Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Feuerbach, Paul Johann Anselm von: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts. Giessen, 1801.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Buch. II. Theil. I. Titel. II. Abschnitt.
Menschen begangen werden, der einer höhern
gesetzgebenden und richtenden Gewalt unter-
worfen ist. Auf eine oberherrliche Person,
die in keiner Rücksicht als Unterthan einer
höhern Staatsgewalt unterworfen ist (Souverain
im eigentlichen Sinne), kann der Begriff eines
Verbrechens nicht angewendet werden. Denn
1) ihren eignen Criminalgesetzen ist sie nicht
unterworfen, weil kein Regent seinen eignen
Gesetzen unterworfen ist *); 2) wenn sie den
Staat oder das ihr unterworfene Volk beleidigt,
so können ihr zwar, unter gewissen Voraus-
setzungen, die Bürger auf den Fall der Wie-
derholung zur Sicherung ihrer vollkommnen
Rechte gegen den Oberherrn Uebel drohen;
aber nicht in der Form eines Gesetzes, weil
dieses die gesetzgebende Gewalt voraussetzt,
die nur dem Oberherrn selbst übertragen ist **).
Eine souveraine oberherrliche Person begeht
nur Beleidigungen und Läsionen, aber kein
Verbrechen.

Ueber diese allgemeine Frage: Chr. Fr. Ge. Meister
de jure quod in delictis personarum illustrium obtinet.
Goett. 1748. Beleidigung und Verbrechen, Strafe
und blosse Vertheidigung sind aber hier durchaus
vermengt, daher diese Schrift nirgends befriedigt.

§. 33.

In Deutschland ist daher der Kaiser keines
Verbrechens fähig. Verbrechen können nur

began-
*) Dagegen Schnaubert Diss. de principe legibus suis
obligato
. Jen. 1793. Deutsch mit Anmerk. von Hage-
meister
.
**) Feuerbach Anti-Hobbes, 1 Bd. Erf. 1798.

I. Buch. II. Theil. I. Titel. II. Abſchnitt.
Menſchen begangen werden, der einer höhern
geſetzgebenden und richtenden Gewalt unter-
worfen iſt. Auf eine oberherrliche Perſon,
die in keiner Rückſicht als Unterthan einer
höhern Staatsgewalt unterworfen iſt (Souverain
im eigentlichen Sinne), kann der Begriff eines
Verbrechens nicht angewendet werden. Denn
1) ihren eignen Criminalgeſetzen iſt ſie nicht
unterworfen, weil kein Regent ſeinen eignen
Geſetzen unterworfen iſt *); 2) wenn ſie den
Staat oder das ihr unterworfene Volk beleidigt,
ſo können ihr zwar, unter gewiſſen Voraus-
ſetzungen, die Bürger auf den Fall der Wie-
derholung zur Sicherung ihrer vollkommnen
Rechte gegen den Oberherrn Uebel drohen;
aber nicht in der Form eines Geſetzes, weil
dieſes die geſetzgebende Gewalt vorausſetzt,
die nur dem Oberherrn ſelbſt übertragen iſt **).
Eine ſouveraine oberherrliche Perſon begeht
nur Beleidigungen und Läſionen, aber kein
Verbrechen.

Ueber dieſe allgemeine Frage: Chr. Fr. Ge. Meiſter
de jure quod in delictis perſonarum illuſtrium obtinet.
Goett. 1748. Beleidigung und Verbrechen, Strafe
und bloſse Vertheidigung ſind aber hier durchaus
vermengt, daher dieſe Schrift nirgends befriedigt.

§. 33.

In Deutſchland iſt daher der Kaiſer keines
Verbrechens fähig. Verbrechen können nur

began-
*) Dagegen Schnaubert Diſſ. de principe legibus ſuis
obligato
. Jen. 1793. Deutſch mit Anmerk. von Hage-
meiſter
.
**) Feuerbach Anti-Hobbes, 1 Bd. Erf. 1798.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0054" n="26"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#i">I. Buch. II. Theil. I. Titel. II. Ab&#x017F;chnitt.</hi></fw><lb/>
Men&#x017F;chen begangen werden, der einer höhern<lb/>
ge&#x017F;etzgebenden und richtenden Gewalt unter-<lb/>
worfen i&#x017F;t. Auf eine oberherrliche Per&#x017F;on,<lb/>
die in keiner Rück&#x017F;icht als Unterthan einer<lb/>
höhern Staatsgewalt unterworfen i&#x017F;t (<hi rendition="#i">Souverain</hi><lb/>
im eigentlichen <hi rendition="#i">Sinne</hi>), kann der Begriff eines<lb/>
Verbrechens nicht angewendet werden. Denn<lb/>
1) ihren eignen Criminalge&#x017F;etzen i&#x017F;t &#x017F;ie nicht<lb/>
unterworfen, weil kein Regent &#x017F;einen eignen<lb/>
Ge&#x017F;etzen unterworfen i&#x017F;t <note place="foot" n="*)">Dagegen <hi rendition="#g">Schnaubert</hi> D<hi rendition="#i">i&#x017F;&#x017F;. de principe legibus &#x017F;uis<lb/>
obligato</hi>. Jen. 1793. Deut&#x017F;ch mit Anmerk. von <hi rendition="#i">Hage-<lb/>
mei&#x017F;ter</hi>.</note>; 2) wenn &#x017F;ie den<lb/>
Staat oder das ihr unterworfene Volk beleidigt,<lb/>
&#x017F;o können ihr zwar, unter gewi&#x017F;&#x017F;en Voraus-<lb/>
&#x017F;etzungen, die Bürger auf den Fall der Wie-<lb/>
derholung zur Sicherung ihrer vollkommnen<lb/>
Rechte gegen den Oberherrn Uebel drohen;<lb/>
aber nicht in der Form eines Ge&#x017F;etzes, weil<lb/>
die&#x017F;es die ge&#x017F;etzgebende Gewalt voraus&#x017F;etzt,<lb/>
die nur dem Oberherrn &#x017F;elb&#x017F;t übertragen i&#x017F;t <note place="foot" n="**)"><hi rendition="#g">Feuerbach</hi><hi rendition="#i">Anti-Hobbes</hi>, 1 Bd. Erf. 1798.</note>.<lb/>
Eine &#x017F;ouveraine oberherrliche Per&#x017F;on begeht<lb/>
nur <hi rendition="#i">Beleidigungen</hi> und <hi rendition="#i">&#x017F;ionen</hi>, aber kein<lb/><hi rendition="#i">Verbrechen</hi>.</p><lb/>
                  <p> <hi rendition="#et">Ueber die&#x017F;e allgemeine Frage: <hi rendition="#g">Chr. Fr. Ge. Mei&#x017F;ter</hi><lb/><hi rendition="#i">de jure quod in delictis per&#x017F;onarum illu&#x017F;trium obtinet</hi>.<lb/>
Goett. 1748. Beleidigung und Verbrechen, Strafe<lb/>
und blo&#x017F;se Vertheidigung &#x017F;ind aber hier durchaus<lb/>
vermengt, daher die&#x017F;e Schrift nirgends befriedigt.</hi> </p>
                </div><lb/>
                <div n="6">
                  <head>§. 33.</head><lb/>
                  <p>In Deut&#x017F;chland i&#x017F;t daher der <hi rendition="#i">Kai&#x017F;er</hi> keines<lb/>
Verbrechens fähig. Verbrechen können nur<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">began-</fw><lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[26/0054] I. Buch. II. Theil. I. Titel. II. Abſchnitt. Menſchen begangen werden, der einer höhern geſetzgebenden und richtenden Gewalt unter- worfen iſt. Auf eine oberherrliche Perſon, die in keiner Rückſicht als Unterthan einer höhern Staatsgewalt unterworfen iſt (Souverain im eigentlichen Sinne), kann der Begriff eines Verbrechens nicht angewendet werden. Denn 1) ihren eignen Criminalgeſetzen iſt ſie nicht unterworfen, weil kein Regent ſeinen eignen Geſetzen unterworfen iſt *); 2) wenn ſie den Staat oder das ihr unterworfene Volk beleidigt, ſo können ihr zwar, unter gewiſſen Voraus- ſetzungen, die Bürger auf den Fall der Wie- derholung zur Sicherung ihrer vollkommnen Rechte gegen den Oberherrn Uebel drohen; aber nicht in der Form eines Geſetzes, weil dieſes die geſetzgebende Gewalt vorausſetzt, die nur dem Oberherrn ſelbſt übertragen iſt **). Eine ſouveraine oberherrliche Perſon begeht nur Beleidigungen und Läſionen, aber kein Verbrechen. Ueber dieſe allgemeine Frage: Chr. Fr. Ge. Meiſter de jure quod in delictis perſonarum illuſtrium obtinet. Goett. 1748. Beleidigung und Verbrechen, Strafe und bloſse Vertheidigung ſind aber hier durchaus vermengt, daher dieſe Schrift nirgends befriedigt. §. 33. In Deutſchland iſt daher der Kaiſer keines Verbrechens fähig. Verbrechen können nur began- *) Dagegen Schnaubert Diſſ. de principe legibus ſuis obligato. Jen. 1793. Deutſch mit Anmerk. von Hage- meiſter. **) Feuerbach Anti-Hobbes, 1 Bd. Erf. 1798.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_recht_1801
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_recht_1801/54
Zitationshilfe: Feuerbach, Paul Johann Anselm von: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts. Giessen, 1801, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_recht_1801/54>, abgerufen am 23.11.2024.