Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Feuerbach, Paul Johann Anselm von: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts. Giessen, 1801.

Bild:
<< vorherige Seite
V. d qualificirten Mord od. d. Parricidium.
§. 271.

Kindermord (infanticidium) ist eine nach
vorgängiger Verheimlichung der Schwanger-
schaft von der Mutter selbst begangene Tödung
ihres neugebohrnen, lebensfähigen, unehelichen
Kindes
*). Der Grund der Auszeichnung des
Kindermords zum Zweck der gelindern Be-
strafung, ist theils die heftige Furcht vor der
Strafe und Schande, wegen des unehelichen
Beyschlafs, theils die Schwächung der höhern
Gemüthskräfte durch den Akt der Geburth,
theils die noch mangelnde Stärke des Instinkts
der mütterlichen Liebe, welcher erst nach Ver-
lauf einiger Zeit sich zur vollen Kraft entwickelt
und erst dann eine mächtige, abhaltende Trieb-
feder ist.

§. 272.

Zum Thatbestand des Verbrechens gehört
1) dass eine Person gebohren hat 2) dass das
Kind im ausserehelichem Beyschlaf erzeugt
und ausser der Ehe gebohren worden ist **),
3) dass das Kind in der Geburth und vor Voll-
endung der rechtswidrigen Handlung gelebt
hat, 4) dass das Kind vermöge seiner körper-
lichen Beschaffenheit und der Zeit der Schwan-

ger-
*) P. G. O. Art. 131. "Item, welches Weib ihr Kind,
(1) das Leben und Gliedmass empfangen hat: (2) heimli-
cher
(3) hoshaftiger williger Weise ertödet, die wer-
den etc.
**) Mündlich von den Gründen zu diesem in dem Ge-
setz nicht ausdrücklich genannten Requisit. Vergl.
Grosman C. R. W. §. 435.
O 2
V. d qualificirten Mord od. d. Parricidium.
§. 271.

Kindermord (infanticidium) iſt eine nach
vorgängiger Verheimlichung der Schwanger-
ſchaft von der Mutter ſelbſt begangene Tödung
ihres neugebohrnen, lebensfähigen, unehelichen
Kindes
*). Der Grund der Auszeichnung des
Kindermords zum Zweck der gelindern Be-
ſtrafung, iſt theils die heftige Furcht vor der
Strafe und Schande, wegen des unehelichen
Beyſchlafs, theils die Schwächung der höhern
Gemüthskräfte durch den Akt der Geburth,
theils die noch mangelnde Stärke des Inſtinkts
der mütterlichen Liebe, welcher erſt nach Ver-
lauf einiger Zeit ſich zur vollen Kraft entwickelt
und erſt dann eine mächtige, abhaltende Trieb-
feder iſt.

§. 272.

Zum Thatbeſtand des Verbrechens gehört
1) daſs eine Perſon gebohren hat 2) daſs das
Kind im auſſerehelichem Beyſchlaf erzeugt
und auſſer der Ehe gebohren worden iſt **),
3) daſs das Kind in der Geburth und vor Voll-
endung der rechtswidrigen Handlung gelebt
hat, 4) daſs das Kind vermöge ſeiner körper-
lichen Beſchaffenheit und der Zeit der Schwan-

ger-
*) P. G. O. Art. 131. „Item, welches Weib ihr Kind,
(1) das Leben und Gliedmaſs empfangen hat: (2) heimli-
cher
(3) hoshaftiger williger Weiſe ertödet, die wer-
den etc.
**) Mündlich von den Gründen zu dieſem in dem Ge-
ſetz nicht ausdrücklich genannten Requiſit. Vergl.
Groſman C. R. W. §. 435.
O 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <div n="9">
                        <pb facs="#f0239" n="211"/>
                        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#i">V. d qualificirten Mord od. d. Parricidium.</hi> </fw><lb/>
                        <div n="10">
                          <head>§. 271.</head><lb/>
                          <p><hi rendition="#g">Kindermord</hi><hi rendition="#i">(infanticidium) i&#x017F;t eine nach<lb/>
vorgängiger Verheimlichung der Schwanger-<lb/>
&#x017F;chaft von der Mutter &#x017F;elb&#x017F;t begangene Tödung<lb/>
ihres neugebohrnen, lebensfähigen, unehelichen<lb/>
Kindes</hi><note place="foot" n="*)">P. G. O. Art. 131. &#x201E;Item, welches Weib ihr Kind,<lb/>
(1) <hi rendition="#i">das Leben und Gliedma&#x017F;s empfangen hat</hi>: (2) <hi rendition="#i">heimli-<lb/>
cher</hi> (3) <hi rendition="#i">hoshaftiger williger Wei&#x017F;e ertödet</hi>, die wer-<lb/>
den etc.</note>. Der Grund der Auszeichnung des<lb/>
Kindermords zum Zweck der gelindern Be-<lb/>
&#x017F;trafung, i&#x017F;t theils die heftige Furcht vor der<lb/>
Strafe und Schande, wegen des unehelichen<lb/>
Bey&#x017F;chlafs, theils die Schwächung der höhern<lb/>
Gemüthskräfte durch den Akt der Geburth,<lb/>
theils die noch mangelnde Stärke des In&#x017F;tinkts<lb/>
der mütterlichen Liebe, welcher er&#x017F;t nach Ver-<lb/>
lauf einiger Zeit &#x017F;ich zur vollen Kraft entwickelt<lb/>
und er&#x017F;t dann eine mächtige, abhaltende Trieb-<lb/>
feder i&#x017F;t.</p>
                        </div><lb/>
                        <div n="10">
                          <head>§. 272.</head><lb/>
                          <p>Zum Thatbe&#x017F;tand des Verbrechens gehört<lb/>
1) da&#x017F;s eine Per&#x017F;on gebohren hat 2) da&#x017F;s das<lb/>
Kind im au&#x017F;&#x017F;erehelichem Bey&#x017F;chlaf erzeugt<lb/>
und au&#x017F;&#x017F;er der Ehe gebohren worden i&#x017F;t <note place="foot" n="**)">Mündlich von den Gründen zu die&#x017F;em in dem Ge-<lb/>
&#x017F;etz nicht ausdrücklich genannten Requi&#x017F;it. Vergl.<lb/><hi rendition="#g">Gro&#x017F;man</hi> <hi rendition="#i">C. R. W.</hi> §. 435.</note>,<lb/>
3) da&#x017F;s das Kind in der Geburth und vor Voll-<lb/>
endung der rechtswidrigen Handlung gelebt<lb/>
hat, 4) da&#x017F;s das Kind vermöge &#x017F;einer körper-<lb/>
lichen Be&#x017F;chaffenheit und der Zeit der Schwan-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">O 2</fw><fw place="bottom" type="catch">ger-</fw><lb/></p>
                        </div>
                      </div>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[211/0239] V. d qualificirten Mord od. d. Parricidium. §. 271. Kindermord (infanticidium) iſt eine nach vorgängiger Verheimlichung der Schwanger- ſchaft von der Mutter ſelbſt begangene Tödung ihres neugebohrnen, lebensfähigen, unehelichen Kindes *). Der Grund der Auszeichnung des Kindermords zum Zweck der gelindern Be- ſtrafung, iſt theils die heftige Furcht vor der Strafe und Schande, wegen des unehelichen Beyſchlafs, theils die Schwächung der höhern Gemüthskräfte durch den Akt der Geburth, theils die noch mangelnde Stärke des Inſtinkts der mütterlichen Liebe, welcher erſt nach Ver- lauf einiger Zeit ſich zur vollen Kraft entwickelt und erſt dann eine mächtige, abhaltende Trieb- feder iſt. §. 272. Zum Thatbeſtand des Verbrechens gehört 1) daſs eine Perſon gebohren hat 2) daſs das Kind im auſſerehelichem Beyſchlaf erzeugt und auſſer der Ehe gebohren worden iſt **), 3) daſs das Kind in der Geburth und vor Voll- endung der rechtswidrigen Handlung gelebt hat, 4) daſs das Kind vermöge ſeiner körper- lichen Beſchaffenheit und der Zeit der Schwan- ger- *) P. G. O. Art. 131. „Item, welches Weib ihr Kind, (1) das Leben und Gliedmaſs empfangen hat: (2) heimli- cher (3) hoshaftiger williger Weiſe ertödet, die wer- den etc. **) Mündlich von den Gründen zu dieſem in dem Ge- ſetz nicht ausdrücklich genannten Requiſit. Vergl. Groſman C. R. W. §. 435. O 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_recht_1801
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_recht_1801/239
Zitationshilfe: Feuerbach, Paul Johann Anselm von: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts. Giessen, 1801, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_recht_1801/239>, abgerufen am 23.11.2024.