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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

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den Germaniern dieselbe gläubige Treuherzig¬
keit, die erst sie selbst den Griechen gezeigt hat¬
ten. Die Germanier glaubten der Barbarei
nicht anders los werden zu können, als wenn
sie Römer würden. Die auf ehemaligem römi¬
schen Boden Eingewanderten wurden es nach
allem ihren Vermögen. In ihrer Einbildungs¬
kraft bekam aber barbarisch gar bald die Ne¬
benbedeutung gemein, pöbelhaft, tölpisch, und
so ward das Römische im Gegentheil gleichgel¬
tend mit vornehm. Bis in das allgemeine und
besondere ihrer Sprachen geht dieses hinein, in¬
dem, wo Anstalten zur besonnenen und bewu߬
ten Bildung der Sprache getroffen wurden,
diese darauf gingen, die germanischen Wur¬
zeln auszuwerfen, und aus römischen Wurzeln
die Wörter zu bilden, und so die Romance,
als die Hof- und gebildete Sprache zu erzeu¬
gen; im besondern aber, indem fast ohne Aus¬
nahme bei gleicher Bedeutung zweier Worte
das aus germanischer Wurzel das unedle und
schlechte, das aus römischer Wurzel aber das
edlere und vornehmere bedeutet.

Dieses, gleich als ob es eine Grundseuche
des ganzen germanischen Stammes wäre, fällt

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den Germaniern dieſelbe glaͤubige Treuherzig¬
keit, die erſt ſie ſelbſt den Griechen gezeigt hat¬
ten. Die Germanier glaubten der Barbarei
nicht anders los werden zu koͤnnen, als wenn
ſie Roͤmer wuͤrden. Die auf ehemaligem roͤmi¬
ſchen Boden Eingewanderten wurden es nach
allem ihren Vermoͤgen. In ihrer Einbildungs¬
kraft bekam aber barbariſch gar bald die Ne¬
benbedeutung gemein, poͤbelhaft, toͤlpiſch, und
ſo ward das Roͤmiſche im Gegentheil gleichgel¬
tend mit vornehm. Bis in das allgemeine und
beſondere ihrer Sprachen geht dieſes hinein, in¬
dem, wo Anſtalten zur beſonnenen und bewu߬
ten Bildung der Sprache getroffen wurden,
dieſe darauf gingen, die germaniſchen Wur¬
zeln auszuwerfen, und aus roͤmiſchen Wurzeln
die Woͤrter zu bilden, und ſo die Romance,
als die Hof- und gebildete Sprache zu erzeu¬
gen; im beſondern aber, indem faſt ohne Aus¬
nahme bei gleicher Bedeutung zweier Worte
das aus germaniſcher Wurzel das unedle und
ſchlechte, das aus roͤmiſcher Wurzel aber das
edlere und vornehmere bedeutet.

Dieſes, gleich als ob es eine Grundſeuche
des ganzen germaniſchen Stammes waͤre, faͤllt

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[161/0167] den Germaniern dieſelbe glaͤubige Treuherzig¬ keit, die erſt ſie ſelbſt den Griechen gezeigt hat¬ ten. Die Germanier glaubten der Barbarei nicht anders los werden zu koͤnnen, als wenn ſie Roͤmer wuͤrden. Die auf ehemaligem roͤmi¬ ſchen Boden Eingewanderten wurden es nach allem ihren Vermoͤgen. In ihrer Einbildungs¬ kraft bekam aber barbariſch gar bald die Ne¬ benbedeutung gemein, poͤbelhaft, toͤlpiſch, und ſo ward das Roͤmiſche im Gegentheil gleichgel¬ tend mit vornehm. Bis in das allgemeine und beſondere ihrer Sprachen geht dieſes hinein, in¬ dem, wo Anſtalten zur beſonnenen und bewu߬ ten Bildung der Sprache getroffen wurden, dieſe darauf gingen, die germaniſchen Wur¬ zeln auszuwerfen, und aus roͤmiſchen Wurzeln die Woͤrter zu bilden, und ſo die Romance, als die Hof- und gebildete Sprache zu erzeu¬ gen; im beſondern aber, indem faſt ohne Aus¬ nahme bei gleicher Bedeutung zweier Worte das aus germaniſcher Wurzel das unedle und ſchlechte, das aus roͤmiſcher Wurzel aber das edlere und vornehmere bedeutet. Dieſes, gleich als ob es eine Grundſeuche des ganzen germaniſchen Stammes waͤre, faͤllt L

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Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/167>, abgerufen am 21.11.2024.