Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Feuerbach, Paul Johann Anselm von: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts. Giessen, 1801.

Bild:
<< vorherige Seite
Verbr. gegen d. freye Dispos. üb. d. Körp.
§. 305.

III. Die angewendete Gewalt zur Unter-
werfung unter die Begierde muss rechtswidrig
seyn. Wer, wie der Ehemann, auf den Bey-
schlaf ein vollkommenes Recht hat, begeht
durch angewendete Gewalt keine Nothzucht,
wenn er gleich wegen des Excesses strafbar seyn
kann. IV Der mit Gewalt erzwungene Bey-
schlaf
muss vollendet seyn. Blosse Vereinigung
der Geschlechtstheile ist daher eben so wenig
hinreichend, als blosse emissio seminis *).
Denn, wenn gleich die Gewalt der Haupt-

punkt
nicht annehmen (und das Gegentheil zu beweisen,
ist ph sisch unmöglich) dass dieses entfernte Uebel
sie zur Unterwerfung bestimmen konnte. Entfernte
Uebel machen an sich einen geringen Eindruck.
Auch hat ja hier die Person, wenn es ihr mit ih-
rer Keuschheit Ernst ist, Zeit genug, den Staat in
das Mittel zu rufen und dadurch sowohl dem einen,
als dem andern Uebel zu entgehen. Ist das ge-
dachte Uebel geringer, als der Verlust der jungfräu-
lichen Ehre, so lässt es sich nach psychologischen
Gesetzen ebenfalls nicht denken, dass die Person
durch das kleinere Uebel sich zu dem grösseren be-
stimmt habe... Immer ist also hier anzunehmen,
dass sich die Person aus eignem Antrieb zur Hin-
gebung bestimmt habe.
*) Blosse Vereinigung der Geschlechtstheile macht
schon vollendete Nothzucht aus, nach Boehmer
ad Carpzov Q. 75. obs. 5. et 8. -- et ad Art. 119.
C. C. C. §. 8. -- Struben Thl. III. Bd. 24. --
Westphal CR. S. 232. -- Koch pr. jur. crim.
§. 286. -- Daraus, dass die P. G. O. sagt, durch die
Nothzucht werde "die fräuliche oder jungfräuliche
Ehre genommen
," folgt nicht das geringste.
Verbr. gegen d. freye Dispoſ. üb. d. Körp.
§. 305.

III. Die angewendete Gewalt zur Unter-
werfung unter die Begierde muſs rechtswidrig
ſeyn. Wer, wie der Ehemann, auf den Bey-
ſchlaf ein vollkommenes Recht hat, begeht
durch angewendete Gewalt keine Nothzucht,
wenn er gleich wegen des Exceſſes ſtrafbar ſeyn
kann. IV Der mit Gewalt erzwungene Bey-
ſchlaf
muſs vollendet ſeyn. Bloſse Vereinigung
der Geſchlechtstheile iſt daher eben ſo wenig
hinreichend, als bloſse emiſſio ſeminis *).
Denn, wenn gleich die Gewalt der Haupt-

punkt
nicht annehmen (und das Gegentheil zu beweiſen,
iſt ph ſiſch unmöglich) daſs dieſes entfernte Uebel
ſie zur Unterwerfung beſtimmen konnte. Entfernte
Uebel machen an ſich einen geringen Eindruck.
Auch hat ja hier die Perſon, wenn es ihr mit ih-
rer Keuſchheit Ernſt iſt, Zeit genug, den Staat in
das Mittel zu rufen und dadurch ſowohl dem einen,
als dem andern Uebel zu entgehen. Iſt das ge-
dachte Uebel geringer, als der Verluſt der jungfräu-
lichen Ehre, ſo läſst es ſich nach pſychologiſchen
Geſetzen ebenfalls nicht denken, daſs die Perſon
durch das kleinere Uebel ſich zu dem gröſseren be-
ſtimmt habe… Immer iſt alſo hier anzunehmen,
daſs ſich die Perſon aus eignem Antrieb zur Hin-
gebung beſtimmt habe.
*) Bloſse Vereinigung der Geſchlechtstheile macht
ſchon vollendete Nothzucht aus, nach Boehmer
ad Carpzov Q. 75. obſ. 5. et 8. — et ad Art. 119.
C. C. C. §. 8. — Struben Thl. III. Bd. 24. —
Weſtphal CR. S. 232. — Koch pr. jur. crim.
§. 286. — Daraus, daſs die P. G. O. ſagt, durch die
Nothzucht werde „die fräuliche oder jungfräuliche
Ehre genommen
,“ folgt nicht das geringſte.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <pb facs="#f0265" n="237"/>
                    <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#i">Verbr. gegen d. freye Dispo&#x017F;. üb. d. Körp.</hi> </fw><lb/>
                    <div n="8">
                      <head>§. 305.</head><lb/>
                      <p>III. Die angewendete Gewalt zur Unter-<lb/>
werfung unter die Begierde mu&#x017F;s <hi rendition="#i">rechtswidrig</hi><lb/>
&#x017F;eyn. Wer, wie der Ehemann, auf den Bey-<lb/>
&#x017F;chlaf ein vollkommenes Recht hat, begeht<lb/>
durch angewendete Gewalt keine Nothzucht,<lb/>
wenn er gleich wegen des Exce&#x017F;&#x017F;es &#x017F;trafbar &#x017F;eyn<lb/>
kann. IV Der mit Gewalt erzwungene <hi rendition="#i">Bey-<lb/>
&#x017F;chlaf</hi> mu&#x017F;s <hi rendition="#i">vollendet</hi> &#x017F;eyn. Blo&#x017F;se Vereinigung<lb/>
der Ge&#x017F;chlechtstheile i&#x017F;t daher eben &#x017F;o wenig<lb/>
hinreichend, als blo&#x017F;se <hi rendition="#i">emi&#x017F;&#x017F;io &#x017F;eminis</hi> <note place="foot" n="*)">Blo&#x017F;se Vereinigung der Ge&#x017F;chlechtstheile macht<lb/>
&#x017F;chon vollendete Nothzucht aus, nach <hi rendition="#g">Boehmer</hi><lb/>
ad <hi rendition="#g">Carpzov</hi> Q. 75. ob&#x017F;. 5. et 8. &#x2014; et ad Art. 119.<lb/>
C. C. C. §. 8. &#x2014; <hi rendition="#g">Struben</hi> Thl. III. Bd. 24. &#x2014;<lb/><hi rendition="#g">We&#x017F;tphal</hi> CR. S. 232. &#x2014; <hi rendition="#g">Koch</hi> <hi rendition="#i">pr. jur. crim</hi>.<lb/>
§. 286. &#x2014; Daraus, da&#x017F;s die P. G. O. &#x017F;agt, durch die<lb/>
Nothzucht werde &#x201E;<hi rendition="#i">die fräuliche oder jungfräuliche<lb/>
Ehre genommen</hi>,&#x201C; folgt nicht das gering&#x017F;te.</note>.<lb/>
Denn, wenn gleich die Gewalt der Haupt-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">punkt</fw><lb/><note xml:id="note-0265" prev="#note-0264" place="foot" n="***)">nicht annehmen (und das Gegentheil zu bewei&#x017F;en,<lb/>
i&#x017F;t ph &#x017F;i&#x017F;ch unmöglich) da&#x017F;s die&#x017F;es entfernte Uebel<lb/>
&#x017F;ie zur Unterwerfung be&#x017F;timmen konnte. Entfernte<lb/>
Uebel machen an &#x017F;ich einen geringen Eindruck.<lb/>
Auch hat ja hier die Per&#x017F;on, wenn es ihr mit ih-<lb/>
rer Keu&#x017F;chheit Ern&#x017F;t i&#x017F;t, Zeit genug, den Staat in<lb/>
das Mittel zu rufen und dadurch &#x017F;owohl dem einen,<lb/>
als dem andern Uebel zu entgehen. I&#x017F;t das ge-<lb/>
dachte Uebel geringer, als der Verlu&#x017F;t der jungfräu-<lb/>
lichen Ehre, &#x017F;o lä&#x017F;st es &#x017F;ich nach p&#x017F;ychologi&#x017F;chen<lb/>
Ge&#x017F;etzen ebenfalls nicht denken, da&#x017F;s die Per&#x017F;on<lb/>
durch das kleinere Uebel &#x017F;ich zu dem grö&#x017F;seren be-<lb/>
&#x017F;timmt habe&#x2026; Immer i&#x017F;t al&#x017F;o hier anzunehmen,<lb/>
da&#x017F;s &#x017F;ich die Per&#x017F;on aus eignem Antrieb zur Hin-<lb/>
gebung be&#x017F;timmt habe.</note><lb/></p>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[237/0265] Verbr. gegen d. freye Dispoſ. üb. d. Körp. §. 305. III. Die angewendete Gewalt zur Unter- werfung unter die Begierde muſs rechtswidrig ſeyn. Wer, wie der Ehemann, auf den Bey- ſchlaf ein vollkommenes Recht hat, begeht durch angewendete Gewalt keine Nothzucht, wenn er gleich wegen des Exceſſes ſtrafbar ſeyn kann. IV Der mit Gewalt erzwungene Bey- ſchlaf muſs vollendet ſeyn. Bloſse Vereinigung der Geſchlechtstheile iſt daher eben ſo wenig hinreichend, als bloſse emiſſio ſeminis *). Denn, wenn gleich die Gewalt der Haupt- punkt ***) *) Bloſse Vereinigung der Geſchlechtstheile macht ſchon vollendete Nothzucht aus, nach Boehmer ad Carpzov Q. 75. obſ. 5. et 8. — et ad Art. 119. C. C. C. §. 8. — Struben Thl. III. Bd. 24. — Weſtphal CR. S. 232. — Koch pr. jur. crim. §. 286. — Daraus, daſs die P. G. O. ſagt, durch die Nothzucht werde „die fräuliche oder jungfräuliche Ehre genommen,“ folgt nicht das geringſte. ***) nicht annehmen (und das Gegentheil zu beweiſen, iſt ph ſiſch unmöglich) daſs dieſes entfernte Uebel ſie zur Unterwerfung beſtimmen konnte. Entfernte Uebel machen an ſich einen geringen Eindruck. Auch hat ja hier die Perſon, wenn es ihr mit ih- rer Keuſchheit Ernſt iſt, Zeit genug, den Staat in das Mittel zu rufen und dadurch ſowohl dem einen, als dem andern Uebel zu entgehen. Iſt das ge- dachte Uebel geringer, als der Verluſt der jungfräu- lichen Ehre, ſo läſst es ſich nach pſychologiſchen Geſetzen ebenfalls nicht denken, daſs die Perſon durch das kleinere Uebel ſich zu dem gröſseren be- ſtimmt habe… Immer iſt alſo hier anzunehmen, daſs ſich die Perſon aus eignem Antrieb zur Hin- gebung beſtimmt habe.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_recht_1801
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_recht_1801/265
Zitationshilfe: Feuerbach, Paul Johann Anselm von: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts. Giessen, 1801, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_recht_1801/265>, abgerufen am 21.11.2024.