übergehen zu lassen, gegen dessen Andrang wohl gar geflissentlich Auge und Ohr zu ver¬ stopfen, sich dieser Gedankenlosigkeit wohl gar noch als großer Weisheit zu rühmen, mag an¬ ständig seyn einem Felsen, an den die Meeres¬ wellen schlagen, ohne daß er es fühlt, oder einem Baumstamme, den Stürme hin und her reissen, ohne daß er es bemerkt, keinesweges aber einem denkenden Wesen. -- Selbst das Schweben in höhern Kreisen des Denkens spricht nicht los von dieser allgemeinen Ver¬ bindlichkeit, seine Zeit zu verstehen. Alles höhere muß eingreifen wollen auf seine Weise in die unmittelbare Gegenwart, und wer wahr¬ haftig in jenem lebt, lebt zugleich auch in der leztern; lebte er nicht auch in dieser, so wäre dies der Beweis, daß er auch in jenem nicht lebte, sondern in ihm nur träumte. Jene Achtlosigkeit auf das, was unter unsern Au¬ gen vorgeht, und die künstliche Ableitung der allenfalls entstandenen Aufmerksamkeit auf an¬ dere Gegenstände, wäre das erwünschteste, was einem Feinde unsrer Selbstständigkeit begegnen könnte. Ist er sicher, daß wir uns bei keinem Dinge etwas denken, so kann er eben, wie
uͤbergehen zu laſſen, gegen deſſen Andrang wohl gar gefliſſentlich Auge und Ohr zu ver¬ ſtopfen, ſich dieſer Gedankenloſigkeit wohl gar noch als großer Weisheit zu ruͤhmen, mag an¬ ſtaͤndig ſeyn einem Felſen, an den die Meeres¬ wellen ſchlagen, ohne daß er es fuͤhlt, oder einem Baumſtamme, den Stuͤrme hin und her reiſſen, ohne daß er es bemerkt, keinesweges aber einem denkenden Weſen. — Selbſt das Schweben in hoͤhern Kreiſen des Denkens ſpricht nicht los von dieſer allgemeinen Ver¬ bindlichkeit, ſeine Zeit zu verſtehen. Alles hoͤhere muß eingreifen wollen auf ſeine Weiſe in die unmittelbare Gegenwart, und wer wahr¬ haftig in jenem lebt, lebt zugleich auch in der leztern; lebte er nicht auch in dieſer, ſo waͤre dies der Beweis, daß er auch in jenem nicht lebte, ſondern in ihm nur traͤumte. Jene Achtloſigkeit auf das, was unter unſern Au¬ gen vorgeht, und die kuͤnſtliche Ableitung der allenfalls entſtandenen Aufmerkſamkeit auf an¬ dere Gegenſtaͤnde, waͤre das erwuͤnſchteſte, was einem Feinde unſrer Selbſtſtaͤndigkeit begegnen koͤnnte. Iſt er ſicher, daß wir uns bei keinem Dinge etwas denken, ſo kann er eben, wie
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uͤbergehen zu laſſen, gegen deſſen Andrang
wohl gar gefliſſentlich Auge und Ohr zu ver¬
ſtopfen, ſich dieſer Gedankenloſigkeit wohl gar
noch als großer Weisheit zu ruͤhmen, mag an¬
ſtaͤndig ſeyn einem Felſen, an den die Meeres¬
wellen ſchlagen, ohne daß er es fuͤhlt, oder
einem Baumſtamme, den Stuͤrme hin und her
reiſſen, ohne daß er es bemerkt, keinesweges
aber einem denkenden Weſen. — Selbſt das
Schweben in hoͤhern Kreiſen des Denkens
ſpricht nicht los von dieſer allgemeinen Ver¬
bindlichkeit, ſeine Zeit zu verſtehen. Alles
hoͤhere muß eingreifen wollen auf ſeine Weiſe
in die unmittelbare Gegenwart, und wer wahr¬
haftig in jenem lebt, lebt zugleich auch in der
leztern; lebte er nicht auch in dieſer, ſo waͤre
dies der Beweis, daß er auch in jenem nicht
lebte, ſondern in ihm nur traͤumte. Jene
Achtloſigkeit auf das, was unter unſern Au¬
gen vorgeht, und die kuͤnſtliche Ableitung der
allenfalls entſtandenen Aufmerkſamkeit auf an¬
dere Gegenſtaͤnde, waͤre das erwuͤnſchteſte, was
einem Feinde unſrer Selbſtſtaͤndigkeit begegnen
koͤnnte. Iſt er ſicher, daß wir uns bei keinem
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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/389>, abgerufen am 24.11.2024.
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