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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

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Nachdem dieser Punkt erreicht ist, kann das
Volk nicht mehr, denn entweder seine gelun¬
gensten Meisterstücke verändert wiederholen,
also, daß sie aussähen, als ob sie etwas neues
seyen, da sie doch nur das wohlbekannte alte
sind; oder, wenn sie durchaus neu seyn wol¬
len, zum unpassenden und unschicklichen ihre
Zuflucht nehmen, und eben so in der Dichtkunst
das Häßliche mit dem Schönen zusammenmi¬
schen, und sich auf die Karrikatur, und das
Humoristische legen, wie sie in der Prosa genö¬
thigt sind, die Begriffe zu verwirren, und La¬
ster und Tugend mit einander zu vermengen,
wenn sie in neuen Weisen reden wollen.

Indem auf diese Weise in einem Volke gei¬
stige Bildung und Leben jedes für sich seinen
besondern Gang fortgehen, so erfolgt von selbst,
daß die Stände, die zu der ersten keinen Zu¬
gang haben; und an die auch nicht einmal,
wie in einem lebendigen Volke, die Folgen die¬
ser Bildung kommen sollen, gegen die gebil¬
deten Stände zurückgesetzt, und gleichsam für
eine andere Menschenart gehalten werden, die
an Geisteskräften ursprünglich, und durch die
bloße Geburt den ersten nicht gleich seyen; daß

Nachdem dieſer Punkt erreicht iſt, kann das
Volk nicht mehr, denn entweder ſeine gelun¬
genſten Meiſterſtuͤcke veraͤndert wiederholen,
alſo, daß ſie ausſaͤhen, als ob ſie etwas neues
ſeyen, da ſie doch nur das wohlbekannte alte
ſind; oder, wenn ſie durchaus neu ſeyn wol¬
len, zum unpaſſenden und unſchicklichen ihre
Zuflucht nehmen, und eben ſo in der Dichtkunſt
das Haͤßliche mit dem Schoͤnen zuſammenmi¬
ſchen, und ſich auf die Karrikatur, und das
Humoriſtiſche legen, wie ſie in der Proſa genoͤ¬
thigt ſind, die Begriffe zu verwirren, und La¬
ſter und Tugend mit einander zu vermengen,
wenn ſie in neuen Weiſen reden wollen.

Indem auf dieſe Weiſe in einem Volke gei¬
ſtige Bildung und Leben jedes fuͤr ſich ſeinen
beſondern Gang fortgehen, ſo erfolgt von ſelbſt,
daß die Staͤnde, die zu der erſten keinen Zu¬
gang haben; und an die auch nicht einmal,
wie in einem lebendigen Volke, die Folgen die¬
ſer Bildung kommen ſollen, gegen die gebil¬
deten Staͤnde zuruͤckgeſetzt, und gleichſam fuͤr
eine andere Menſchenart gehalten werden, die
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[159/0165] Nachdem dieſer Punkt erreicht iſt, kann das Volk nicht mehr, denn entweder ſeine gelun¬ genſten Meiſterſtuͤcke veraͤndert wiederholen, alſo, daß ſie ausſaͤhen, als ob ſie etwas neues ſeyen, da ſie doch nur das wohlbekannte alte ſind; oder, wenn ſie durchaus neu ſeyn wol¬ len, zum unpaſſenden und unſchicklichen ihre Zuflucht nehmen, und eben ſo in der Dichtkunſt das Haͤßliche mit dem Schoͤnen zuſammenmi¬ ſchen, und ſich auf die Karrikatur, und das Humoriſtiſche legen, wie ſie in der Proſa genoͤ¬ thigt ſind, die Begriffe zu verwirren, und La¬ ſter und Tugend mit einander zu vermengen, wenn ſie in neuen Weiſen reden wollen. Indem auf dieſe Weiſe in einem Volke gei¬ ſtige Bildung und Leben jedes fuͤr ſich ſeinen beſondern Gang fortgehen, ſo erfolgt von ſelbſt, daß die Staͤnde, die zu der erſten keinen Zu¬ gang haben; und an die auch nicht einmal, wie in einem lebendigen Volke, die Folgen die¬ ſer Bildung kommen ſollen, gegen die gebil¬ deten Staͤnde zuruͤckgeſetzt, und gleichſam fuͤr eine andere Menſchenart gehalten werden, die an Geiſteskraͤften urſpruͤnglich, und durch die bloße Geburt den erſten nicht gleich ſeyen; daß

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Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/165>, abgerufen am 21.11.2024.