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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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Wiederherstellung der alten einfachen jonischen Hydrologie auf
dem Gebiete der speculativen Philosophie, zunächst auf dem
der speculativen Religionsphilosophie. Die alte jonische, ins-
besondere Thales'sche Lehre lautet aber bekanntlich in ihrer
ursprünglichen Gestalt also: das Wasser ist der Ursprung aller
Dinge und Wesen, folglich auch der Götter; denn der Geist
oder Gott, welcher nach Cicero dem Wasser bei der Geburt
der Dinge als ein besonderes Wesen assistirt, ist offenbar
nur ein Zusatz des spätern heidnischen Theismus.

Nicht widerspricht das sokratische Gnothi sauton, wel-
ches das wahre Epigramm und Thema dieser Schrift ist, dem
einfachen Naturelement der jonischen Weltweisheit, wenn es
wenigstens wahrhaft erfaßt wird. Das Wasser ist nämlich
nicht nur ein physisches Zeugungs- und Nahrungsmittel, wo-
für es allein der alten beschränkten Hydrologie galt; es ist
auch ein sehr probates psychisches und optisches Remedium.
Kaltes Wasser macht klare Augen. Und welche Wonne ist
es, auch nur zu blicken in klares Wasser! wie seelerquickend,
wie geisterleuchtend so ein optisches Wasserbad! Wohl zieht
uns das Wasser mit magischem Reize zu sich hinab in die
Tiefe der Natur, aber es spiegelt auch dem Menschen sein
eignes Bild zurück. Das Wasser ist das Ebenbild des Selbst-
bewußtseins, das Ebenbild des menschlichen Auges -- das
Wasser der natürliche Spiegel des Menschen. Im Wasser
entledigt sich ungescheut der Mensch aller mystischen Umhül-
lungen; dem Wasser vertraut er sich in seiner wahren, seiner
nackten Gestalt an; im Wasser verschwinden alle supranatu-
ralistischen Illusionen. So erlosch auch einst in dem Wasser
der jonischen Naturphilosophie die Fackel der heidnischen Astro-
theologie.

Hierin eben liegt die wunderbare Heilkraft des Wassers --
hierin die Wohlthätigkeit und Nothwendigkeit der pneumati-
schen Wasserheilkunst, namentlich für so ein wasserscheues, sich
selbst bethörendes, sich selbst verweichlichendes Geschlecht, wie
großen Theils das gegenwärtige ist.

Wiederherſtellung der alten einfachen joniſchen Hydrologie auf
dem Gebiete der ſpeculativen Philoſophie, zunächſt auf dem
der ſpeculativen Religionsphiloſophie. Die alte joniſche, ins-
beſondere Thales’ſche Lehre lautet aber bekanntlich in ihrer
urſprünglichen Geſtalt alſo: das Waſſer iſt der Urſprung aller
Dinge und Weſen, folglich auch der Götter; denn der Geiſt
oder Gott, welcher nach Cicero dem Waſſer bei der Geburt
der Dinge als ein beſonderes Weſen aſſiſtirt, iſt offenbar
nur ein Zuſatz des ſpätern heidniſchen Theismus.

Nicht widerſpricht das ſokratiſche Γνῶϑι σαυτὸν, wel-
ches das wahre Epigramm und Thema dieſer Schrift iſt, dem
einfachen Naturelement der joniſchen Weltweisheit, wenn es
wenigſtens wahrhaft erfaßt wird. Das Waſſer iſt nämlich
nicht nur ein phyſiſches Zeugungs- und Nahrungsmittel, wo-
für es allein der alten beſchränkten Hydrologie galt; es iſt
auch ein ſehr probates pſychiſches und optiſches Remedium.
Kaltes Waſſer macht klare Augen. Und welche Wonne iſt
es, auch nur zu blicken in klares Waſſer! wie ſeelerquickend,
wie geiſterleuchtend ſo ein optiſches Waſſerbad! Wohl zieht
uns das Waſſer mit magiſchem Reize zu ſich hinab in die
Tiefe der Natur, aber es ſpiegelt auch dem Menſchen ſein
eignes Bild zurück. Das Waſſer iſt das Ebenbild des Selbſt-
bewußtſeins, das Ebenbild des menſchlichen Auges — das
Waſſer der natürliche Spiegel des Menſchen. Im Waſſer
entledigt ſich ungeſcheut der Menſch aller myſtiſchen Umhül-
lungen; dem Waſſer vertraut er ſich in ſeiner wahren, ſeiner
nackten Geſtalt an; im Waſſer verſchwinden alle ſupranatu-
raliſtiſchen Illuſionen. So erloſch auch einſt in dem Waſſer
der joniſchen Naturphiloſophie die Fackel der heidniſchen Aſtro-
theologie.

Hierin eben liegt die wunderbare Heilkraft des Waſſers —
hierin die Wohlthätigkeit und Nothwendigkeit der pneumati-
ſchen Waſſerheilkunſt, namentlich für ſo ein waſſerſcheues, ſich
ſelbſt bethörendes, ſich ſelbſt verweichlichendes Geſchlecht, wie
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[IX/0015] Wiederherſtellung der alten einfachen joniſchen Hydrologie auf dem Gebiete der ſpeculativen Philoſophie, zunächſt auf dem der ſpeculativen Religionsphiloſophie. Die alte joniſche, ins- beſondere Thales’ſche Lehre lautet aber bekanntlich in ihrer urſprünglichen Geſtalt alſo: das Waſſer iſt der Urſprung aller Dinge und Weſen, folglich auch der Götter; denn der Geiſt oder Gott, welcher nach Cicero dem Waſſer bei der Geburt der Dinge als ein beſonderes Weſen aſſiſtirt, iſt offenbar nur ein Zuſatz des ſpätern heidniſchen Theismus. Nicht widerſpricht das ſokratiſche Γνῶϑι σαυτὸν, wel- ches das wahre Epigramm und Thema dieſer Schrift iſt, dem einfachen Naturelement der joniſchen Weltweisheit, wenn es wenigſtens wahrhaft erfaßt wird. Das Waſſer iſt nämlich nicht nur ein phyſiſches Zeugungs- und Nahrungsmittel, wo- für es allein der alten beſchränkten Hydrologie galt; es iſt auch ein ſehr probates pſychiſches und optiſches Remedium. Kaltes Waſſer macht klare Augen. Und welche Wonne iſt es, auch nur zu blicken in klares Waſſer! wie ſeelerquickend, wie geiſterleuchtend ſo ein optiſches Waſſerbad! Wohl zieht uns das Waſſer mit magiſchem Reize zu ſich hinab in die Tiefe der Natur, aber es ſpiegelt auch dem Menſchen ſein eignes Bild zurück. Das Waſſer iſt das Ebenbild des Selbſt- bewußtſeins, das Ebenbild des menſchlichen Auges — das Waſſer der natürliche Spiegel des Menſchen. Im Waſſer entledigt ſich ungeſcheut der Menſch aller myſtiſchen Umhül- lungen; dem Waſſer vertraut er ſich in ſeiner wahren, ſeiner nackten Geſtalt an; im Waſſer verſchwinden alle ſupranatu- raliſtiſchen Illuſionen. So erloſch auch einſt in dem Waſſer der joniſchen Naturphiloſophie die Fackel der heidniſchen Aſtro- theologie. Hierin eben liegt die wunderbare Heilkraft des Waſſers — hierin die Wohlthätigkeit und Nothwendigkeit der pneumati- ſchen Waſſerheilkunſt, namentlich für ſo ein waſſerſcheues, ſich ſelbſt bethörendes, ſich ſelbſt verweichlichendes Geſchlecht, wie großen Theils das gegenwärtige iſt.

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. IX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/15>, abgerufen am 23.11.2024.