Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Feuerbach, Paul Johann Anselm von: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts. Giessen, 1801.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Buch. II. Theil. I. Titel I. Abschnitt.
des Verbrechens wird erst möglich im Staat, wo
der Bürger, durch eine einem Strafgesetz un-
terworfene Rechtsverletzung, den Wechsel-
vertrag zwischen ihm und dem Staate bricht *).
Im weitesten Sinne, (wo Verbrechen und Ver-
gehen, crimen und delictum gleichbedeutend
find) bezeichnet daher Verbrechen eine durch ein
Strafgesetz bedrohte, dem vollkommenen Recht
widersprechende, Handlung
. Ein jedes Straf-
gesetz aber setzt nothwendig einen Oberherrn,
mithin Staat voraus.

Immoralität -- Sünde -- Laster.

§. 27.

Verbrechen im weitesten Sinne zerfällt I. in
das Verbrechen im engern Verstande (crimen,
Verbrechen kkht exokhen) II. in das Vergehen
(Polizeyverbrechen, delictum). Durch dieses
werden vollkommne, aber erst durch Polizey-
gesetze
begründete Verbindlichkeiten gegen
den Staat verletzt; durch jenes hingegen die
unmittelbar durch den Gefellschaftvertrag be-
gründeten Verbindlichkeiten des Bürgers.

Durch
*) Denn die Strafe ist nothwendige Folge des übertre-
tenen Strafgesetzes. Wer daher ein Strafgesetz
übertritt, kommt in Beziehung auf die verwirkte
Strafe
aus dem Schutze des Staats, in wie ferne er
die Rechte verliert, deren Verlust eine nothwendi-
ge Folge des vom Gesetz gedrohten und zuzufügen-
den Uebels ist. Der Staat soll ihm alle Rechte
schützen; er übertritt das Gesetz -- und nun ent-
zieht ihm der Staat diese Rechte. Er bricht daher
durch seine Uebertretung das rechtliche Verhältniss
das zwischen ihm als Bürger und dem Staat als
Beschützer aller Rechte ist.

I. Buch. II. Theil. I. Titel I. Abſchnitt.
des Verbrechens wird erſt möglich im Staat, wo
der Bürger, durch eine einem Strafgeſetz un-
terworfene Rechtsverletzung, den Wechſel-
vertrag zwiſchen ihm und dem Staate bricht *).
Im weiteſten Sinne, (wo Verbrechen und Ver-
gehen, crimen und delictum gleichbedeutend
find) bezeichnet daher Verbrechen eine durch ein
Strafgeſetz bedrohte, dem vollkommenen Recht
widerſprechende, Handlung
. Ein jedes Straf-
geſetz aber ſetzt nothwendig einen Oberherrn,
mithin Staat voraus.

Immoralität — Sünde — Laſter.

§. 27.

Verbrechen im weiteſten Sinne zerfällt I. in
das Verbrechen im engern Verſtande (crimen,
Verbrechen κχτ̕ εξοχην) II. in das Vergehen
(Polizeyverbrechen, delictum). Durch dieſes
werden vollkommne, aber erſt durch Polizey-
geſetze
begründete Verbindlichkeiten gegen
den Staat verletzt; durch jenes hingegen die
unmittelbar durch den Gefellſchaftvertrag be-
gründeten Verbindlichkeiten des Bürgers.

Durch
*) Denn die Strafe iſt nothwendige Folge des übertre-
tenen Strafgeſetzes. Wer daher ein Strafgeſetz
übertritt, kommt in Beziehung auf die verwirkte
Strafe
aus dem Schutze des Staats, in wie ferne er
die Rechte verliert, deren Verluſt eine nothwendi-
ge Folge des vom Geſetz gedrohten und zuzufügen-
den Uebels iſt. Der Staat ſoll ihm alle Rechte
ſchützen; er übertritt das Geſetz — und nun ent-
zieht ihm der Staat dieſe Rechte. Er bricht daher
durch ſeine Uebertretung das rechtliche Verhältniſs
das zwiſchen ihm als Bürger und dem Staat als
Beſchützer aller Rechte iſt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0050" n="22"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#i">I. Buch. II. Theil. I. Titel I. Ab&#x017F;chnitt.</hi></fw><lb/>
des <hi rendition="#i">Verbrechens</hi> wird er&#x017F;t möglich <hi rendition="#i">im</hi> Staat, wo<lb/>
der Bürger, durch eine einem Strafge&#x017F;etz un-<lb/>
terworfene Rechtsverletzung, den Wech&#x017F;el-<lb/>
vertrag zwi&#x017F;chen ihm und dem Staate bricht <note place="foot" n="*)">Denn die Strafe i&#x017F;t nothwendige Folge des übertre-<lb/>
tenen Strafge&#x017F;etzes. Wer daher ein Strafge&#x017F;etz<lb/>
übertritt, kommt in Beziehung auf die <hi rendition="#i">verwirkte<lb/>
Strafe</hi> aus dem Schutze des Staats, in wie ferne er<lb/>
die Rechte verliert, deren Verlu&#x017F;t eine nothwendi-<lb/>
ge Folge des vom Ge&#x017F;etz gedrohten und zuzufügen-<lb/>
den Uebels i&#x017F;t. Der Staat &#x017F;oll ihm alle Rechte<lb/>
&#x017F;chützen; er übertritt das Ge&#x017F;etz &#x2014; und nun ent-<lb/>
zieht ihm der Staat die&#x017F;e Rechte. Er bricht daher<lb/>
durch &#x017F;eine Uebertretung das rechtliche Verhältni&#x017F;s<lb/>
das zwi&#x017F;chen ihm als Bürger und dem Staat als<lb/>
Be&#x017F;chützer aller Rechte i&#x017F;t.</note>.<lb/>
Im weite&#x017F;ten Sinne, (wo Verbrechen und Ver-<lb/>
gehen, crimen und delictum gleichbedeutend<lb/>
find) bezeichnet daher <hi rendition="#i">Verbrechen eine durch</hi> ein<lb/><hi rendition="#i">Strafge&#x017F;etz bedrohte, dem vollkommenen Recht<lb/>
wider&#x017F;prechende, Handlung</hi>. Ein jedes Straf-<lb/>
ge&#x017F;etz aber &#x017F;etzt nothwendig einen Oberherrn,<lb/>
mithin Staat voraus.</p><lb/>
                  <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#i">Immoralität &#x2014; Sünde &#x2014; La&#x017F;ter</hi>.</hi> </p>
                </div><lb/>
                <div n="6">
                  <head>§. 27.</head><lb/>
                  <p><hi rendition="#i">Verbrechen im weite&#x017F;ten</hi> Sinne zerfällt I. in<lb/>
das <hi rendition="#i">Verbrechen im engern Ver&#x017F;tande</hi> (crimen,<lb/>
Verbrechen &#x03BA;&#x03C7;&#x03C4;&#x0315; &#x03B5;&#x03BE;&#x03BF;&#x03C7;&#x03B7;&#x03BD;) II. in das <hi rendition="#i">Vergehen</hi><lb/>
(Polizeyverbrechen, delictum). Durch die&#x017F;es<lb/>
werden vollkommne, aber er&#x017F;t durch <hi rendition="#i">Polizey-<lb/>
ge&#x017F;etze</hi> begründete Verbindlichkeiten gegen<lb/>
den Staat verletzt; durch jenes hingegen die<lb/><hi rendition="#i">unmittelbar durch den Gefell&#x017F;chaftvertrag</hi> be-<lb/>
gründeten Verbindlichkeiten des Bürgers.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Durch</fw><lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0050] I. Buch. II. Theil. I. Titel I. Abſchnitt. des Verbrechens wird erſt möglich im Staat, wo der Bürger, durch eine einem Strafgeſetz un- terworfene Rechtsverletzung, den Wechſel- vertrag zwiſchen ihm und dem Staate bricht *). Im weiteſten Sinne, (wo Verbrechen und Ver- gehen, crimen und delictum gleichbedeutend find) bezeichnet daher Verbrechen eine durch ein Strafgeſetz bedrohte, dem vollkommenen Recht widerſprechende, Handlung. Ein jedes Straf- geſetz aber ſetzt nothwendig einen Oberherrn, mithin Staat voraus. Immoralität — Sünde — Laſter. §. 27. Verbrechen im weiteſten Sinne zerfällt I. in das Verbrechen im engern Verſtande (crimen, Verbrechen κχτ̕ εξοχην) II. in das Vergehen (Polizeyverbrechen, delictum). Durch dieſes werden vollkommne, aber erſt durch Polizey- geſetze begründete Verbindlichkeiten gegen den Staat verletzt; durch jenes hingegen die unmittelbar durch den Gefellſchaftvertrag be- gründeten Verbindlichkeiten des Bürgers. Durch *) Denn die Strafe iſt nothwendige Folge des übertre- tenen Strafgeſetzes. Wer daher ein Strafgeſetz übertritt, kommt in Beziehung auf die verwirkte Strafe aus dem Schutze des Staats, in wie ferne er die Rechte verliert, deren Verluſt eine nothwendi- ge Folge des vom Geſetz gedrohten und zuzufügen- den Uebels iſt. Der Staat ſoll ihm alle Rechte ſchützen; er übertritt das Geſetz — und nun ent- zieht ihm der Staat dieſe Rechte. Er bricht daher durch ſeine Uebertretung das rechtliche Verhältniſs das zwiſchen ihm als Bürger und dem Staat als Beſchützer aller Rechte iſt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_recht_1801
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_recht_1801/50
Zitationshilfe: Feuerbach, Paul Johann Anselm von: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts. Giessen, 1801, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_recht_1801/50>, abgerufen am 23.11.2024.