nen und unordentlichen, eines unwürdigen und ehrelosen Daseyns seiner selbst und seines verbrüderten Stammes, ohne Rüksicht auf das, was davon für sein sinnliches Wohlseyn zu fürchten oder zu hoffen sey, ihm innig wehe thue, und daß dieser Schmerz dem Besitzer ei¬ nes solchen Auges, abermals ganz unabhängig von sinnlicher Furcht oder Hoffnung, keine Ruhe lasse, bis er, so viel an ihm ist, den ihm mi߬ fälligen Zustand aufgehoben, und den, der ihm allein gefallen kann, an seine Stelle gesezt ha¬ be. Im Besitzer eines solchen Auges ist die Angelegenheit des ihn umgebenden Ganzen, durch das treibende Gefühl der Billigung oder Mißbilligung, an die Angelegenheit seines eig¬ nen erweiterten Selbst, das nur als Theil des Ganzen sich fühlt, und nur im gefälligen Gan¬ zen sich ertragen kann, unabtrennbar ange¬ knüpft; die Sichbildung zu einem solchen Auge wäre somit ein sicheres und das einzige Mit¬ tel, das einer Nation, die ihre Selbstständig¬ keit, und mit ihr allen Einfluß auf die öffent¬ liche Furcht und Hoffnung verloren hat, übrig bliebe, um aus der erduldeten Vernichtung sich
nen und unordentlichen, eines unwuͤrdigen und ehreloſen Daſeyns ſeiner ſelbſt und ſeines verbruͤderten Stammes, ohne Ruͤkſicht auf das, was davon fuͤr ſein ſinnliches Wohlſeyn zu fuͤrchten oder zu hoffen ſey, ihm innig wehe thue, und daß dieſer Schmerz dem Beſitzer ei¬ nes ſolchen Auges, abermals ganz unabhaͤngig von ſinnlicher Furcht oder Hoffnung, keine Ruhe laſſe, bis er, ſo viel an ihm iſt, den ihm mi߬ faͤlligen Zuſtand aufgehoben, und den, der ihm allein gefallen kann, an ſeine Stelle geſezt ha¬ be. Im Beſitzer eines ſolchen Auges iſt die Angelegenheit des ihn umgebenden Ganzen, durch das treibende Gefuͤhl der Billigung oder Mißbilligung, an die Angelegenheit ſeines eig¬ nen erweiterten Selbſt, das nur als Theil des Ganzen ſich fuͤhlt, und nur im gefaͤlligen Gan¬ zen ſich ertragen kann, unabtrennbar ange¬ knuͤpft; die Sichbildung zu einem ſolchen Auge waͤre ſomit ein ſicheres und das einzige Mit¬ tel, das einer Nation, die ihre Selbſtſtaͤndig¬ keit, und mit ihr allen Einfluß auf die oͤffent¬ liche Furcht und Hoffnung verloren hat, uͤbrig bliebe, um aus der erduldeten Vernichtung ſich
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0042"n="36"/>
nen und unordentlichen, eines unwuͤrdigen<lb/>
und ehreloſen Daſeyns ſeiner ſelbſt und ſeines<lb/>
verbruͤderten Stammes, ohne Ruͤkſicht auf<lb/>
das, was davon fuͤr ſein ſinnliches Wohlſeyn<lb/>
zu fuͤrchten oder zu hoffen ſey, ihm innig wehe<lb/>
thue, und daß dieſer Schmerz dem Beſitzer ei¬<lb/>
nes ſolchen Auges, abermals ganz unabhaͤngig<lb/>
von ſinnlicher Furcht oder Hoffnung, keine Ruhe<lb/>
laſſe, bis er, ſo viel an ihm iſt, den ihm mi߬<lb/>
faͤlligen Zuſtand aufgehoben, und den, der ihm<lb/>
allein gefallen kann, an ſeine Stelle geſezt ha¬<lb/>
be. Im Beſitzer eines ſolchen Auges iſt die<lb/>
Angelegenheit des ihn umgebenden Ganzen,<lb/>
durch das treibende Gefuͤhl der Billigung oder<lb/>
Mißbilligung, an die Angelegenheit ſeines eig¬<lb/>
nen erweiterten Selbſt, das nur als Theil des<lb/>
Ganzen ſich fuͤhlt, und nur im gefaͤlligen Gan¬<lb/>
zen ſich ertragen kann, unabtrennbar ange¬<lb/>
knuͤpft; die Sichbildung zu einem ſolchen Auge<lb/>
waͤre ſomit ein ſicheres und das einzige Mit¬<lb/>
tel, das einer Nation, die ihre Selbſtſtaͤndig¬<lb/>
keit, und mit ihr allen Einfluß auf die oͤffent¬<lb/>
liche Furcht und Hoffnung verloren hat, uͤbrig<lb/>
bliebe, um aus der erduldeten Vernichtung ſich<lb/></p></div></body></text></TEI>
[36/0042]
nen und unordentlichen, eines unwuͤrdigen
und ehreloſen Daſeyns ſeiner ſelbſt und ſeines
verbruͤderten Stammes, ohne Ruͤkſicht auf
das, was davon fuͤr ſein ſinnliches Wohlſeyn
zu fuͤrchten oder zu hoffen ſey, ihm innig wehe
thue, und daß dieſer Schmerz dem Beſitzer ei¬
nes ſolchen Auges, abermals ganz unabhaͤngig
von ſinnlicher Furcht oder Hoffnung, keine Ruhe
laſſe, bis er, ſo viel an ihm iſt, den ihm mi߬
faͤlligen Zuſtand aufgehoben, und den, der ihm
allein gefallen kann, an ſeine Stelle geſezt ha¬
be. Im Beſitzer eines ſolchen Auges iſt die
Angelegenheit des ihn umgebenden Ganzen,
durch das treibende Gefuͤhl der Billigung oder
Mißbilligung, an die Angelegenheit ſeines eig¬
nen erweiterten Selbſt, das nur als Theil des
Ganzen ſich fuͤhlt, und nur im gefaͤlligen Gan¬
zen ſich ertragen kann, unabtrennbar ange¬
knuͤpft; die Sichbildung zu einem ſolchen Auge
waͤre ſomit ein ſicheres und das einzige Mit¬
tel, das einer Nation, die ihre Selbſtſtaͤndig¬
keit, und mit ihr allen Einfluß auf die oͤffent¬
liche Furcht und Hoffnung verloren hat, uͤbrig
bliebe, um aus der erduldeten Vernichtung ſich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/42>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.