dem Schlafe gewekt hat? Warum sollen wir nicht wenigstens jezt die Wahrheit sehen, und das einzige Mittel, das uns hätte retten kön¬ nen, erblicken -- ob vielleicht unsre Nachkommen thun möchten, was wir einsehen; so wie wir jezo leiden, weil unsre Väter träumten. Las¬ set uns begreifen, daß der Gedanke eines künst¬ lich zu erhaltenden Gleichgewichts zwar für das Ausland ein tröstender Traum seyn konnte bei der Schuld und dem Uebel, welche dasselbe drükten; daß er aber, als ein durchaus auslän¬ disches Erzeugniß, niemals in dem Gemüthe eines Deutschen hätte Wurzel fassen, und die Deutschen niemals in die Lage hätten kommen sollen, daß er bei ihnen Wurzel fassen gekonnt hätte; daß wir wenigstens jezt in seiner Nich¬ tigkeit ihn durchdringen, und daß wir einsehen müssen, daß nicht bei ihm, sondern allein bei der Einigkeit der Deutschen unter sich selber, das allgemeine Heil zu finden sey.
Eben so fremd ist dem Deutschen die in unsern Tagen so häufig gepredigte Freiheit der Meere; ob nun wirklich diese Freiheit, oder ob bloß das Vermögen, daß man selbst alle
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dem Schlafe gewekt hat? Warum ſollen wir nicht wenigſtens jezt die Wahrheit ſehen, und das einzige Mittel, das uns haͤtte retten koͤn¬ nen, erblicken — ob vielleicht unſre Nachkommen thun moͤchten, was wir einſehen; ſo wie wir jezo leiden, weil unſre Vaͤter traͤumten. Laſ¬ ſet uns begreifen, daß der Gedanke eines kuͤnſt¬ lich zu erhaltenden Gleichgewichts zwar fuͤr das Ausland ein troͤſtender Traum ſeyn konnte bei der Schuld und dem Uebel, welche daſſelbe druͤkten; daß er aber, als ein durchaus auslaͤn¬ diſches Erzeugniß, niemals in dem Gemuͤthe eines Deutſchen haͤtte Wurzel faſſen, und die Deutſchen niemals in die Lage haͤtten kommen ſollen, daß er bei ihnen Wurzel faſſen gekonnt haͤtte; daß wir wenigſtens jezt in ſeiner Nich¬ tigkeit ihn durchdringen, und daß wir einſehen muͤſſen, daß nicht bei ihm, ſondern allein bei der Einigkeit der Deutſchen unter ſich ſelber, das allgemeine Heil zu finden ſey.
Eben ſo fremd iſt dem Deutſchen die in unſern Tagen ſo haͤufig gepredigte Freiheit der Meere; ob nun wirklich dieſe Freiheit, oder ob bloß das Vermoͤgen, daß man ſelbſt alle
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dem Schlafe gewekt hat? Warum ſollen wir
nicht wenigſtens jezt die Wahrheit ſehen, und
das einzige Mittel, das uns haͤtte retten koͤn¬
nen, erblicken — ob vielleicht unſre Nachkommen
thun moͤchten, was wir einſehen; ſo wie wir
jezo leiden, weil unſre Vaͤter traͤumten. Laſ¬
ſet uns begreifen, daß der Gedanke eines kuͤnſt¬
lich zu erhaltenden Gleichgewichts zwar fuͤr
das Ausland ein troͤſtender Traum ſeyn konnte
bei der Schuld und dem Uebel, welche daſſelbe
druͤkten; daß er aber, als ein durchaus auslaͤn¬
diſches Erzeugniß, niemals in dem Gemuͤthe
eines Deutſchen haͤtte Wurzel faſſen, und die
Deutſchen niemals in die Lage haͤtten kommen
ſollen, daß er bei ihnen Wurzel faſſen gekonnt
haͤtte; daß wir wenigſtens jezt in ſeiner Nich¬
tigkeit ihn durchdringen, und daß wir einſehen
muͤſſen, daß nicht bei ihm, ſondern allein bei der
Einigkeit der Deutſchen unter ſich ſelber, das
allgemeine Heil zu finden ſey.
Eben ſo fremd iſt dem Deutſchen die in
unſern Tagen ſo haͤufig gepredigte Freiheit der
Meere; ob nun wirklich dieſe Freiheit, oder
ob bloß das Vermoͤgen, daß man ſelbſt alle
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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/425>, abgerufen am 22.11.2024.
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