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Feuerbach, Paul Johann Anselm von: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts. Giessen, 1801.

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I. Buch. II. Theil. II. Titel. II. Abschnitt.
ser Schlaf; 7) unverschuldeter Irrthum oder
Unwissenheit in Rücksicht auf das Daseyn des
Strafgesetzes überhaupt, oder der Subsumtion
der That unter dasselbe (§. 64.)

§. 97.

II. Jeder unverschuldete Zustand der Person, in
welchem der Einfluss des Strafgesetzes zur Verhin-
derung der That entweder psychologisch oder phy-
sisch unmöglich ist.
Die Strafbarkeit fällt daher
hinweg 1) wenn die Person durch ein gewisses
und gegenwärtiges, dem Strafübel entweder
gleiches oder dasselbe überwiegendes Uebel zur
That fortgetrieben wird. Ein solches Uebel
kann a) durch die Natur bevorstehen (Noth-
fall) *), oder es kann b) durch Menschen
bewirkt werden, welches statt findet bey der
compulsiven Gewalt eines andern, mit wel-
cher er zur Begehung eines Verbrechens

nöthigt
*) z. B. Diebstahl in rechter Hungersnoth -- Tödung
eines andern, um selbst einer augenblicklichen
Lebensgefahr zu entgehen u. s. w. Man könnte
einwenden, die Wirksamkeit des Strafgesetzes sey
hier nicht unmöglich Der Mensch habe ja Frey-
heit Gar wohl! aber man vergesse nicht, dass wir
in dem peinlichen Recht den Menschen nur als
Natur und sinnliches Wesen betrachten können.
Die Psychologie ist hier unsre Lehrerin, nicht die
Metaphysik Freyheit hat ihr Gebiet in der Moral.
Nach psychologischen Gesetzen, welche sich auf die in-
nere Natur des Menschen beziehen. ist in dem vor-
ausgesetzten Fall, wie auch schon Filangieri und an-
dere bemerkt haben, eine Willensbestimmung durch
die Vorstellung des entfernten Strafübels nicht als
möglich anzunehmen.

I. Buch. II. Theil. II. Titel. II. Abſchnitt.
ſer Schlaf; 7) unverſchuldeter Irrthum oder
Unwiſſenheit in Rückſicht auf das Daſeyn des
Strafgeſetzes überhaupt, oder der Subſumtion
der That unter daſſelbe (§. 64.)

§. 97.

II. Jeder unverſchuldete Zuſtand der Perſon, in
welchem der Einfluſs des Strafgeſetzes zur Verhin-
derung der That entweder pſychologiſch oder phy-
ſiſch unmöglich iſt.
Die Strafbarkeit fällt daher
hinweg 1) wenn die Perſon durch ein gewiſſes
und gegenwärtiges, dem Strafübel entweder
gleiches oder daſſelbe überwiegendes Uebel zur
That fortgetrieben wird. Ein ſolches Uebel
kann a) durch die Natur bevorſtehen (Noth-
fall) *), oder es kann b) durch Menſchen
bewirkt werden, welches ſtatt findet bey der
compulſiven Gewalt eines andern, mit wel-
cher er zur Begehung eines Verbrechens

nöthigt
*) z. B. Diebſtahl in rechter Hungersnoth — Tödung
eines andern, um ſelbſt einer augenblicklichen
Lebensgefahr zu entgehen u. ſ. w. Man könnte
einwenden, die Wirkſamkeit des Strafgeſetzes ſey
hier nicht unmöglich Der Menſch habe ja Frey-
heit Gar wohl! aber man vergeſſe nicht, daſs wir
in dem peinlichen Recht den Menſchen nur als
Natur und ſinnliches Weſen betrachten können.
Die Pſychologie iſt hier unſre Lehrerin, nicht die
Metaphyſik Freyheit hat ihr Gebiet in der Moral.
Nach pſychologiſchen Geſetzen, welche ſich auf die in-
nere Natur des Menſchen beziehen. iſt in dem vor-
ausgeſetzten Fall, wie auch ſchon Filangieri und an-
dere bemerkt haben, eine Willensbeſtimmung durch
die Vorſtellung des entfernten Strafübels nicht als
möglich anzunehmen.
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[76/0104] I. Buch. II. Theil. II. Titel. II. Abſchnitt. ſer Schlaf; 7) unverſchuldeter Irrthum oder Unwiſſenheit in Rückſicht auf das Daſeyn des Strafgeſetzes überhaupt, oder der Subſumtion der That unter daſſelbe (§. 64.) §. 97. II. Jeder unverſchuldete Zuſtand der Perſon, in welchem der Einfluſs des Strafgeſetzes zur Verhin- derung der That entweder pſychologiſch oder phy- ſiſch unmöglich iſt. Die Strafbarkeit fällt daher hinweg 1) wenn die Perſon durch ein gewiſſes und gegenwärtiges, dem Strafübel entweder gleiches oder daſſelbe überwiegendes Uebel zur That fortgetrieben wird. Ein ſolches Uebel kann a) durch die Natur bevorſtehen (Noth- fall) *), oder es kann b) durch Menſchen bewirkt werden, welches ſtatt findet bey der compulſiven Gewalt eines andern, mit wel- cher er zur Begehung eines Verbrechens nöthigt *) z. B. Diebſtahl in rechter Hungersnoth — Tödung eines andern, um ſelbſt einer augenblicklichen Lebensgefahr zu entgehen u. ſ. w. Man könnte einwenden, die Wirkſamkeit des Strafgeſetzes ſey hier nicht unmöglich Der Menſch habe ja Frey- heit Gar wohl! aber man vergeſſe nicht, daſs wir in dem peinlichen Recht den Menſchen nur als Natur und ſinnliches Weſen betrachten können. Die Pſychologie iſt hier unſre Lehrerin, nicht die Metaphyſik Freyheit hat ihr Gebiet in der Moral. Nach pſychologiſchen Geſetzen, welche ſich auf die in- nere Natur des Menſchen beziehen. iſt in dem vor- ausgeſetzten Fall, wie auch ſchon Filangieri und an- dere bemerkt haben, eine Willensbeſtimmung durch die Vorſtellung des entfernten Strafübels nicht als möglich anzunehmen.

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Zitationshilfe: Feuerbach, Paul Johann Anselm von: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts. Giessen, 1801, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_recht_1801/104>, abgerufen am 27.11.2024.