Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

oder Engeln, sondern zu Menschen -- also eine menschliche
Sprache mit menschlichen Vorstellungen
. Der Mensch
ist der Gegenstand Gottes, ehe er sich dem Menschen äußerlich
mittheilt; er denkt an den Menschen; er bestimmt sich nach
seiner Natur, nach seinen Bedürfnissen
. Gott ist wohl
frei im Willen; er kann offenbaren oder nicht; aber nicht frei
im Verstande; er kann dem Menschen nicht offenbaren, was
er nur immer will, sondern was für den Menschen paßt, was
seiner Natur, wie sie nun einmal ist, gemäß ist, wenn er sich
anders einmal offenbaren will; er offenbart, was er offenbaren
muß, wenn seine Offenbarung eine Offenbarung für den
Menschen, nicht für irgend ein anderes Wesen sein soll. Was
also Gott denkt für den Menschen, das denkt er als von der
Idee des Menschen bestimmt
, das ist entsprungen
aus der Reflexion über die menschliche Natur
. Gott
versetzt sich in den Menschen und denkt so von sich, wie
dieses andere Wesen von ihm denken kann und soll; er
denkt sich nicht mit seinem, sondern mit menschlichem Denk-
vermögen
. Gott ist in dem Entwurf seiner Offenbarung
nicht von sich, sondern von der Fassungskraft des Men-
schen abhängig. Was aus Gott in den Menschen kommt,
das kommt nur aus dem Menschen in Gott an den Men-
schen, d. h. nur aus dem Wesen des Menschen an den erschei-
nenden Menschen, aus der Gattung an das Individuum.
Also ist zwischen der göttlichen Offenbarung und der sogenann-
ten menschlichen Vernunft oder Natur kein anderer als ein
illusorischer Unterschied
-- auch der Inhalt der gött-
lichen Offenbarung
ist menschlichen Ursprungs, denn
nicht aus Gott als Gott, sondern aus dem von der mensch-
lichen Vernunft, dem menschlichen Bedürfniß be-

oder Engeln, ſondern zu Menſchen — alſo eine menſchliche
Sprache mit menſchlichen Vorſtellungen
. Der Menſch
iſt der Gegenſtand Gottes, ehe er ſich dem Menſchen äußerlich
mittheilt; er denkt an den Menſchen; er beſtimmt ſich nach
ſeiner Natur, nach ſeinen Bedürfniſſen
. Gott iſt wohl
frei im Willen; er kann offenbaren oder nicht; aber nicht frei
im Verſtande; er kann dem Menſchen nicht offenbaren, was
er nur immer will, ſondern was für den Menſchen paßt, was
ſeiner Natur, wie ſie nun einmal iſt, gemäß iſt, wenn er ſich
anders einmal offenbaren will; er offenbart, was er offenbaren
muß, wenn ſeine Offenbarung eine Offenbarung für den
Menſchen, nicht für irgend ein anderes Weſen ſein ſoll. Was
alſo Gott denkt für den Menſchen, das denkt er als von der
Idee des Menſchen beſtimmt
, das iſt entſprungen
aus der Reflexion über die menſchliche Natur
. Gott
verſetzt ſich in den Menſchen und denkt ſo von ſich, wie
dieſes andere Weſen von ihm denken kann und ſoll; er
denkt ſich nicht mit ſeinem, ſondern mit menſchlichem Denk-
vermögen
. Gott iſt in dem Entwurf ſeiner Offenbarung
nicht von ſich, ſondern von der Faſſungskraft des Men-
ſchen abhängig. Was aus Gott in den Menſchen kommt,
das kommt nur aus dem Menſchen in Gott an den Men-
ſchen, d. h. nur aus dem Weſen des Menſchen an den erſchei-
nenden Menſchen, aus der Gattung an das Individuum.
Alſo iſt zwiſchen der göttlichen Offenbarung und der ſogenann-
ten menſchlichen Vernunft oder Natur kein anderer als ein
illuſoriſcher Unterſchied
— auch der Inhalt der gött-
lichen Offenbarung
iſt menſchlichen Urſprungs, denn
nicht aus Gott als Gott, ſondern aus dem von der menſch-
lichen Vernunft, dem menſchlichen Bedürfniß be-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0300" n="282"/>
oder Engeln, &#x017F;ondern zu Men&#x017F;chen &#x2014; al&#x017F;o eine <hi rendition="#g">men&#x017F;chliche<lb/>
Sprache mit men&#x017F;chlichen Vor&#x017F;tellungen</hi>. Der Men&#x017F;ch<lb/>
i&#x017F;t der Gegen&#x017F;tand Gottes, ehe er &#x017F;ich dem Men&#x017F;chen äußerlich<lb/>
mittheilt; er <hi rendition="#g">denkt</hi> an den Men&#x017F;chen; er <hi rendition="#g">be&#x017F;timmt &#x017F;ich nach<lb/>
&#x017F;einer Natur, nach &#x017F;einen Bedürfni&#x017F;&#x017F;en</hi>. Gott i&#x017F;t wohl<lb/>
frei im Willen; er kann offenbaren oder nicht; aber nicht frei<lb/>
im Ver&#x017F;tande; er kann dem Men&#x017F;chen nicht offenbaren, was<lb/>
er nur immer will, &#x017F;ondern was für den Men&#x017F;chen paßt, was<lb/>
&#x017F;einer Natur, wie &#x017F;ie nun einmal i&#x017F;t, gemäß i&#x017F;t, wenn er &#x017F;ich<lb/>
anders einmal offenbaren will; er offenbart, was er offenbaren<lb/><hi rendition="#g">muß</hi>, wenn &#x017F;eine Offenbarung eine Offenbarung für den<lb/>
Men&#x017F;chen, nicht für irgend ein anderes We&#x017F;en &#x017F;ein &#x017F;oll. Was<lb/>
al&#x017F;o Gott denkt für den Men&#x017F;chen, das denkt er als <hi rendition="#g">von der<lb/>
Idee des Men&#x017F;chen be&#x017F;timmt</hi>, das i&#x017F;t <hi rendition="#g">ent&#x017F;prungen<lb/>
aus der Reflexion über die men&#x017F;chliche Natur</hi>. Gott<lb/><hi rendition="#g">ver&#x017F;etzt &#x017F;ich</hi> in den Men&#x017F;chen und denkt &#x017F;o <hi rendition="#g">von &#x017F;ich</hi>, wie<lb/>
die&#x017F;es andere We&#x017F;en von ihm <hi rendition="#g">denken kann und &#x017F;oll</hi>; er<lb/>
denkt &#x017F;ich nicht mit &#x017F;einem, &#x017F;ondern mit <hi rendition="#g">men&#x017F;chlichem Denk-<lb/>
vermögen</hi>. Gott i&#x017F;t in dem Entwurf &#x017F;einer Offenbarung<lb/>
nicht <hi rendition="#g">von &#x017F;ich</hi>, &#x017F;ondern von der <hi rendition="#g">Fa&#x017F;&#x017F;ungskraft des Men</hi>-<lb/>
&#x017F;chen abhängig. Was aus <hi rendition="#g">Gott in den</hi> Men&#x017F;chen kommt,<lb/>
das kommt nur <hi rendition="#g">aus dem Men&#x017F;chen in Gott</hi> an den Men-<lb/>
&#x017F;chen, d. h. nur aus dem We&#x017F;en des Men&#x017F;chen an den er&#x017F;chei-<lb/>
nenden Men&#x017F;chen, aus der Gattung an das Individuum.<lb/>
Al&#x017F;o i&#x017F;t zwi&#x017F;chen der göttlichen Offenbarung und der &#x017F;ogenann-<lb/>
ten men&#x017F;chlichen Vernunft oder Natur <hi rendition="#g">kein anderer als ein<lb/>
illu&#x017F;ori&#x017F;cher Unter&#x017F;chied</hi> &#x2014; auch der <hi rendition="#g">Inhalt der gött-<lb/>
lichen Offenbarung</hi> i&#x017F;t <hi rendition="#g">men&#x017F;chlichen Ur&#x017F;prungs</hi>, denn<lb/>
nicht aus Gott als Gott, &#x017F;ondern aus dem <hi rendition="#g">von der men&#x017F;ch-<lb/>
lichen Vernunft, dem men&#x017F;chlichen Bedürfniß be-<lb/></hi></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[282/0300] oder Engeln, ſondern zu Menſchen — alſo eine menſchliche Sprache mit menſchlichen Vorſtellungen. Der Menſch iſt der Gegenſtand Gottes, ehe er ſich dem Menſchen äußerlich mittheilt; er denkt an den Menſchen; er beſtimmt ſich nach ſeiner Natur, nach ſeinen Bedürfniſſen. Gott iſt wohl frei im Willen; er kann offenbaren oder nicht; aber nicht frei im Verſtande; er kann dem Menſchen nicht offenbaren, was er nur immer will, ſondern was für den Menſchen paßt, was ſeiner Natur, wie ſie nun einmal iſt, gemäß iſt, wenn er ſich anders einmal offenbaren will; er offenbart, was er offenbaren muß, wenn ſeine Offenbarung eine Offenbarung für den Menſchen, nicht für irgend ein anderes Weſen ſein ſoll. Was alſo Gott denkt für den Menſchen, das denkt er als von der Idee des Menſchen beſtimmt, das iſt entſprungen aus der Reflexion über die menſchliche Natur. Gott verſetzt ſich in den Menſchen und denkt ſo von ſich, wie dieſes andere Weſen von ihm denken kann und ſoll; er denkt ſich nicht mit ſeinem, ſondern mit menſchlichem Denk- vermögen. Gott iſt in dem Entwurf ſeiner Offenbarung nicht von ſich, ſondern von der Faſſungskraft des Men- ſchen abhängig. Was aus Gott in den Menſchen kommt, das kommt nur aus dem Menſchen in Gott an den Men- ſchen, d. h. nur aus dem Weſen des Menſchen an den erſchei- nenden Menſchen, aus der Gattung an das Individuum. Alſo iſt zwiſchen der göttlichen Offenbarung und der ſogenann- ten menſchlichen Vernunft oder Natur kein anderer als ein illuſoriſcher Unterſchied — auch der Inhalt der gött- lichen Offenbarung iſt menſchlichen Urſprungs, denn nicht aus Gott als Gott, ſondern aus dem von der menſch- lichen Vernunft, dem menſchlichen Bedürfniß be-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/300
Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/300>, abgerufen am 05.12.2024.