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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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Herz böse, mein Verstand verdorben ist, wie kann ich was hei-
lig, als heilig, was gut, als gut wahrnehmen und empfin-
den? Wie kann ich ein schönes Gemälde als schönes wahr-
nehmen, wenn meine Seele eine absolute ästhetische Schlech-
tigkeit ist? Wenn ich auch selbst kein Maler bin, nicht die
Kraft habe, aus mir selbst Schönes zu produciren, so habe ich
doch ästhetisches Gefühl, ästhetischen Verstand, indem ich Schö-
nes außer mir wahrnehme. Entweder ist das Gute gar nicht
für den Menschen, oder ist es für ihn, so offenbaret sich hierin
dem einzelnen Menschen die Heiligkeit und Güte des mensch-
lichen Wesens. Was absolut meiner Natur zuwider ist, wo-
mit mich kein Band der Gemeinschaft verknüpft, das ist mir
auch nicht denkbar, nicht empfindbar. Das Heilige ist mir
nur als Gegensatz gegen meine Persönlichkeit, aber als Ein-
heit mit meinem Wesen Gegenstand. Das Heilige ist der
Vorwurf meiner Sündhaftigkeit; ich erkenne mich in ihm als
Sünder; aber darin tadle ich mich, erkenne ich, was ich nicht
bin, aber sein soll, und eben deßwegen an sich, meiner Be-
stimmung nach, sein kann; denn ein Sollen ohne Können
tangirt mich nicht, ist eine lächerliche Chimäre, ohne Affection
des Gemüths. Aber eben indem ich das Gute als meine Be-
stimmung, als mein Gesetz erkenne, erkenne ich, sei es nun be-
wußt oder unbewußt, dasselbe als mein eignes Wesen. Ein
anderes, seiner Natur nach von mir unterschiednes Wesen
tangirt mich nicht. Die Sünde kann ich als Sünde nur em-
pfinden, wenn ich sie als einen Widerspruch meiner mit
mir selbst, d. h. meiner Persönlichkeit mit meiner
Wesenheit
empfinde. Als Widerspruch mit dem absoluten,
als einem andern Wesen gedacht, ist das Gefühl der Sünde
unerklärlich, sinnlos.

Herz böſe, mein Verſtand verdorben iſt, wie kann ich was hei-
lig, als heilig, was gut, als gut wahrnehmen und empfin-
den? Wie kann ich ein ſchönes Gemälde als ſchönes wahr-
nehmen, wenn meine Seele eine abſolute äſthetiſche Schlech-
tigkeit iſt? Wenn ich auch ſelbſt kein Maler bin, nicht die
Kraft habe, aus mir ſelbſt Schönes zu produciren, ſo habe ich
doch äſthetiſches Gefühl, äſthetiſchen Verſtand, indem ich Schö-
nes außer mir wahrnehme. Entweder iſt das Gute gar nicht
für den Menſchen, oder iſt es für ihn, ſo offenbaret ſich hierin
dem einzelnen Menſchen die Heiligkeit und Güte des menſch-
lichen Weſens. Was abſolut meiner Natur zuwider iſt, wo-
mit mich kein Band der Gemeinſchaft verknüpft, das iſt mir
auch nicht denkbar, nicht empfindbar. Das Heilige iſt mir
nur als Gegenſatz gegen meine Perſönlichkeit, aber als Ein-
heit mit meinem Weſen Gegenſtand. Das Heilige iſt der
Vorwurf meiner Sündhaftigkeit; ich erkenne mich in ihm als
Sünder; aber darin tadle ich mich, erkenne ich, was ich nicht
bin, aber ſein ſoll, und eben deßwegen an ſich, meiner Be-
ſtimmung nach, ſein kann; denn ein Sollen ohne Können
tangirt mich nicht, iſt eine lächerliche Chimäre, ohne Affection
des Gemüths. Aber eben indem ich das Gute als meine Be-
ſtimmung, als mein Geſetz erkenne, erkenne ich, ſei es nun be-
wußt oder unbewußt, daſſelbe als mein eignes Weſen. Ein
anderes, ſeiner Natur nach von mir unterſchiednes Weſen
tangirt mich nicht. Die Sünde kann ich als Sünde nur em-
pfinden, wenn ich ſie als einen Widerſpruch meiner mit
mir ſelbſt, d. h. meiner Perſönlichkeit mit meiner
Weſenheit
empfinde. Als Widerſpruch mit dem abſoluten,
als einem andern Weſen gedacht, iſt das Gefühl der Sünde
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[32/0050] Herz böſe, mein Verſtand verdorben iſt, wie kann ich was hei- lig, als heilig, was gut, als gut wahrnehmen und empfin- den? Wie kann ich ein ſchönes Gemälde als ſchönes wahr- nehmen, wenn meine Seele eine abſolute äſthetiſche Schlech- tigkeit iſt? Wenn ich auch ſelbſt kein Maler bin, nicht die Kraft habe, aus mir ſelbſt Schönes zu produciren, ſo habe ich doch äſthetiſches Gefühl, äſthetiſchen Verſtand, indem ich Schö- nes außer mir wahrnehme. Entweder iſt das Gute gar nicht für den Menſchen, oder iſt es für ihn, ſo offenbaret ſich hierin dem einzelnen Menſchen die Heiligkeit und Güte des menſch- lichen Weſens. Was abſolut meiner Natur zuwider iſt, wo- mit mich kein Band der Gemeinſchaft verknüpft, das iſt mir auch nicht denkbar, nicht empfindbar. Das Heilige iſt mir nur als Gegenſatz gegen meine Perſönlichkeit, aber als Ein- heit mit meinem Weſen Gegenſtand. Das Heilige iſt der Vorwurf meiner Sündhaftigkeit; ich erkenne mich in ihm als Sünder; aber darin tadle ich mich, erkenne ich, was ich nicht bin, aber ſein ſoll, und eben deßwegen an ſich, meiner Be- ſtimmung nach, ſein kann; denn ein Sollen ohne Können tangirt mich nicht, iſt eine lächerliche Chimäre, ohne Affection des Gemüths. Aber eben indem ich das Gute als meine Be- ſtimmung, als mein Geſetz erkenne, erkenne ich, ſei es nun be- wußt oder unbewußt, daſſelbe als mein eignes Weſen. Ein anderes, ſeiner Natur nach von mir unterſchiednes Weſen tangirt mich nicht. Die Sünde kann ich als Sünde nur em- pfinden, wenn ich ſie als einen Widerſpruch meiner mit mir ſelbſt, d. h. meiner Perſönlichkeit mit meiner Weſenheit empfinde. Als Widerſpruch mit dem abſoluten, als einem andern Weſen gedacht, iſt das Gefühl der Sünde unerklärlich, ſinnlos.

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/50>, abgerufen am 26.11.2024.