c. 20 u. 21. Ergo quandoque erit terminus rebus huma- nis.... Non muri quenquam, non turres tuebuntur. Non proderunt templa supplicibus. (Nat. Qu. L. III. c. 29.) Hier haben wir also wieder den charakteristischen Un- terschied des Heidenthums und Christenthums. Der Heide vergaß sich über der Welt, der Christ die Welt über sich. Wie aber der Heide seinen Untergang mit dem Untergang der Welt, so identificirte er auch seine Wiederkunft und Unsterb- lichkeit mit der Unsterblichkeit der Welt. Dem Heiden war der Mensch ein gemeines, dem Christen ein auserlesnes We- sen, diesem die Unsterblichkeit ein Privilegium des Men- schen, jenem ein Commungut, das er sich nur vindicirte, in- dem und wiefern er auch andere Wesen daran Theil nehmen ließ. Die Christen erwarteten demnächst den Weltun- tergang, weil die christliche Religion kein kosmisches Entwick- lungsprincip in sich hat -- alles was sich entwickelte im Chri- stenthum, entwickelte sich nur im Widerspruch mit seinem ur- sprünglichen Wesen -- weil mit der Existenz Gottes im Fleisch, d. h. mit der unmittelbaren Identität des Wesens der Gat- tung mit dem Individuum Alles erreicht, der Lebensfaden der Geschichte abgeschnitten, kein andrer Gedanke der Zukunft übrig war, als der Gedanke an eine Repetition, an die Wiederkunft des Herrn. Die Heiden dagegen verlegten den Welt- untergang in die ferne Zukunft, weil sie, lebend in der Anschauung des Universums, nicht um ihretwillen Himmel und Erde in Bewegung setzten, weil sie ihr Selbstbewußtsein erweiterten und befreiten durch das Bewußtsein der Gat- tung, die Unsterblichkeit nur setzten in die Fortdauer der Gat- tung, die Zukunft also nicht sich reservirten, sondern den kom- menden Generationen übrig ließen. Veniet tempus quo posteri nostri tam aperta nos nescisse mirentur. Seneca (Nat. Quae. l. 7. c. 25.) Wer die Unsterblichkeit in sich setzt, hebt das geschichtliche Entwicklungsprincip auf. Die Chri- sten warten zwar nach Petrus einer neuen Erde und eines neuen Himmels. Aber mit dieser christlichen Erde ist nun auch das
c. 20 u. 21. Ergo quandoque erit terminus rebus huma- nis.... Non muri quenquam, non turres tuebuntur. Non proderunt templa supplicibus. (Nat. Qu. L. III. c. 29.) Hier haben wir alſo wieder den charakteriſtiſchen Un- terſchied des Heidenthums und Chriſtenthums. Der Heide vergaß ſich über der Welt, der Chriſt die Welt über ſich. Wie aber der Heide ſeinen Untergang mit dem Untergang der Welt, ſo identificirte er auch ſeine Wiederkunft und Unſterb- lichkeit mit der Unſterblichkeit der Welt. Dem Heiden war der Menſch ein gemeines, dem Chriſten ein auserleſnes We- ſen, dieſem die Unſterblichkeit ein Privilegium des Men- ſchen, jenem ein Commungut, das er ſich nur vindicirte, in- dem und wiefern er auch andere Weſen daran Theil nehmen ließ. Die Chriſten erwarteten demnächſt den Weltun- tergang, weil die chriſtliche Religion kein kosmiſches Entwick- lungsprincip in ſich hat — alles was ſich entwickelte im Chri- ſtenthum, entwickelte ſich nur im Widerſpruch mit ſeinem ur- ſprünglichen Weſen — weil mit der Exiſtenz Gottes im Fleiſch, d. h. mit der unmittelbaren Identität des Weſens der Gat- tung mit dem Individuum Alles erreicht, der Lebensfaden der Geſchichte abgeſchnitten, kein andrer Gedanke der Zukunft übrig war, als der Gedanke an eine Repetition, an die Wiederkunft des Herrn. Die Heiden dagegen verlegten den Welt- untergang in die ferne Zukunft, weil ſie, lebend in der Anſchauung des Univerſums, nicht um ihretwillen Himmel und Erde in Bewegung ſetzten, weil ſie ihr Selbſtbewußtſein erweiterten und befreiten durch das Bewußtſein der Gat- tung, die Unſterblichkeit nur ſetzten in die Fortdauer der Gat- tung, die Zukunft alſo nicht ſich reſervirten, ſondern den kom- menden Generationen übrig ließen. Veniet tempus quo posteri nostri tam aperta nos nescisse mirentur. Seneca (Nat. Quae. l. 7. c. 25.) Wer die Unſterblichkeit in ſich ſetzt, hebt das geſchichtliche Entwicklungsprincip auf. Die Chri- ſten warten zwar nach Petrus einer neuen Erde und eines neuen Himmels. Aber mit dieſer chriſtlichen Erde iſt nun auch das
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c. 20 u. 21. Ergo quandoque erit terminus rebus huma-
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vergaß ſich über der Welt, der Chriſt die Welt über ſich.
Wie aber der Heide ſeinen Untergang mit dem Untergang der
Welt, ſo identificirte er auch ſeine Wiederkunft und Unſterb-
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Menſch ein gemeines, dem Chriſten ein auserleſnes We-
ſen, dieſem die Unſterblichkeit ein Privilegium des Men-
ſchen, jenem ein Commungut, das er ſich nur vindicirte, in-
dem und wiefern er auch andere Weſen daran Theil nehmen
ließ. Die Chriſten erwarteten demnächſt den Weltun-
tergang, weil die chriſtliche Religion kein kosmiſches Entwick-
lungsprincip in ſich hat — alles was ſich entwickelte im Chri-
ſtenthum, entwickelte ſich nur im Widerſpruch mit ſeinem ur-
ſprünglichen Weſen — weil mit der Exiſtenz Gottes im Fleiſch,
d. h. mit der unmittelbaren Identität des Weſens der Gat-
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Geſchichte abgeſchnitten, kein andrer Gedanke der Zukunft übrig
war, als der Gedanke an eine Repetition, an die Wiederkunft
des Herrn. Die Heiden dagegen verlegten den Welt-
untergang in die ferne Zukunft, weil ſie, lebend in der
Anſchauung des Univerſums, nicht um ihretwillen Himmel
und Erde in Bewegung ſetzten, weil ſie ihr Selbſtbewußtſein
erweiterten und befreiten durch das Bewußtſein der Gat-
tung, die Unſterblichkeit nur ſetzten in die Fortdauer der Gat-
tung, die Zukunft alſo nicht ſich reſervirten, ſondern den kom-
menden Generationen übrig ließen. Veniet tempus quo
posteri nostri tam aperta nos nescisse mirentur.
Seneca (Nat. Quae. l. 7. c. 25.) Wer die Unſterblichkeit in ſich
ſetzt, hebt das geſchichtliche Entwicklungsprincip auf. Die Chri-
ſten warten zwar nach Petrus einer neuen Erde und eines neuen
Himmels. Aber mit dieſer chriſtlichen Erde iſt nun auch das
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/431>, abgerufen am 05.12.2024.
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