sophie, indem diese Philosophie ihr Wesen treibet in einem Kreise, der für jene noch gar nicht aufgegangen, und für Sinnenwerk¬ zeuge, die jener noch nicht erwachsen sind. Sie ist gar nicht zu Hause in diesem Zeit¬ alter, sondern sie ist ein Vorgriff der Zeit, und ein schon im Voraus fertiges Lebens- Ele¬ ment eines Geschlechts, das in demselben erst zum Lichte erwachen soll. Auf das ge¬ gegenwärtige Geschlecht muß sie Verzicht thun, damit sie aber bis dahin nicht müßig sey, so übernehme sie dermalen die Aufgabe, das Geschlecht, zu welchem sie gehört, sich zu bil¬ den. Erst wie dies ihr nächstes Geschäft ihr klar geworden, wird sie friedlich und freund¬ lich zusammen leben können mit einem Ge¬ schlechte, das übrigens ihr nicht gefällt. Die Erziehung, die wir bisher beschrieben haben, ist zugleich die Erziehung für sie; wiederum kann in einem gewissen Sinn nur sie die Er¬ zieherin seyn in dieser Erziehung; und so mußte sie ihrer Verständlichkeit und Annehmbarkeit zuvoreilen. Aber es wird die Zeit kommen, in der sie verstanden und mit Freuden ange¬
ſophie, indem dieſe Philoſophie ihr Weſen treibet in einem Kreiſe, der fuͤr jene noch gar nicht aufgegangen, und fuͤr Sinnenwerk¬ zeuge, die jener noch nicht erwachſen ſind. Sie iſt gar nicht zu Hauſe in dieſem Zeit¬ alter, ſondern ſie iſt ein Vorgriff der Zeit, und ein ſchon im Voraus fertiges Lebens- Ele¬ ment eines Geſchlechts, das in demſelben erſt zum Lichte erwachen ſoll. Auf das ge¬ gegenwaͤrtige Geſchlecht muß ſie Verzicht thun, damit ſie aber bis dahin nicht muͤßig ſey, ſo uͤbernehme ſie dermalen die Aufgabe, das Geſchlecht, zu welchem ſie gehoͤrt, ſich zu bil¬ den. Erſt wie dies ihr naͤchſtes Geſchaͤft ihr klar geworden, wird ſie friedlich und freund¬ lich zuſammen leben koͤnnen mit einem Ge¬ ſchlechte, das uͤbrigens ihr nicht gefaͤllt. Die Erziehung, die wir bisher beſchrieben haben, iſt zugleich die Erziehung fuͤr ſie; wiederum kann in einem gewiſſen Sinn nur ſie die Er¬ zieherin ſeyn in dieſer Erziehung; und ſo mußte ſie ihrer Verſtaͤndlichkeit und Annehmbarkeit zuvoreilen. Aber es wird die Zeit kommen, in der ſie verſtanden und mit Freuden ange¬
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[109/0115]
ſophie, indem dieſe Philoſophie ihr Weſen
treibet in einem Kreiſe, der fuͤr jene noch
gar nicht aufgegangen, und fuͤr Sinnenwerk¬
zeuge, die jener noch nicht erwachſen ſind.
Sie iſt gar nicht zu Hauſe in dieſem Zeit¬
alter, ſondern ſie iſt ein Vorgriff der Zeit,
und ein ſchon im Voraus fertiges Lebens- Ele¬
ment eines Geſchlechts, das in demſelben
erſt zum Lichte erwachen ſoll. Auf das ge¬
gegenwaͤrtige Geſchlecht muß ſie Verzicht thun,
damit ſie aber bis dahin nicht muͤßig ſey,
ſo uͤbernehme ſie dermalen die Aufgabe, das
Geſchlecht, zu welchem ſie gehoͤrt, ſich zu bil¬
den. Erſt wie dies ihr naͤchſtes Geſchaͤft ihr
klar geworden, wird ſie friedlich und freund¬
lich zuſammen leben koͤnnen mit einem Ge¬
ſchlechte, das uͤbrigens ihr nicht gefaͤllt. Die
Erziehung, die wir bisher beſchrieben haben,
iſt zugleich die Erziehung fuͤr ſie; wiederum
kann in einem gewiſſen Sinn nur ſie die Er¬
zieherin ſeyn in dieſer Erziehung; und ſo mußte
ſie ihrer Verſtaͤndlichkeit und Annehmbarkeit
zuvoreilen. Aber es wird die Zeit kommen,
in der ſie verſtanden und mit Freuden ange¬
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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/115>, abgerufen am 21.11.2024.
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