Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.hauptung, daß alle Beweise keine befriedigende Gewißheit *) Die Negation einer Thatsache hat keine unverfängliche, an sich in-
differente, sondern eine schlimme moralische Bedeutung -- die Bedeutung des Läugnens. Darin, daß das Christenthum seine Lehren und Glau- bensartikel zu sinnlichen, d. h. unläugbaren, unantastbaren That- sachen machte, durch sinnliche Thatsachen also die Vernunft über- wältigte, den Geist gefangen nahm, darin haben wir auch den wahren, den letzten, primitiven Erklärungsgrund, warum und wie sich im Christenthum, und zwar nicht nur im katholischen, sondern auch prote- stantischen, in aller Förmlichkeit und Feierlichkeit der Grundsatz ausspre- hauptung, daß alle Beweiſe keine befriedigende Gewißheit *) Die Negation einer Thatſache hat keine unverfängliche, an ſich in-
differente, ſondern eine ſchlimme moraliſche Bedeutung — die Bedeutung des Läugnens. Darin, daß das Chriſtenthum ſeine Lehren und Glau- bensartikel zu ſinnlichen, d. h. unläugbaren, unantaſtbaren That- ſachen machte, durch ſinnliche Thatſachen alſo die Vernunft über- wältigte, den Geiſt gefangen nahm, darin haben wir auch den wahren, den letzten, primitiven Erklärungsgrund, warum und wie ſich im Chriſtenthum, und zwar nicht nur im katholiſchen, ſondern auch prote- ſtantiſchen, in aller Förmlichkeit und Feierlichkeit der Grundſatz ausſpre- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0296" n="278"/> hauptung, daß alle Beweiſe keine befriedigende Gewißheit<lb/> geben — dieſes gedachte, vorgeſtellte Sein als wirkliches Sein,<lb/><hi rendition="#g">als Thatſache</hi> iſt die <hi rendition="#g">Offenbarung</hi>. Gott hat ſich geoffen-<lb/> bart, <hi rendition="#g">ſich ſelbſt demonſtrirt</hi>. Wer kann alſo noch zweifeln?<lb/> Die Gewißheit der Exiſtenz liegt mir in der Gewißheit der<lb/> Offenbarung. Ein Gott, der nur iſt, ohne ſich zu offenbaren,<lb/> der nur <hi rendition="#g">durch mich ſelbſt</hi> für mich iſt, ein ſolcher Gott iſt<lb/> nur ein abſtracter, vorgeſtellter, ſubjectiver Gott: nur ein Gott,<lb/> der mich <hi rendition="#g">durch ſich ſelbſt</hi> in Kenntniß von ſich ſetzt, iſt ein<lb/> wirklich exiſtirender, ſich <hi rendition="#g">als ſeiend bethätigender</hi>, objectiver<lb/> Gott. Der Glaube an die Offenbarung iſt die unmittelbare<lb/> Gewißheit des religiöſen Gemüths, daß <hi rendition="#g">das iſt, was es<lb/> glaubt, was es wünſcht, was es vorſtellt</hi>. Die Religion<lb/> iſt ein Traum, in dem unſere eigenen Vorſtellungen als Weſen<lb/> außer uns erſcheinen. Das religiöſe Gemüth <hi rendition="#g">unterſcheidet<lb/> nicht</hi> zwiſchen Subjectiv und Objectiv — es zweifelt nicht;<lb/> die Sinne hat es nur, <hi rendition="#g">nicht um Anderes</hi> zu ſehen, ſondern<lb/> um <hi rendition="#g">ſeine Vorſtellungen außer ſich als Weſen</hi> zu er-<lb/> blicken. Dem religiöſen Gemüth iſt eine an ſich theoretiſche<lb/> Sache eine praktiſche, eine Gewiſſensſache — eine Thatſache.<lb/> Thatſache iſt, was aus einem <hi rendition="#g">Vernunftgegenſtand</hi> zu<lb/> einer <hi rendition="#g">Gewiſſensſache</hi> gemacht wird, Thatſache iſt, was man<lb/> nicht bekritteln, nicht antaſten darf, ohne ſich eines Frevels <note xml:id="note-0296" next="#note-0297" place="foot" n="*)">Die Negation einer Thatſache hat keine unverfängliche, an ſich in-<lb/> differente, ſondern eine ſchlimme moraliſche Bedeutung — die Bedeutung<lb/> des <hi rendition="#g">Läugnens</hi>. Darin, daß das Chriſtenthum ſeine Lehren und Glau-<lb/> bensartikel zu ſinnlichen, d. h. <hi rendition="#g">unläugbaren, unantaſtbaren</hi> That-<lb/> ſachen machte, durch <hi rendition="#g">ſinnliche Thatſachen</hi> alſo die Vernunft <hi rendition="#g">über-<lb/> wältigte</hi>, den Geiſt gefangen nahm, darin haben wir auch den wahren,<lb/> den letzten, primitiven Erklärungsgrund, <hi rendition="#g">warum</hi> und <hi rendition="#g">wie</hi> ſich im<lb/> Chriſtenthum, und zwar nicht nur im katholiſchen, ſondern auch prote-<lb/> ſtantiſchen, in aller Förmlichkeit und Feierlichkeit der Grundſatz ausſpre-</note><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [278/0296]
hauptung, daß alle Beweiſe keine befriedigende Gewißheit
geben — dieſes gedachte, vorgeſtellte Sein als wirkliches Sein,
als Thatſache iſt die Offenbarung. Gott hat ſich geoffen-
bart, ſich ſelbſt demonſtrirt. Wer kann alſo noch zweifeln?
Die Gewißheit der Exiſtenz liegt mir in der Gewißheit der
Offenbarung. Ein Gott, der nur iſt, ohne ſich zu offenbaren,
der nur durch mich ſelbſt für mich iſt, ein ſolcher Gott iſt
nur ein abſtracter, vorgeſtellter, ſubjectiver Gott: nur ein Gott,
der mich durch ſich ſelbſt in Kenntniß von ſich ſetzt, iſt ein
wirklich exiſtirender, ſich als ſeiend bethätigender, objectiver
Gott. Der Glaube an die Offenbarung iſt die unmittelbare
Gewißheit des religiöſen Gemüths, daß das iſt, was es
glaubt, was es wünſcht, was es vorſtellt. Die Religion
iſt ein Traum, in dem unſere eigenen Vorſtellungen als Weſen
außer uns erſcheinen. Das religiöſe Gemüth unterſcheidet
nicht zwiſchen Subjectiv und Objectiv — es zweifelt nicht;
die Sinne hat es nur, nicht um Anderes zu ſehen, ſondern
um ſeine Vorſtellungen außer ſich als Weſen zu er-
blicken. Dem religiöſen Gemüth iſt eine an ſich theoretiſche
Sache eine praktiſche, eine Gewiſſensſache — eine Thatſache.
Thatſache iſt, was aus einem Vernunftgegenſtand zu
einer Gewiſſensſache gemacht wird, Thatſache iſt, was man
nicht bekritteln, nicht antaſten darf, ohne ſich eines Frevels *)
*) Die Negation einer Thatſache hat keine unverfängliche, an ſich in-
differente, ſondern eine ſchlimme moraliſche Bedeutung — die Bedeutung
des Läugnens. Darin, daß das Chriſtenthum ſeine Lehren und Glau-
bensartikel zu ſinnlichen, d. h. unläugbaren, unantaſtbaren That-
ſachen machte, durch ſinnliche Thatſachen alſo die Vernunft über-
wältigte, den Geiſt gefangen nahm, darin haben wir auch den wahren,
den letzten, primitiven Erklärungsgrund, warum und wie ſich im
Chriſtenthum, und zwar nicht nur im katholiſchen, ſondern auch prote-
ſtantiſchen, in aller Förmlichkeit und Feierlichkeit der Grundſatz ausſpre-
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