Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

andern die Weise der Fortentwiklung der
neuern Weltgeschichte, die Schiksale der Völ¬
ker, und der größte Theil ihrer Begriffe und
Meinungen, begründet worden sind. Seit die¬
ser Begebenheit erst zertheilte sich das christ¬
liche Europa, das vorher, auch ohne sein eige¬
nes deutliches Bewußtseyn, Eins gewesen war,
und als solches in gemeinschaftlichen Unterneh¬
mungen sich gezeigt hatte, in mehrere abgeson¬
derte Theile; seit jener Begebenheit erst war
eine gemeinschaftliche Beute aufgestellt, nach
der jeder auf die gleiche Weise begehrte, weil
alle sie auf die gleiche Weise brauchen konnten,
und die jeder mit Eifersucht in den Händen
des andern erblikte; erst nun war ein Grund
vorhanden zu geheimer Feindschaft und Kriegs¬
lust Aller gegen Alle. Auch wurde es nun erst
zum Gewinne für Völker, Völker auch anderer
Abkunft und Sprachen durch Eroberung, oder,
wenn dies nicht möglich wäre, durch Bünd¬
nisse, sich einzuverleiben, und ihre Kräfte sich
zuzueignen. Ein der Natur treu gebliebnes
Volk kann, wenn seine Wohnsitze ihm zu enge
werden, dieselben durch Eroberung des benach¬

andern die Weiſe der Fortentwiklung der
neuern Weltgeſchichte, die Schikſale der Voͤl¬
ker, und der groͤßte Theil ihrer Begriffe und
Meinungen, begruͤndet worden ſind. Seit die¬
ſer Begebenheit erſt zertheilte ſich das chriſt¬
liche Europa, das vorher, auch ohne ſein eige¬
nes deutliches Bewußtſeyn, Eins geweſen war,
und als ſolches in gemeinſchaftlichen Unterneh¬
mungen ſich gezeigt hatte, in mehrere abgeſon¬
derte Theile; ſeit jener Begebenheit erſt war
eine gemeinſchaftliche Beute aufgeſtellt, nach
der jeder auf die gleiche Weiſe begehrte, weil
alle ſie auf die gleiche Weiſe brauchen konnten,
und die jeder mit Eiferſucht in den Haͤnden
des andern erblikte; erſt nun war ein Grund
vorhanden zu geheimer Feindſchaft und Kriegs¬
luſt Aller gegen Alle. Auch wurde es nun erſt
zum Gewinne fuͤr Voͤlker, Voͤlker auch anderer
Abkunft und Sprachen durch Eroberung, oder,
wenn dies nicht moͤglich waͤre, durch Buͤnd¬
niſſe, ſich einzuverleiben, und ihre Kraͤfte ſich
zuzueignen. Ein der Natur treu gebliebnes
Volk kann, wenn ſeine Wohnſitze ihm zu enge
werden, dieſelben durch Eroberung des benach¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0416" n="410"/>
andern die Wei&#x017F;e der Fortentwiklung der<lb/>
neuern Weltge&#x017F;chichte, die Schik&#x017F;ale der Vo&#x0364;<lb/>
ker, und der gro&#x0364;ßte Theil ihrer Begriffe und<lb/>
Meinungen, begru&#x0364;ndet worden &#x017F;ind. Seit die¬<lb/>
&#x017F;er Begebenheit er&#x017F;t zertheilte &#x017F;ich das chri&#x017F;<lb/>
liche Europa, das vorher, auch ohne &#x017F;ein eige¬<lb/>
nes deutliches Bewußt&#x017F;eyn, Eins gewe&#x017F;en war,<lb/>
und als &#x017F;olches in gemein&#x017F;chaftlichen Unterneh¬<lb/>
mungen &#x017F;ich gezeigt hatte, in mehrere abge&#x017F;on¬<lb/>
derte Theile; &#x017F;eit jener Begebenheit er&#x017F;t war<lb/>
eine gemein&#x017F;chaftliche Beute aufge&#x017F;tellt, nach<lb/>
der jeder auf die gleiche Wei&#x017F;e begehrte, weil<lb/>
alle &#x017F;ie auf die gleiche Wei&#x017F;e brauchen konnten,<lb/>
und die jeder mit Eifer&#x017F;ucht in den Ha&#x0364;nden<lb/>
des andern erblikte; er&#x017F;t nun war ein Grund<lb/>
vorhanden zu geheimer Feind&#x017F;chaft und Kriegs¬<lb/>
lu&#x017F;t Aller gegen Alle. Auch wurde es nun er&#x017F;t<lb/>
zum Gewinne fu&#x0364;r Vo&#x0364;lker, Vo&#x0364;lker auch anderer<lb/>
Abkunft und Sprachen durch Eroberung, oder,<lb/>
wenn dies nicht mo&#x0364;glich wa&#x0364;re, durch Bu&#x0364;nd¬<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e, &#x017F;ich einzuverleiben, und ihre Kra&#x0364;fte &#x017F;ich<lb/>
zuzueignen. Ein der Natur treu gebliebnes<lb/>
Volk kann, wenn &#x017F;eine Wohn&#x017F;itze ihm zu enge<lb/>
werden, die&#x017F;elben durch Eroberung des benach¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[410/0416] andern die Weiſe der Fortentwiklung der neuern Weltgeſchichte, die Schikſale der Voͤl¬ ker, und der groͤßte Theil ihrer Begriffe und Meinungen, begruͤndet worden ſind. Seit die¬ ſer Begebenheit erſt zertheilte ſich das chriſt¬ liche Europa, das vorher, auch ohne ſein eige¬ nes deutliches Bewußtſeyn, Eins geweſen war, und als ſolches in gemeinſchaftlichen Unterneh¬ mungen ſich gezeigt hatte, in mehrere abgeſon¬ derte Theile; ſeit jener Begebenheit erſt war eine gemeinſchaftliche Beute aufgeſtellt, nach der jeder auf die gleiche Weiſe begehrte, weil alle ſie auf die gleiche Weiſe brauchen konnten, und die jeder mit Eiferſucht in den Haͤnden des andern erblikte; erſt nun war ein Grund vorhanden zu geheimer Feindſchaft und Kriegs¬ luſt Aller gegen Alle. Auch wurde es nun erſt zum Gewinne fuͤr Voͤlker, Voͤlker auch anderer Abkunft und Sprachen durch Eroberung, oder, wenn dies nicht moͤglich waͤre, durch Buͤnd¬ niſſe, ſich einzuverleiben, und ihre Kraͤfte ſich zuzueignen. Ein der Natur treu gebliebnes Volk kann, wenn ſeine Wohnſitze ihm zu enge werden, dieſelben durch Eroberung des benach¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/416
Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/416>, abgerufen am 22.11.2024.