deren einziger Stoff das Blut Christi ist. Hier haben wir daher eine ächt poetische Abendmahlsfeier. In der lebhaften Vorstellung des leidenden, blutenden Heilands identificirt sich das Gemüth mit ihm; hier trinkt die fromme Seele in poeti- scher Begeisterung das reine, mit keinem widersprechenden sinnlichen Stoff vermischte Blut; hier ist zwischen der Vor- stellung des Blutes und dem Blute selbst kein störender Gegen- stand vorhanden.
Aber obgleich das Abendmahl, überhaupt das Sacra- ment gar nichts ist ohne die Gesinnung, ohne den Glauben, so stellt doch die Religion das Sacrament zugleich als etwas für sich selbst Reales, Aeußerliches, vom menschlichen We- sen Unterschiedenes dar, so daß im religiösen Bewußtsein die wahre Sache: der Glaube, die Gesinnung nur zu einer Ne- bensache, zu einer Bedingung, die vermeintliche, die ima- ginäre Sache aber zur Hauptsache wird. Und die noth- wendigen, immanenten Folgen und Wirkungen dieses religiö- sen Materialismus, dieser Subordination des Menschlichen unter das vermeintliche Göttliche, des Subjectiven unter das vermeintliche Objective, der Wahrheit unter die Imagination, der Moralität unter die Religion -- die nothwendigen Folgen sind Superstition und Immoralität, Superstition, weil mit einem Dinge eine Wirkung verknüpft wird, die nicht in der Natur desselben liegt, weil ein Ding nicht sein soll, was es der Wahrheit nach ist, weil eine bloße Einbildung für objec- tive Realität gilt; Immoralität, weil sich nothwendig im Ge- müthe die Heiligkeit der Handlung als solcher von der Mora- lität separirt, der Genuß des Sacraments, auch unabhängig von der Gesinnung, zu einem heiligen und heilbringenden Act wird. So gestaltet sich wenigstens die Sache in der
deren einziger Stoff das Blut Chriſti iſt. Hier haben wir daher eine ächt poetiſche Abendmahlsfeier. In der lebhaften Vorſtellung des leidenden, blutenden Heilands identificirt ſich das Gemüth mit ihm; hier trinkt die fromme Seele in poeti- ſcher Begeiſterung das reine, mit keinem widerſprechenden ſinnlichen Stoff vermiſchte Blut; hier iſt zwiſchen der Vor- ſtellung des Blutes und dem Blute ſelbſt kein ſtörender Gegen- ſtand vorhanden.
Aber obgleich das Abendmahl, überhaupt das Sacra- ment gar nichts iſt ohne die Geſinnung, ohne den Glauben, ſo ſtellt doch die Religion das Sacrament zugleich als etwas für ſich ſelbſt Reales, Aeußerliches, vom menſchlichen We- ſen Unterſchiedenes dar, ſo daß im religiöſen Bewußtſein die wahre Sache: der Glaube, die Geſinnung nur zu einer Ne- benſache, zu einer Bedingung, die vermeintliche, die ima- ginäre Sache aber zur Hauptſache wird. Und die noth- wendigen, immanenten Folgen und Wirkungen dieſes religiö- ſen Materialismus, dieſer Subordination des Menſchlichen unter das vermeintliche Göttliche, des Subjectiven unter das vermeintliche Objective, der Wahrheit unter die Imagination, der Moralität unter die Religion — die nothwendigen Folgen ſind Superſtition und Immoralität, Superſtition, weil mit einem Dinge eine Wirkung verknüpft wird, die nicht in der Natur deſſelben liegt, weil ein Ding nicht ſein ſoll, was es der Wahrheit nach iſt, weil eine bloße Einbildung für objec- tive Realität gilt; Immoralität, weil ſich nothwendig im Ge- müthe die Heiligkeit der Handlung als ſolcher von der Mora- lität ſeparirt, der Genuß des Sacraments, auch unabhängig von der Geſinnung, zu einem heiligen und heilbringenden Act wird. So geſtaltet ſich wenigſtens die Sache in der
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deren einziger Stoff das Blut Chriſti iſt. Hier haben wir
daher eine ächt poetiſche Abendmahlsfeier. In der lebhaften
Vorſtellung des leidenden, blutenden Heilands identificirt ſich
das Gemüth mit ihm; hier trinkt die fromme Seele in poeti-
ſcher Begeiſterung das reine, mit keinem widerſprechenden
ſinnlichen Stoff vermiſchte Blut; hier iſt zwiſchen der Vor-
ſtellung des Blutes und dem Blute ſelbſt kein ſtörender Gegen-
ſtand vorhanden.
Aber obgleich das Abendmahl, überhaupt das Sacra-
ment gar nichts iſt ohne die Geſinnung, ohne den Glauben,
ſo ſtellt doch die Religion das Sacrament zugleich als etwas
für ſich ſelbſt Reales, Aeußerliches, vom menſchlichen We-
ſen Unterſchiedenes dar, ſo daß im religiöſen Bewußtſein die
wahre Sache: der Glaube, die Geſinnung nur zu einer Ne-
benſache, zu einer Bedingung, die vermeintliche, die ima-
ginäre Sache aber zur Hauptſache wird. Und die noth-
wendigen, immanenten Folgen und Wirkungen dieſes religiö-
ſen Materialismus, dieſer Subordination des Menſchlichen
unter das vermeintliche Göttliche, des Subjectiven unter das
vermeintliche Objective, der Wahrheit unter die Imagination,
der Moralität unter die Religion — die nothwendigen Folgen
ſind Superſtition und Immoralität, Superſtition, weil
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der Natur deſſelben liegt, weil ein Ding nicht ſein ſoll, was es
der Wahrheit nach iſt, weil eine bloße Einbildung für objec-
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müthe die Heiligkeit der Handlung als ſolcher von der Mora-
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von der Geſinnung, zu einem heiligen und heilbringenden
Act wird. So geſtaltet ſich wenigſtens die Sache in der
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/352>, abgerufen am 05.12.2024.
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