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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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tes Selbstgefühl, so weit bist Du Gott. Der Zwiespalt
von Verstand und Wesen, von Denkkraft und Productions-
kraft im menschlichen Bewußtsein ist einerseits ein nur indivi-
dueller, ohne allgemeine Bedeutung, andrerseits nur ein schein-
barer. Wer seine schlechten Gedichte als schlecht erkennt, ist,
weil in seiner Erkenntniß, auch in seinem Wesen nicht
so beschränkt, wie der, welcher seine schlechten Gedichte in sei-
nem Verstande approbirt.

Kein Wesen kann also in seinen Gefühlen, Vorstellungen,
Gedanken seine Natur verläugnen. Was es auch setzt -- es
setzt immer Sich selbst. Jedes Wesen hat seinen Gott, sein
höchstes Wesen in sich selbst. Preisest Du die Herrlichkeit
Gottes, so preisest Du die Herrlichkeit des eignen Wesens.
Alle Bewunderung ist im Grunde Selbstbewunderung, alles
Lob Selbstlob; jedes Urtheil, das Du über Anderes fällst, ein
Urtheil über Dich selbst. Rühmliches zu rühmen, ist selbst
Ruhm, Tugenden eines Andern anzuerkennen, zu fühlen, selbst
Tugend. Was des Lichtes sich freut, das ist in sich selbst
ein illuminirtes, aufgeklärtes Wesen. Gleich und Gleich ge-
sellt sich gern. Nur der helle Kopf verlangt nach Licht; nur
Licht vernimmt Licht.

Denkst Du folglich das Unendliche, so denkst und be-
stätigst Du die Unendlichkeit des Denkvermögens; fühlst
Du das Unendliche, so fühlst und bestätigst Du die Unend-
lichkeit
des Gefühlsvermögens. Der Gegenstand der
Vernunft ist die sich gegenständliche Vernunft, der Ge-
genstand
des Gefühls das sich gegenständliche Gefühl.
Hast Du keinen Sinn, kein Gefühl für Musik, so vernimmst
Du auch in der schönsten Musik nicht mehr, als in dem Winde,
der vor Deinen Ohren vorbeisauft, als in dem Bache, der vor

tes Selbſtgefühl, ſo weit biſt Du Gott. Der Zwieſpalt
von Verſtand und Weſen, von Denkkraft und Productions-
kraft im menſchlichen Bewußtſein iſt einerſeits ein nur indivi-
dueller, ohne allgemeine Bedeutung, andrerſeits nur ein ſchein-
barer. Wer ſeine ſchlechten Gedichte als ſchlecht erkennt, iſt,
weil in ſeiner Erkenntniß, auch in ſeinem Weſen nicht
ſo beſchränkt, wie der, welcher ſeine ſchlechten Gedichte in ſei-
nem Verſtande approbirt.

Kein Weſen kann alſo in ſeinen Gefühlen, Vorſtellungen,
Gedanken ſeine Natur verläugnen. Was es auch ſetzt — es
ſetzt immer Sich ſelbſt. Jedes Weſen hat ſeinen Gott, ſein
höchſtes Weſen in ſich ſelbſt. Preiſeſt Du die Herrlichkeit
Gottes, ſo preiſeſt Du die Herrlichkeit des eignen Weſens.
Alle Bewunderung iſt im Grunde Selbſtbewunderung, alles
Lob Selbſtlob; jedes Urtheil, das Du über Anderes fällſt, ein
Urtheil über Dich ſelbſt. Rühmliches zu rühmen, iſt ſelbſt
Ruhm, Tugenden eines Andern anzuerkennen, zu fühlen, ſelbſt
Tugend. Was des Lichtes ſich freut, das iſt in ſich ſelbſt
ein illuminirtes, aufgeklärtes Weſen. Gleich und Gleich ge-
ſellt ſich gern. Nur der helle Kopf verlangt nach Licht; nur
Licht vernimmt Licht.

Denkſt Du folglich das Unendliche, ſo denkſt und be-
ſtätigſt Du die Unendlichkeit des Denkvermögens; fühlſt
Du das Unendliche, ſo fühlſt und beſtätigſt Du die Unend-
lichkeit
des Gefühlsvermögens. Der Gegenſtand der
Vernunft iſt die ſich gegenſtändliche Vernunft, der Ge-
genſtand
des Gefühls das ſich gegenſtändliche Gefühl.
Haſt Du keinen Sinn, kein Gefühl für Muſik, ſo vernimmſt
Du auch in der ſchönſten Muſik nicht mehr, als in dem Winde,
der vor Deinen Ohren vorbeiſauft, als in dem Bache, der vor

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[12/0030] tes Selbſtgefühl, ſo weit biſt Du Gott. Der Zwieſpalt von Verſtand und Weſen, von Denkkraft und Productions- kraft im menſchlichen Bewußtſein iſt einerſeits ein nur indivi- dueller, ohne allgemeine Bedeutung, andrerſeits nur ein ſchein- barer. Wer ſeine ſchlechten Gedichte als ſchlecht erkennt, iſt, weil in ſeiner Erkenntniß, auch in ſeinem Weſen nicht ſo beſchränkt, wie der, welcher ſeine ſchlechten Gedichte in ſei- nem Verſtande approbirt. Kein Weſen kann alſo in ſeinen Gefühlen, Vorſtellungen, Gedanken ſeine Natur verläugnen. Was es auch ſetzt — es ſetzt immer Sich ſelbſt. Jedes Weſen hat ſeinen Gott, ſein höchſtes Weſen in ſich ſelbſt. Preiſeſt Du die Herrlichkeit Gottes, ſo preiſeſt Du die Herrlichkeit des eignen Weſens. Alle Bewunderung iſt im Grunde Selbſtbewunderung, alles Lob Selbſtlob; jedes Urtheil, das Du über Anderes fällſt, ein Urtheil über Dich ſelbſt. Rühmliches zu rühmen, iſt ſelbſt Ruhm, Tugenden eines Andern anzuerkennen, zu fühlen, ſelbſt Tugend. Was des Lichtes ſich freut, das iſt in ſich ſelbſt ein illuminirtes, aufgeklärtes Weſen. Gleich und Gleich ge- ſellt ſich gern. Nur der helle Kopf verlangt nach Licht; nur Licht vernimmt Licht. Denkſt Du folglich das Unendliche, ſo denkſt und be- ſtätigſt Du die Unendlichkeit des Denkvermögens; fühlſt Du das Unendliche, ſo fühlſt und beſtätigſt Du die Unend- lichkeit des Gefühlsvermögens. Der Gegenſtand der Vernunft iſt die ſich gegenſtändliche Vernunft, der Ge- genſtand des Gefühls das ſich gegenſtändliche Gefühl. Haſt Du keinen Sinn, kein Gefühl für Muſik, ſo vernimmſt Du auch in der ſchönſten Muſik nicht mehr, als in dem Winde, der vor Deinen Ohren vorbeiſauft, als in dem Bache, der vor

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/30>, abgerufen am 24.11.2024.