Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Feuerbach, Paul Johann Anselm von: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts. Giessen, 1801.

Bild:
<< vorherige Seite

Relative Strafb. Milderungsgründe.
zweifelhaft ist. -- Ungewissheit des Thatbestan-
des
*).

§. 106.

Die Qualität der gemilderten Strafe muss
bestimmt werden nach dem Gesetze selbst.
Nämlich, die ordentliche Strafe ist ein Inbe-
griff gewisser Uebel, welcher dem Grad der
Gefährlichkeit correspondirt, der aus allen
Requisiten der That zusammengenommen ent-
springt. Jedes Requisit einzeln genommen
hat aber für sich einen gewissen Grad der Ge-
fährlichkeit und Strafbarkeit, ihm also corre-
spondirt nur ein ihm proportionirter Theil der
vollen Strafe. Da nun bey einem bestimmten
Strafgesetz, die Strafbarkeit in concreto nach
dem Gesetz selbst beurtheilt werden muss (§.
99.); so kann auch die Grösse der gemilderten
Strafe nur dadurch bestimmt werden, dass
von der vollen Strafe so viel abgezogen wird,
als den fehlenden Requisiten correspondirte.
Sind daher alle einzelnen Requisite, der Straf-

barkeit
*) Es ist z. B. gewiss, dass an einer Person zum Zweck
der Wollustbefriedigung Gewalt geschehen ist, un-
gewiss aber, dass der Beyschlaf vollzogen oder juri-
dilch gewiss, dass er nicht vollzogen worden
ist. -- Sind alle Requisite des Thatbestandes einer
Uebertretung zweyfelhaft, so fällt alle Strafe
hinweg, aus demselben Grunde, aus welchem sie
hinwegfallen muss, wenn die Nichtexistenz derseben
erwiesen ist. Denn der Nichtexistenz eines Factums
ist in foro externo die Unerweisbarkeit völlig gleich.
Dass Criminalisten in Theorie und Praxis das Ge-
gentheil annehmen, kann man ihnen nicht ver-
denken.
F 2

Relative Strafb. Milderungsgründe.
zweifelhaft iſt. — Ungewiſsheit des Thatbeſtan-
des
*).

§. 106.

Die Qualität der gemilderten Strafe muſs
beſtimmt werden nach dem Geſetze ſelbſt.
Nämlich, die ordentliche Strafe iſt ein Inbe-
griff gewiſſer Uebel, welcher dem Grad der
Gefährlichkeit correſpondirt, der aus allen
Requiſiten der That zuſammengenommen ent-
ſpringt. Jedes Requiſit einzeln genommen
hat aber für ſich einen gewiſſen Grad der Ge-
fährlichkeit und Strafbarkeit, ihm alſo corre-
ſpondirt nur ein ihm proportionirter Theil der
vollen Strafe. Da nun bey einem beſtimmten
Strafgeſetz, die Strafbarkeit in concreto nach
dem Geſetz ſelbſt beurtheilt werden muſs (§.
99.); ſo kann auch die Gröſse der gemilderten
Strafe nur dadurch beſtimmt werden, daſs
von der vollen Strafe ſo viel abgezogen wird,
als den fehlenden Requiſiten correſpondirte.
Sind daher alle einzelnen Requiſite, der Straf-

barkeit
*) Es iſt z. B. gewiſs, daſs an einer Perſon zum Zweck
der Wolluſtbefriedigung Gewalt geſchehen iſt, un-
gewiſs aber, daſs der Beyſchlaf vollzogen oder juri-
dilch gewiſs, daſs er nicht vollzogen worden
iſt. — Sind alle Requiſite des Thatbeſtandes einer
Uebertretung zweyfelhaft, ſo fällt alle Strafe
hinweg, aus demſelben Grunde, aus welchem ſie
hinwegfallen muſs, wenn die Nichtexiſtenz derſeben
erwieſen iſt. Denn der Nichtexiſtenz eines Factums
iſt in foro externo die Unerweisbarkeit völlig gleich.
Daſs Criminaliſten in Theorie und Praxis das Ge-
gentheil annehmen, kann man ihnen nicht ver-
denken.
F 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <div n="9">
                        <div n="10">
                          <p><pb facs="#f0111" n="83"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#i">Relative Strafb. Milderungsgründe.</hi></fw><lb/><hi rendition="#i">zweifelhaft i&#x017F;t. &#x2014; Ungewi&#x017F;sheit des Thatbe&#x017F;tan-<lb/>
des</hi><note place="foot" n="*)">Es i&#x017F;t z. B. gewi&#x017F;s, da&#x017F;s an einer Per&#x017F;on zum Zweck<lb/>
der Wollu&#x017F;tbefriedigung Gewalt ge&#x017F;chehen i&#x017F;t, un-<lb/>
gewi&#x017F;s aber, da&#x017F;s der Bey&#x017F;chlaf vollzogen oder juri-<lb/>
dilch gewi&#x017F;s, da&#x017F;s er nicht vollzogen worden<lb/>
i&#x017F;t. &#x2014; Sind <hi rendition="#i">alle</hi> Requi&#x017F;ite des Thatbe&#x017F;tandes einer<lb/>
Uebertretung zweyfelhaft, &#x017F;o fällt alle Strafe<lb/>
hinweg, aus dem&#x017F;elben Grunde, aus welchem &#x017F;ie<lb/>
hinwegfallen mu&#x017F;s, wenn die Nichtexi&#x017F;tenz der&#x017F;eben<lb/><hi rendition="#i">erwie&#x017F;en</hi> i&#x017F;t. Denn der Nichtexi&#x017F;tenz eines Factums<lb/>
i&#x017F;t <hi rendition="#i">in foro externo</hi> die Unerweisbarkeit völlig gleich.<lb/>
Da&#x017F;s Criminali&#x017F;ten in Theorie und Praxis das Ge-<lb/>
gentheil annehmen, kann man ihnen nicht ver-<lb/>
denken.</note>.</p>
                        </div><lb/>
                        <div n="10">
                          <head>§. 106.</head><lb/>
                          <p>Die Qualität der gemilderten Strafe mu&#x017F;s<lb/>
be&#x017F;timmt werden nach dem Ge&#x017F;etze &#x017F;elb&#x017F;t.<lb/>
Nämlich, die ordentliche Strafe i&#x017F;t ein Inbe-<lb/>
griff gewi&#x017F;&#x017F;er Uebel, welcher dem Grad der<lb/>
Gefährlichkeit corre&#x017F;pondirt, der aus allen<lb/>
Requi&#x017F;iten der That zu&#x017F;ammengenommen ent-<lb/>
&#x017F;pringt. Jedes Requi&#x017F;it einzeln genommen<lb/>
hat aber für &#x017F;ich einen gewi&#x017F;&#x017F;en Grad der Ge-<lb/>
fährlichkeit und Strafbarkeit, ihm al&#x017F;o corre-<lb/>
&#x017F;pondirt nur ein ihm proportionirter <hi rendition="#i">Theil</hi> der<lb/>
vollen Strafe. Da nun bey einem be&#x017F;timmten<lb/>
Strafge&#x017F;etz, die Strafbarkeit <hi rendition="#i">in concreto</hi> nach<lb/>
dem Ge&#x017F;etz &#x017F;elb&#x017F;t beurtheilt werden mu&#x017F;s (§.<lb/>
99.); &#x017F;o kann auch die Grö&#x017F;se der gemilderten<lb/>
Strafe nur dadurch be&#x017F;timmt werden, da&#x017F;s<lb/>
von der vollen Strafe &#x017F;o viel abgezogen wird,<lb/>
als den fehlenden Requi&#x017F;iten corre&#x017F;pondirte.<lb/>
Sind daher alle einzelnen Requi&#x017F;ite, der Straf-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">F 2</fw><fw place="bottom" type="catch">barkeit</fw><lb/></p>
                        </div>
                      </div>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[83/0111] Relative Strafb. Milderungsgründe. zweifelhaft iſt. — Ungewiſsheit des Thatbeſtan- des *). §. 106. Die Qualität der gemilderten Strafe muſs beſtimmt werden nach dem Geſetze ſelbſt. Nämlich, die ordentliche Strafe iſt ein Inbe- griff gewiſſer Uebel, welcher dem Grad der Gefährlichkeit correſpondirt, der aus allen Requiſiten der That zuſammengenommen ent- ſpringt. Jedes Requiſit einzeln genommen hat aber für ſich einen gewiſſen Grad der Ge- fährlichkeit und Strafbarkeit, ihm alſo corre- ſpondirt nur ein ihm proportionirter Theil der vollen Strafe. Da nun bey einem beſtimmten Strafgeſetz, die Strafbarkeit in concreto nach dem Geſetz ſelbſt beurtheilt werden muſs (§. 99.); ſo kann auch die Gröſse der gemilderten Strafe nur dadurch beſtimmt werden, daſs von der vollen Strafe ſo viel abgezogen wird, als den fehlenden Requiſiten correſpondirte. Sind daher alle einzelnen Requiſite, der Straf- barkeit *) Es iſt z. B. gewiſs, daſs an einer Perſon zum Zweck der Wolluſtbefriedigung Gewalt geſchehen iſt, un- gewiſs aber, daſs der Beyſchlaf vollzogen oder juri- dilch gewiſs, daſs er nicht vollzogen worden iſt. — Sind alle Requiſite des Thatbeſtandes einer Uebertretung zweyfelhaft, ſo fällt alle Strafe hinweg, aus demſelben Grunde, aus welchem ſie hinwegfallen muſs, wenn die Nichtexiſtenz derſeben erwieſen iſt. Denn der Nichtexiſtenz eines Factums iſt in foro externo die Unerweisbarkeit völlig gleich. Daſs Criminaliſten in Theorie und Praxis das Ge- gentheil annehmen, kann man ihnen nicht ver- denken. F 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_recht_1801
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_recht_1801/111
Zitationshilfe: Feuerbach, Paul Johann Anselm von: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts. Giessen, 1801, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_recht_1801/111>, abgerufen am 23.11.2024.