Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Feuerbach, Paul Johann Anselm von: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts. Giessen, 1801.

Bild:
<< vorherige Seite

V. d. verschied. mögl. Arten e. Strafg. z. übert.
erhalten wollte, und ihrer Verbindlichkeit ge-
mäss, sie zu erhalten, ihre Kräfte aufgeboten hat.
Der unterlassene Gebrauch des Erkenntnissver-
mögens kann bestehen 1) in der unterlassenen
Erwerbung der Erkenntniss des Gesetzes, wel-
chem die äussere Handlung widerspricht -- Cul-
pa durch Unwissenheit des Gesetzes
*), 2) in der
unterlassenen Reflexion über die Handlung,
um sie unter das Strafgesetz zu subsumiren --
Culpa durch Uebereilung **) 3) in der unter-
lassenen Reflexion über den möglichen Causal-
zusammenhang einer äussern Handlung mit
einer daraus entstandenen Rechtsverletzung. --
Culpa durch Unbedachtsamkeit ***) II. Aeussere
Handlungen
-- Culpa aus Fahrlässigkeit; diese

besteht
*) z. E. wenn jemand die Sodomie kennt, aber nicht
weiss, dass sie verboten ist und er in dieser Unwis-
senheit die That begeht. Die unterlassene Erwerbung
der Erkenntniss des Gesetzes bringt ohne seine Ab-
sicht die Uebertretung hervor.
**) z. E. jemand kennt das Gesetz gegen die Sodomie,
er weiss aber nicht, dass die Handlung, welche er
vornimmt, die verbotene Handlung sey, und die-
ses Nichtwissen hat in pflichtwidriger Unterlassung
der gehörigen Reflexion über die Handlung ihren
Grund. Diese Reflexion hätte ihn gelehrt, dass
seine Handlung die im Gesetz verbotene sey. Die-
ses Unterlassen hat ohne seine Absicht die Ueber-
tretung begründet.
***) z. E. Ein Mensch schiesst auf Gerathewohl, ohne
daran zu denken, dass er einen Menschen töden
könne. Er tödet ihn. Sein Verschulden liegt hier
eigentlich nicht darin, dass er geschossen; sondern
darin, dass er, indem er nicht gehörig auf seine Hand-
lung und ihren möglichen Erfolg reflectirte
, die Ver-
bindlichkeit zum gehörigen Fleiss übertreten hat.
D

V. d. verſchied. mögl. Arten e. Strafg. z. übert.
erhalten wollte, und ihrer Verbindlichkeit ge-
mäſs, ſie zu erhalten, ihre Kräfte aufgeboten hat.
Der unterlaſſene Gebrauch des Erkenntniſsver-
mögens kann beſtehen 1) in der unterlaſſenen
Erwerbung der Erkenntniſs des Geſetzes, wel-
chem die äuſſere Handlung widerſpricht — Cul-
pa durch Unwiſſenheit des Geſetzes
*), 2) in der
unterlaſſenen Reflexion über die Handlung,
um ſie unter das Strafgeſetz zu ſubſumiren —
Culpa durch Uebereilung **) 3) in der unter-
laſſenen Reflexion über den möglichen Cauſal-
zuſammenhang einer äuſſern Handlung mit
einer daraus entſtandenen Rechtsverletzung. ‒‒
Culpa durch Unbedachtſamkeit ***) II. Aeuſſere
Handlungen
— Culpa aus Fahrläſſigkeit; dieſe

beſteht
*) z. E. wenn jemand die Sodomie kennt, aber nicht
weiſs, daſs ſie verboten iſt und er in dieſer Unwiſ-
ſenheit die That begeht. Die unterlaſſene Erwerbung
der Erkenntniſs des Geſetzes bringt ohne ſeine Ab-
ſicht die Uebertretung hervor.
**) z. E. jemand kennt das Geſetz gegen die Sodomie,
er weiſs aber nicht, daſs die Handlung, welche er
vornimmt, die verbotene Handlung ſey, und die-
ſes Nichtwiſſen hat in pflichtwidriger Unterlaſſung
der gehörigen Reflexion über die Handlung ihren
Grund. Dieſe Reflexion hätte ihn gelehrt, daſs
ſeine Handlung die im Geſetz verbotene ſey. Die-
ſes Unterlaſſen hat ohne ſeine Abſicht die Ueber-
tretung begründet.
***) z. E. Ein Menſch ſchieſst auf Gerathewohl, ohne
daran zu denken, daſs er einen Menſchen töden
könne. Er tödet ihn. Sein Verſchulden liegt hier
eigentlich nicht darin, daſs er geſchoſsen; ſondern
darin, daſs er, indem er nicht gehörig auf ſeine Hand-
lung und ihren möglichen Erfolg reflectirte
, die Ver-
bindlichkeit zum gehörigen Fleiſs übertreten hat.
D
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <p><pb facs="#f0077" n="49"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#i">V. d. ver&#x017F;chied. mögl. Arten e. Strafg. z. übert.</hi></fw><lb/>
erhalten wollte, und ihrer Verbindlichkeit ge-<lb/>&#x017F;s, &#x017F;ie zu erhalten, ihre Kräfte aufgeboten hat.<lb/>
Der unterla&#x017F;&#x017F;ene Gebrauch des Erkenntni&#x017F;sver-<lb/>
mögens kann be&#x017F;tehen 1) in der unterla&#x017F;&#x017F;enen<lb/>
Erwerbung der Erkenntni&#x017F;s des <hi rendition="#i">Ge&#x017F;etzes</hi>, wel-<lb/>
chem die äu&#x017F;&#x017F;ere Handlung wider&#x017F;pricht &#x2014; <hi rendition="#i">Cul-<lb/>
pa durch Unwi&#x017F;&#x017F;enheit des Ge&#x017F;etzes</hi> <note place="foot" n="*)">z. E. wenn jemand die Sodomie kennt, aber nicht<lb/>
wei&#x017F;s, da&#x017F;s &#x017F;ie verboten i&#x017F;t und er in die&#x017F;er Unwi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;enheit die That begeht. Die unterla&#x017F;&#x017F;ene Erwerbung<lb/>
der Erkenntni&#x017F;s des Ge&#x017F;etzes bringt ohne &#x017F;eine Ab-<lb/>
&#x017F;icht die Uebertretung hervor.</note>, 2) in der<lb/>
unterla&#x017F;&#x017F;enen Reflexion über die Handlung,<lb/>
um &#x017F;ie unter das Strafge&#x017F;etz zu &#x017F;ub&#x017F;umiren &#x2014;<lb/><hi rendition="#i">Culpa</hi> durch <hi rendition="#i">Uebereilung</hi> <note place="foot" n="**)">z. E. jemand kennt das Ge&#x017F;etz gegen die Sodomie,<lb/>
er wei&#x017F;s aber nicht, da&#x017F;s die Handlung, welche er<lb/>
vornimmt, die verbotene Handlung &#x017F;ey, und die-<lb/>
&#x017F;es Nichtwi&#x017F;&#x017F;en hat in pflichtwidriger Unterla&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
der gehörigen Reflexion über die Handlung ihren<lb/>
Grund. Die&#x017F;e Reflexion hätte ihn gelehrt, da&#x017F;s<lb/>
&#x017F;eine Handlung die im Ge&#x017F;etz verbotene &#x017F;ey. Die-<lb/>
&#x017F;es Unterla&#x017F;&#x017F;en hat ohne &#x017F;eine Ab&#x017F;icht die Ueber-<lb/>
tretung begründet.</note> 3) in der unter-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;enen Reflexion über den möglichen Cau&#x017F;al-<lb/>
zu&#x017F;ammenhang einer <hi rendition="#i">äu&#x017F;&#x017F;ern</hi> Handlung mit<lb/>
einer daraus ent&#x017F;tandenen Rechtsverletzung. &#x2012;&#x2012;<lb/><hi rendition="#i">Culpa</hi> durch <hi rendition="#i">Unbedacht&#x017F;amkeit</hi> <note place="foot" n="***)">z. E. Ein Men&#x017F;ch &#x017F;chie&#x017F;st auf Gerathewohl, ohne<lb/>
daran zu denken, da&#x017F;s er einen Men&#x017F;chen töden<lb/>
könne. Er tödet ihn. Sein Ver&#x017F;chulden liegt hier<lb/>
eigentlich nicht darin, da&#x017F;s er <hi rendition="#i">ge&#x017F;cho&#x017F;sen</hi>; &#x017F;ondern<lb/>
darin, <hi rendition="#i">da&#x017F;s</hi> er, <hi rendition="#i">indem er nicht gehörig auf &#x017F;eine Hand-<lb/>
lung und ihren möglichen Erfolg reflectirte</hi>, die Ver-<lb/>
bindlichkeit zum gehörigen Flei&#x017F;s übertreten hat.</note> II. <hi rendition="#i">Aeu&#x017F;&#x017F;ere<lb/>
Handlungen</hi> &#x2014; Culpa aus <hi rendition="#i">Fahrlä&#x017F;&#x017F;igkeit</hi>; die&#x017F;e<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">be&#x017F;teht</fw><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D</fw><lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[49/0077] V. d. verſchied. mögl. Arten e. Strafg. z. übert. erhalten wollte, und ihrer Verbindlichkeit ge- mäſs, ſie zu erhalten, ihre Kräfte aufgeboten hat. Der unterlaſſene Gebrauch des Erkenntniſsver- mögens kann beſtehen 1) in der unterlaſſenen Erwerbung der Erkenntniſs des Geſetzes, wel- chem die äuſſere Handlung widerſpricht — Cul- pa durch Unwiſſenheit des Geſetzes *), 2) in der unterlaſſenen Reflexion über die Handlung, um ſie unter das Strafgeſetz zu ſubſumiren — Culpa durch Uebereilung **) 3) in der unter- laſſenen Reflexion über den möglichen Cauſal- zuſammenhang einer äuſſern Handlung mit einer daraus entſtandenen Rechtsverletzung. ‒‒ Culpa durch Unbedachtſamkeit ***) II. Aeuſſere Handlungen — Culpa aus Fahrläſſigkeit; dieſe beſteht *) z. E. wenn jemand die Sodomie kennt, aber nicht weiſs, daſs ſie verboten iſt und er in dieſer Unwiſ- ſenheit die That begeht. Die unterlaſſene Erwerbung der Erkenntniſs des Geſetzes bringt ohne ſeine Ab- ſicht die Uebertretung hervor. **) z. E. jemand kennt das Geſetz gegen die Sodomie, er weiſs aber nicht, daſs die Handlung, welche er vornimmt, die verbotene Handlung ſey, und die- ſes Nichtwiſſen hat in pflichtwidriger Unterlaſſung der gehörigen Reflexion über die Handlung ihren Grund. Dieſe Reflexion hätte ihn gelehrt, daſs ſeine Handlung die im Geſetz verbotene ſey. Die- ſes Unterlaſſen hat ohne ſeine Abſicht die Ueber- tretung begründet. ***) z. E. Ein Menſch ſchieſst auf Gerathewohl, ohne daran zu denken, daſs er einen Menſchen töden könne. Er tödet ihn. Sein Verſchulden liegt hier eigentlich nicht darin, daſs er geſchoſsen; ſondern darin, daſs er, indem er nicht gehörig auf ſeine Hand- lung und ihren möglichen Erfolg reflectirte, die Ver- bindlichkeit zum gehörigen Fleiſs übertreten hat. D

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_recht_1801
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_recht_1801/77
Zitationshilfe: Feuerbach, Paul Johann Anselm von: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts. Giessen, 1801, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_recht_1801/77>, abgerufen am 23.11.2024.