Sie sind Werke des Genies -- nothgedrungne Werke: der Dichter mußte dichten, der Philosoph philosophiren. Die höchste Selbstbefriedigung lag für sie in der beziehungs- und rücksichtslosen Thätigkeit des Schaffens. Eben so ist es mit einer wahrhaft edlen moralischen Handlung. Für den edlen Menschen ist die edle Handlung eine natürliche: er zweifelt nicht, ob er sie thun soll, er legt sie nicht auf die Wage der Wahlfreiheit; er muß sie thun. Nur wer so handelt, ist auch ein zuverlässiger Mensch. Die Verdienstlichkeit führt im- mer die Vorstellung mit sich, daß man etwas, so zu sagen, nur aus Luxus, nicht aus Nothwendigkeit thut. Die Chri- sten feierten nun wohl die höchste Handlung in ihrer Religion, die Menschwerdung Gottes als ein Werk der Liebe. Aber die christliche Liebe hat insofern, als sie sich auf den Glauben stützt, auf die Vorstellung Gottes als eines Herrn, eines Do- minus, die Bedeutung eines Gnadenactes, einer an sich Gott überflüssigen, bedürfnißlosen Liebe. Ein gnädiger Herr ist ein solcher, der von seinem Rechte abläßt, ein Herr, der thut aus Gnade, was er als Herr zu thun nicht nöthig hat, was über den stricten Begriff des Herrn hinausgeht. Gott hat als Herr nicht nur nicht die Pflicht, dem Menschen wohl- zuthun; er hat sogar das Recht -- denn er ist durch kein Ge- setz gebundner Herr -- den Menschen zu vernichten, wenn er will. Kurz, die Gnade ist die unnothwendige Liebe, die Liebe im Widerspruch mit dem Wesen der Liebe, die Liebe, die nicht Wesen, nicht Natur ausdrückt, die Liebe, welche der Herr, das Subject, die Person -- Persönlichkeit ist nur ein abstracter, moderner Ausdruck für Herrlichkeit -- von sich unterschei- det als ein Prädicat, welches sie haben und nicht haben kann, ohne deßwegen aufzuhören, sie selbst zu sein. Noth- wendig mußte sich daher auch im Leben, in der Praxis des Chri- stenthums dieser innere Widerspruch realisiren, das Subject vom Prädicat, der Glaube von der Liebe scheiden. Wie die Liebe Gottes zum Menschen nur ein Gnadenact war, so wurde auch die Liebe des Menschen zum Menschen nur zu
Sie ſind Werke des Genies — nothgedrungne Werke: der Dichter mußte dichten, der Philoſoph philoſophiren. Die höchſte Selbſtbefriedigung lag für ſie in der beziehungs- und rückſichtsloſen Thätigkeit des Schaffens. Eben ſo iſt es mit einer wahrhaft edlen moraliſchen Handlung. Für den edlen Menſchen iſt die edle Handlung eine natürliche: er zweifelt nicht, ob er ſie thun ſoll, er legt ſie nicht auf die Wage der Wahlfreiheit; er muß ſie thun. Nur wer ſo handelt, iſt auch ein zuverläſſiger Menſch. Die Verdienſtlichkeit führt im- mer die Vorſtellung mit ſich, daß man etwas, ſo zu ſagen, nur aus Luxus, nicht aus Nothwendigkeit thut. Die Chri- ſten feierten nun wohl die höchſte Handlung in ihrer Religion, die Menſchwerdung Gottes als ein Werk der Liebe. Aber die chriſtliche Liebe hat inſofern, als ſie ſich auf den Glauben ſtützt, auf die Vorſtellung Gottes als eines Herrn, eines Do- minus, die Bedeutung eines Gnadenactes, einer an ſich Gott überflüſſigen, bedürfnißloſen Liebe. Ein gnädiger Herr iſt ein ſolcher, der von ſeinem Rechte abläßt, ein Herr, der thut aus Gnade, was er als Herr zu thun nicht nöthig hat, was über den ſtricten Begriff des Herrn hinausgeht. Gott hat als Herr nicht nur nicht die Pflicht, dem Menſchen wohl- zuthun; er hat ſogar das Recht — denn er iſt durch kein Ge- ſetz gebundner Herr — den Menſchen zu vernichten, wenn er will. Kurz, die Gnade iſt die unnothwendige Liebe, die Liebe im Widerſpruch mit dem Weſen der Liebe, die Liebe, die nicht Weſen, nicht Natur ausdrückt, die Liebe, welche der Herr, das Subject, die Perſon — Perſönlichkeit iſt nur ein abſtracter, moderner Ausdruck für Herrlichkeit — von ſich unterſchei- det als ein Prädicat, welches ſie haben und nicht haben kann, ohne deßwegen aufzuhören, ſie ſelbſt zu ſein. Noth- wendig mußte ſich daher auch im Leben, in der Praxis des Chri- ſtenthums dieſer innere Widerſpruch realiſiren, das Subject vom Prädicat, der Glaube von der Liebe ſcheiden. Wie die Liebe Gottes zum Menſchen nur ein Gnadenact war, ſo wurde auch die Liebe des Menſchen zum Menſchen nur zu
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Sie ſind Werke des Genies — nothgedrungne Werke: der
Dichter mußte dichten, der Philoſoph philoſophiren. Die
höchſte Selbſtbefriedigung lag für ſie in der beziehungs- und
rückſichtsloſen Thätigkeit des Schaffens. Eben ſo iſt es mit
einer wahrhaft edlen moraliſchen Handlung. Für den edlen
Menſchen iſt die edle Handlung eine natürliche: er zweifelt
nicht, ob er ſie thun ſoll, er legt ſie nicht auf die Wage der
Wahlfreiheit; er muß ſie thun. Nur wer ſo handelt, iſt auch
ein zuverläſſiger Menſch. Die Verdienſtlichkeit führt im-
mer die Vorſtellung mit ſich, daß man etwas, ſo zu ſagen,
nur aus Luxus, nicht aus Nothwendigkeit thut. Die Chri-
ſten feierten nun wohl die höchſte Handlung in ihrer Religion,
die Menſchwerdung Gottes als ein Werk der Liebe. Aber die
chriſtliche Liebe hat inſofern, als ſie ſich auf den Glauben
ſtützt, auf die Vorſtellung Gottes als eines Herrn, eines Do-
minus, die Bedeutung eines Gnadenactes, einer an ſich Gott
überflüſſigen, bedürfnißloſen Liebe. Ein gnädiger Herr
iſt ein ſolcher, der von ſeinem Rechte abläßt, ein Herr, der
thut aus Gnade, was er als Herr zu thun nicht nöthig hat,
was über den ſtricten Begriff des Herrn hinausgeht. Gott
hat als Herr nicht nur nicht die Pflicht, dem Menſchen wohl-
zuthun; er hat ſogar das Recht — denn er iſt durch kein Ge-
ſetz gebundner Herr — den Menſchen zu vernichten, wenn er
will. Kurz, die Gnade iſt die unnothwendige Liebe, die Liebe
im Widerſpruch mit dem Weſen der Liebe, die Liebe, die nicht
Weſen, nicht Natur ausdrückt, die Liebe, welche der Herr, das
Subject, die Perſon — Perſönlichkeit iſt nur ein abſtracter,
moderner Ausdruck für Herrlichkeit — von ſich unterſchei-
det als ein Prädicat, welches ſie haben und nicht haben
kann, ohne deßwegen aufzuhören, ſie ſelbſt zu ſein. Noth-
wendig mußte ſich daher auch im Leben, in der Praxis des Chri-
ſtenthums dieſer innere Widerſpruch realiſiren, das Subject
vom Prädicat, der Glaube von der Liebe ſcheiden. Wie
die Liebe Gottes zum Menſchen nur ein Gnadenact war, ſo
wurde auch die Liebe des Menſchen zum Menſchen nur zu
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/458>, abgerufen am 04.12.2024.
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