankens zu einem Object des Sinnes, des Gefühls wird,
zu begreifen.
Das Weſen der Einbildungskraft iſt jedoch die volle er-
ſchöpfende Wahrheit des kosmogoniſchen Weſens nur da, wo
der Gegenſatz von Gott und Welt nichts ausdrückt als den
unbeſtimmten Gegenſatz von dem unſinnlichen, unſichtbaren,
unfaßlichen Weſen, Gott, und dem ſichtbaren, handgreiflichen
Weſen der Welt. Wird dagegen das kosmogoniſche Weſen
abſtracter erfaßt und ausgedrückt, ſo, wie es von der religiöſen
Speculation geſchieht, ſo haben wir auch eine abſtractere pſycho-
logiſche Wahrheit als ſeine Grundlage zu erkennen.
Die Welt iſt nicht Gott, ſie iſt das Andere, der Gegen-
ſatz Gottes, oder wenigſtens — wenn dieſer Ausdruck zu ſtark
ſein ſollte, weil er das Kind beim rechten Namen nennt —
das von Gott Unterſchiedene. Aber das von Gott Unterſchie-
dene kann nicht unmittelbar aus Gott kommen, ſondern nur
aus einem Unterſchied von Gott in Gott. Die andere Per-
ſon iſt der ſich in ſich von ſich unterſcheidende, ſich ſelbſt ſich
gegenüber und entgegen ſetzende, darum ſich Gegenſtand
ſeiende, bewußte Gott. Die Selbſtunterſcheidung Gottes
von ſich iſt der Grund des von ihm Unterſchiedenen — das
Selbſtbewußtſein alſo der Urſprung der Welt. Gott denkt die
Welt erſt dadurch, daß er ſich gedacht — ſich Denken iſt ſich
Zeugen, die Welt denken die Welt ſchaffen. Die Zeugung
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/116>, abgerufen am 04.12.2024.
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